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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Diese sinnliche Regung, die wohl alle Kinder haben,
wurde bei mir, da ich heran wuchs, immer deutlicher
und stärker. Ich hatte Freude an allem, was als
Wahrnehmbares hervorgebracht wurde, an dem Kei¬
men des ersten Gräsleins an dem Knospen der Ge¬
sträuche an dem Blühen der Gewächse an dem ersten
Reife der ersten Schneeflocke an dem Sausen des
Windes dem Rauschen des Regens ja an dem Blize
und Donner, obwohl ich beide fürchtete. Ich ging
zusehen, wenn die Zimmerleute Holz aushauten,
wenn eine Hütte gezimmert ein Brett angenagelt
wurde. Ja die Worte, die einen Gegenstand sinnlich
vorstellbar bezeichneten, waren mir weit lieber als die,
welche ihn nur allgemein angaben. So zum Beispiele
traf es mich viel mächtiger, wenn jemand sagte: der
Graf reitet auf dem Schecken, als: er reitet auf einem
Pferde. Ich zeichnete mit einem Rothstifte Hirsche
Reiter Hunde Blumen, mit Vorliebe aber Städte,
von denen ich ganz wunderbare Gestalten zusammen¬
sezte. Ich machte aus feuchtem Lehm Palläste aus
Holzrinde Altäre und Kirchen. Ich nenne diesen Trieb
Schaffungslust. Er ist bei vielen Menschen mehr oder
minder vorhanden. Eine noch größere Zahl aber hat
die Bewahrungslust, von der der Geiz eine häßliche

Dieſe ſinnliche Regung, die wohl alle Kinder haben,
wurde bei mir, da ich heran wuchs, immer deutlicher
und ſtärker. Ich hatte Freude an allem, was als
Wahrnehmbares hervorgebracht wurde, an dem Kei¬
men des erſten Gräsleins an dem Knospen der Ge¬
ſträuche an dem Blühen der Gewächſe an dem erſten
Reife der erſten Schneeflocke an dem Sauſen des
Windes dem Rauſchen des Regens ja an dem Blize
und Donner, obwohl ich beide fürchtete. Ich ging
zuſehen, wenn die Zimmerleute Holz aushauten,
wenn eine Hütte gezimmert ein Brett angenagelt
wurde. Ja die Worte, die einen Gegenſtand ſinnlich
vorſtellbar bezeichneten, waren mir weit lieber als die,
welche ihn nur allgemein angaben. So zum Beiſpiele
traf es mich viel mächtiger, wenn jemand ſagte: der
Graf reitet auf dem Schecken, als: er reitet auf einem
Pferde. Ich zeichnete mit einem Rothſtifte Hirſche
Reiter Hunde Blumen, mit Vorliebe aber Städte,
von denen ich ganz wunderbare Geſtalten zuſammen¬
ſezte. Ich machte aus feuchtem Lehm Palläſte aus
Holzrinde Altäre und Kirchen. Ich nenne dieſen Trieb
Schaffungsluſt. Er iſt bei vielen Menſchen mehr oder
minder vorhanden. Eine noch größere Zahl aber hat
die Bewahrungsluſt, von der der Geiz eine häßliche

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[218/0232] Dieſe ſinnliche Regung, die wohl alle Kinder haben, wurde bei mir, da ich heran wuchs, immer deutlicher und ſtärker. Ich hatte Freude an allem, was als Wahrnehmbares hervorgebracht wurde, an dem Kei¬ men des erſten Gräsleins an dem Knospen der Ge¬ ſträuche an dem Blühen der Gewächſe an dem erſten Reife der erſten Schneeflocke an dem Sauſen des Windes dem Rauſchen des Regens ja an dem Blize und Donner, obwohl ich beide fürchtete. Ich ging zuſehen, wenn die Zimmerleute Holz aushauten, wenn eine Hütte gezimmert ein Brett angenagelt wurde. Ja die Worte, die einen Gegenſtand ſinnlich vorſtellbar bezeichneten, waren mir weit lieber als die, welche ihn nur allgemein angaben. So zum Beiſpiele traf es mich viel mächtiger, wenn jemand ſagte: der Graf reitet auf dem Schecken, als: er reitet auf einem Pferde. Ich zeichnete mit einem Rothſtifte Hirſche Reiter Hunde Blumen, mit Vorliebe aber Städte, von denen ich ganz wunderbare Geſtalten zuſammen¬ ſezte. Ich machte aus feuchtem Lehm Palläſte aus Holzrinde Altäre und Kirchen. Ich nenne dieſen Trieb Schaffungsluſt. Er iſt bei vielen Menſchen mehr oder minder vorhanden. Eine noch größere Zahl aber hat die Bewahrungsluſt, von der der Geiz eine häßliche

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/232>, abgerufen am 24.11.2024.