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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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stellung eines Schönen und Kirchlichen, wenn es sich
auch in dem Wesen des Schönen von den Vorbildern
der früheren Jahrhunderte entfernt hat. Wenn unsere
Zeit von dem Stofflichen wieder in das Höhere über¬
geht, wie es den Anschein hat, werden wir in Bau¬
gegenständen nicht auch gleich das Schöne verwirk¬
lichen können. Wir werden Anfangs in der bloßen
Nachahmung des als schön Erkannten aus älteren
Zeiten befangen sein, dann wird durch den Eigenwillen
der unmittelbar Betrauten manches Ungereimte ent¬
stehen, bis nach und nach die Zahl der heller Blicken¬
den größer wird, bis man nach einer allgemeineren
und begründeteren Einsicht vorgeht, und aus den
alten Bauarten neue der Zeit eigenthümlich zuge¬
hörige entsprießen."

"In der Kirche, welche wir eben gesehen haben,"
sagte ich, "liegt nach meiner Meinung eine eigenthüm¬
liche Schönheit, daß es nicht begreiflich ist, wie eine
Zeit gekommen ist, in welcher man es verkennen, und
so manches hinzufügen konnte, was vielleicht schon
an sich unschön ist, gewiß aber nicht paßt."

"Es waren rauhe Zeiten über unser Vaterland ge¬
kommen," erwiederte er, "welche nur in Streit und
Verwüstung die Kräfte übten, und die tieferen Rich¬

ſtellung eines Schönen und Kirchlichen, wenn es ſich
auch in dem Weſen des Schönen von den Vorbildern
der früheren Jahrhunderte entfernt hat. Wenn unſere
Zeit von dem Stofflichen wieder in das Höhere über¬
geht, wie es den Anſchein hat, werden wir in Bau¬
gegenſtänden nicht auch gleich das Schöne verwirk¬
lichen können. Wir werden Anfangs in der bloßen
Nachahmung des als ſchön Erkannten aus älteren
Zeiten befangen ſein, dann wird durch den Eigenwillen
der unmittelbar Betrauten manches Ungereimte ent¬
ſtehen, bis nach und nach die Zahl der heller Blicken¬
den größer wird, bis man nach einer allgemeineren
und begründeteren Einſicht vorgeht, und aus den
alten Bauarten neue der Zeit eigenthümlich zuge¬
hörige entſprießen.“

„In der Kirche, welche wir eben geſehen haben,“
ſagte ich, „liegt nach meiner Meinung eine eigenthüm¬
liche Schönheit, daß es nicht begreiflich iſt, wie eine
Zeit gekommen iſt, in welcher man es verkennen, und
ſo manches hinzufügen konnte, was vielleicht ſchon
an ſich unſchön iſt, gewiß aber nicht paßt.“

„Es waren rauhe Zeiten über unſer Vaterland ge¬
kommen,“ erwiederte er, „welche nur in Streit und
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[91/0105] ſtellung eines Schönen und Kirchlichen, wenn es ſich auch in dem Weſen des Schönen von den Vorbildern der früheren Jahrhunderte entfernt hat. Wenn unſere Zeit von dem Stofflichen wieder in das Höhere über¬ geht, wie es den Anſchein hat, werden wir in Bau¬ gegenſtänden nicht auch gleich das Schöne verwirk¬ lichen können. Wir werden Anfangs in der bloßen Nachahmung des als ſchön Erkannten aus älteren Zeiten befangen ſein, dann wird durch den Eigenwillen der unmittelbar Betrauten manches Ungereimte ent¬ ſtehen, bis nach und nach die Zahl der heller Blicken¬ den größer wird, bis man nach einer allgemeineren und begründeteren Einſicht vorgeht, und aus den alten Bauarten neue der Zeit eigenthümlich zuge¬ hörige entſprießen.“ „In der Kirche, welche wir eben geſehen haben,“ ſagte ich, „liegt nach meiner Meinung eine eigenthüm¬ liche Schönheit, daß es nicht begreiflich iſt, wie eine Zeit gekommen iſt, in welcher man es verkennen, und ſo manches hinzufügen konnte, was vielleicht ſchon an ſich unſchön iſt, gewiß aber nicht paßt.“ „Es waren rauhe Zeiten über unſer Vaterland ge¬ kommen,“ erwiederte er, „welche nur in Streit und Verwüſtung die Kräfte übten, und die tieferen Rich¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/105>, abgerufen am 21.11.2024.