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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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der Ziegenalpe an. Hier hatten wir einen eigenthüm¬
lichen Anblick. Es ist da eine Stelle, von welcher
aus man nicht mehr zu dem See oder zu seiner
Umgebung zurücksehen kann, dafür öffnet sich gegen
Sonnenuntergang ein weiter Blick in die Lich¬
tung des Lauterthales besonders aber in das Echer¬
thal, in welchem der Mann wohnt, welcher meine
und Klotildens Zither gemacht hatte. In diese Ferne
wollte ich noch einen Blick thun, ehe wir in die Hütte
gingen. Aber ich konnte die Thäler nicht sehen. Die
Wirkung, welche sich aus dem Aneinandergrenzen der
oberen wärmeren Luft und der unteren kälteren, wie
ich schon am schwarzen Steine bemerkt hatte, ergab,
war noch stärker geworden, und ein einfaches wag¬
rechtes weißlichgraues Nebelmeer war zu meinen
Füssen ausgespannt. Es schien riesig groß zu sein,
und ich über ihm in der Luft zu schweben. Einzelne
schwarze Knollen von Felsen ragten über dasselbe em¬
por, dann dehnte es sich weithin, ein trübblauer
Strich entfernter Gebirge zog an seinem Rande, und
dann war der gesättigte goldgelbe ganz reine Himmel,
an dem eine grelle fast strahlenlose Sonne stand,
zu ihrem Untergange bereitet. Das Bild war von
unbeschreiblicher Größe. Kaspar, welcher neben mir

der Ziegenalpe an. Hier hatten wir einen eigenthüm¬
lichen Anblick. Es iſt da eine Stelle, von welcher
aus man nicht mehr zu dem See oder zu ſeiner
Umgebung zurückſehen kann, dafür öffnet ſich gegen
Sonnenuntergang ein weiter Blick in die Lich¬
tung des Lauterthales beſonders aber in das Echer¬
thal, in welchem der Mann wohnt, welcher meine
und Klotildens Zither gemacht hatte. In dieſe Ferne
wollte ich noch einen Blick thun, ehe wir in die Hütte
gingen. Aber ich konnte die Thäler nicht ſehen. Die
Wirkung, welche ſich aus dem Aneinandergrenzen der
oberen wärmeren Luft und der unteren kälteren, wie
ich ſchon am ſchwarzen Steine bemerkt hatte, ergab,
war noch ſtärker geworden, und ein einfaches wag¬
rechtes weißlichgraues Nebelmeer war zu meinen
Füſſen ausgeſpannt. Es ſchien rieſig groß zu ſein,
und ich über ihm in der Luft zu ſchweben. Einzelne
ſchwarze Knollen von Felſen ragten über dasſelbe em¬
por, dann dehnte es ſich weithin, ein trübblauer
Strich entfernter Gebirge zog an ſeinem Rande, und
dann war der geſättigte goldgelbe ganz reine Himmel,
an dem eine grelle faſt ſtrahlenloſe Sonne ſtand,
zu ihrem Untergange bereitet. Das Bild war von
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[156/0170] der Ziegenalpe an. Hier hatten wir einen eigenthüm¬ lichen Anblick. Es iſt da eine Stelle, von welcher aus man nicht mehr zu dem See oder zu ſeiner Umgebung zurückſehen kann, dafür öffnet ſich gegen Sonnenuntergang ein weiter Blick in die Lich¬ tung des Lauterthales beſonders aber in das Echer¬ thal, in welchem der Mann wohnt, welcher meine und Klotildens Zither gemacht hatte. In dieſe Ferne wollte ich noch einen Blick thun, ehe wir in die Hütte gingen. Aber ich konnte die Thäler nicht ſehen. Die Wirkung, welche ſich aus dem Aneinandergrenzen der oberen wärmeren Luft und der unteren kälteren, wie ich ſchon am ſchwarzen Steine bemerkt hatte, ergab, war noch ſtärker geworden, und ein einfaches wag¬ rechtes weißlichgraues Nebelmeer war zu meinen Füſſen ausgeſpannt. Es ſchien rieſig groß zu ſein, und ich über ihm in der Luft zu ſchweben. Einzelne ſchwarze Knollen von Felſen ragten über dasſelbe em¬ por, dann dehnte es ſich weithin, ein trübblauer Strich entfernter Gebirge zog an ſeinem Rande, und dann war der geſättigte goldgelbe ganz reine Himmel, an dem eine grelle faſt ſtrahlenloſe Sonne ſtand, zu ihrem Untergange bereitet. Das Bild war von unbeſchreiblicher Größe. Kaspar, welcher neben mir

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/170>, abgerufen am 21.11.2024.