rend des Aufenthaltes in seinem Hause von den Bü¬ chern Gebrauch machen, wie ich wollte; ich könnte sie im Lesezimmer benüzen oder auch in meine Wohnung mit hinübernehmen. Es waren Werke in den ältesten Sprachen da, von Indien bis nach Griechenland und Italien, es waren Werke der neueren Zeiten da und auch der neuesten. Am zahlreichsten waren natürlich die der Deutschen.
"Ich habe diese Bücher gesammelt," sagte er, "nicht, als ob ich sie alle verstände; denn von manchen ist mir die Sprache vollkommen fremd; aber ich habe im Verlaufe meines Lebens gelernt, daß die Dichter, wenn sie es im rechten Sinne sind, zu den größten Wohlthätern der Menschheit zu rechnen sind. Sie sind die Priester des Schönen, und vermitteln als solche bei dem steten Wechsel der Ansichten über Welt über Menschenbestimmung über Menschenschicksal und selbst über göttliche Dinge das ewig Dauernde in uns und das allzeit Beglückende. Sie geben es uns im Gewande des Reizes, der nicht altert, der sich einfach hinstellt, und nicht richten und verurtheilen will. Und wenn auch alle Künste dieses Göttliche in der holden Gestalt bringen, so sind sie an einen Stoff gebunden, der diese Gestalt vermitteln muß: die Musik an den
Stifter, Nachsommer. II. 4
rend des Aufenthaltes in ſeinem Hauſe von den Bü¬ chern Gebrauch machen, wie ich wollte; ich könnte ſie im Leſezimmer benüzen oder auch in meine Wohnung mit hinübernehmen. Es waren Werke in den älteſten Sprachen da, von Indien bis nach Griechenland und Italien, es waren Werke der neueren Zeiten da und auch der neueſten. Am zahlreichſten waren natürlich die der Deutſchen.
„Ich habe dieſe Bücher geſammelt,“ ſagte er, „nicht, als ob ich ſie alle verſtände; denn von manchen iſt mir die Sprache vollkommen fremd; aber ich habe im Verlaufe meines Lebens gelernt, daß die Dichter, wenn ſie es im rechten Sinne ſind, zu den größten Wohlthätern der Menſchheit zu rechnen ſind. Sie ſind die Prieſter des Schönen, und vermitteln als ſolche bei dem ſteten Wechſel der Anſichten über Welt über Menſchenbeſtimmung über Menſchenſchickſal und ſelbſt über göttliche Dinge das ewig Dauernde in uns und das allzeit Beglückende. Sie geben es uns im Gewande des Reizes, der nicht altert, der ſich einfach hinſtellt, und nicht richten und verurtheilen will. Und wenn auch alle Künſte dieſes Göttliche in der holden Geſtalt bringen, ſo ſind ſie an einen Stoff gebunden, der dieſe Geſtalt vermitteln muß: die Muſik an den
Stifter, Nachſommer. II. 4
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0063"n="49"/>
rend des Aufenthaltes in ſeinem Hauſe von den Bü¬<lb/>
chern Gebrauch machen, wie ich wollte; ich könnte ſie<lb/>
im Leſezimmer benüzen oder auch in meine Wohnung<lb/>
mit hinübernehmen. Es waren Werke in den älteſten<lb/>
Sprachen da, von Indien bis nach Griechenland und<lb/>
Italien, es waren Werke der neueren Zeiten da und<lb/>
auch der neueſten. Am zahlreichſten waren natürlich<lb/>
die der Deutſchen.</p><lb/><p>„Ich habe dieſe Bücher geſammelt,“ſagte er, „nicht,<lb/>
als ob ich ſie alle verſtände; denn von manchen iſt<lb/>
mir die Sprache vollkommen fremd; aber ich habe im<lb/>
Verlaufe meines Lebens gelernt, daß die Dichter,<lb/>
wenn ſie es im rechten Sinne ſind, zu den größten<lb/>
Wohlthätern der Menſchheit zu rechnen ſind. Sie<lb/>ſind die Prieſter des Schönen, und vermitteln als<lb/>ſolche bei dem ſteten Wechſel der Anſichten über Welt<lb/>
über Menſchenbeſtimmung über Menſchenſchickſal und<lb/>ſelbſt über göttliche Dinge das ewig Dauernde in uns<lb/>
und das allzeit Beglückende. Sie geben es uns im<lb/>
Gewande des Reizes, der nicht altert, der ſich einfach<lb/>
hinſtellt, und nicht richten und verurtheilen will. Und<lb/>
wenn auch alle Künſte dieſes Göttliche in der holden<lb/>
Geſtalt bringen, ſo ſind ſie an einen Stoff gebunden,<lb/>
der dieſe Geſtalt vermitteln muß: die Muſik an den<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Stifter</hi>, Nachſommer. <hirendition="#aq">II</hi>. 4<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[49/0063]
rend des Aufenthaltes in ſeinem Hauſe von den Bü¬
chern Gebrauch machen, wie ich wollte; ich könnte ſie
im Leſezimmer benüzen oder auch in meine Wohnung
mit hinübernehmen. Es waren Werke in den älteſten
Sprachen da, von Indien bis nach Griechenland und
Italien, es waren Werke der neueren Zeiten da und
auch der neueſten. Am zahlreichſten waren natürlich
die der Deutſchen.
„Ich habe dieſe Bücher geſammelt,“ ſagte er, „nicht,
als ob ich ſie alle verſtände; denn von manchen iſt
mir die Sprache vollkommen fremd; aber ich habe im
Verlaufe meines Lebens gelernt, daß die Dichter,
wenn ſie es im rechten Sinne ſind, zu den größten
Wohlthätern der Menſchheit zu rechnen ſind. Sie
ſind die Prieſter des Schönen, und vermitteln als
ſolche bei dem ſteten Wechſel der Anſichten über Welt
über Menſchenbeſtimmung über Menſchenſchickſal und
ſelbſt über göttliche Dinge das ewig Dauernde in uns
und das allzeit Beglückende. Sie geben es uns im
Gewande des Reizes, der nicht altert, der ſich einfach
hinſtellt, und nicht richten und verurtheilen will. Und
wenn auch alle Künſte dieſes Göttliche in der holden
Geſtalt bringen, ſo ſind ſie an einen Stoff gebunden,
der dieſe Geſtalt vermitteln muß: die Muſik an den
Stifter, Nachſommer. II. 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/63>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.