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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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wir oft gesagt haben, und womit euer ehrwürdiger
Pater auch übereinstimmt, daß der Mensch seinen
Lebensweg seiner selbst willen zur vollständigen Er¬
füllung seiner Kräfte wählen soll. Dadurch dient er
auch dem Ganzen am Besten, wie er nur immer die¬
nen kann. Es wäre die schwerste Sünde, seinen Weg
nur ausschließlich dazu zu wählen, wie man sich so
oft ausdrückt, der Menschheit nüzlich zu werden.
Man gäbe sich selber auf, und müßte in den meisten
Fällen im eigentlichen Sinne sein Pfund vergraben.
Aber was ist es mit der Wahl? Unsere gesellschaft¬
lichen Verhältnisse sind so geworden, daß zur Befrie¬
digung unserer stofflichen Bedürfnisse ein sehr großer
Aufwand gehört. Daher werden junge Leute, ehe sie
sich selber bewußt werden, in Laufbahnen gebracht,
die ihnen den Erwerb dessen, was sie zur Befriedigung
der angefühlten Bedürfnisse brauchen, sichern. Von
einem Berufe ist da nicht die Rede. Das ist schlimm,
sehr schlimm, und die Menschheit wird dadurch immer
mehr eine Heerde. Wo noch eine Wahl möglich ist,
weil man nicht nach sogenanntem Broderwerbe aus¬
zugehen braucht, dort sollte man sich seiner Kräfte
sehr klar bewußt werden, ehe man ihnen den Wir¬
kungskreis zutheilt. Aber muß man nicht in der Ju¬

wir oft geſagt haben, und womit euer ehrwürdiger
Pater auch übereinſtimmt, daß der Menſch ſeinen
Lebensweg ſeiner ſelbſt willen zur vollſtändigen Er¬
füllung ſeiner Kräfte wählen ſoll. Dadurch dient er
auch dem Ganzen am Beſten, wie er nur immer die¬
nen kann. Es wäre die ſchwerſte Sünde, ſeinen Weg
nur ausſchließlich dazu zu wählen, wie man ſich ſo
oft ausdrückt, der Menſchheit nüzlich zu werden.
Man gäbe ſich ſelber auf, und müßte in den meiſten
Fällen im eigentlichen Sinne ſein Pfund vergraben.
Aber was iſt es mit der Wahl? Unſere geſellſchaft¬
lichen Verhältniſſe ſind ſo geworden, daß zur Befrie¬
digung unſerer ſtofflichen Bedürfniſſe ein ſehr großer
Aufwand gehört. Daher werden junge Leute, ehe ſie
ſich ſelber bewußt werden, in Laufbahnen gebracht,
die ihnen den Erwerb deſſen, was ſie zur Befriedigung
der angefühlten Bedürfniſſe brauchen, ſichern. Von
einem Berufe iſt da nicht die Rede. Das iſt ſchlimm,
ſehr ſchlimm, und die Menſchheit wird dadurch immer
mehr eine Heerde. Wo noch eine Wahl möglich iſt,
weil man nicht nach ſogenanntem Broderwerbe aus¬
zugehen braucht, dort ſollte man ſich ſeiner Kräfte
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[226/0240] wir oft geſagt haben, und womit euer ehrwürdiger Pater auch übereinſtimmt, daß der Menſch ſeinen Lebensweg ſeiner ſelbſt willen zur vollſtändigen Er¬ füllung ſeiner Kräfte wählen ſoll. Dadurch dient er auch dem Ganzen am Beſten, wie er nur immer die¬ nen kann. Es wäre die ſchwerſte Sünde, ſeinen Weg nur ausſchließlich dazu zu wählen, wie man ſich ſo oft ausdrückt, der Menſchheit nüzlich zu werden. Man gäbe ſich ſelber auf, und müßte in den meiſten Fällen im eigentlichen Sinne ſein Pfund vergraben. Aber was iſt es mit der Wahl? Unſere geſellſchaft¬ lichen Verhältniſſe ſind ſo geworden, daß zur Befrie¬ digung unſerer ſtofflichen Bedürfniſſe ein ſehr großer Aufwand gehört. Daher werden junge Leute, ehe ſie ſich ſelber bewußt werden, in Laufbahnen gebracht, die ihnen den Erwerb deſſen, was ſie zur Befriedigung der angefühlten Bedürfniſſe brauchen, ſichern. Von einem Berufe iſt da nicht die Rede. Das iſt ſchlimm, ſehr ſchlimm, und die Menſchheit wird dadurch immer mehr eine Heerde. Wo noch eine Wahl möglich iſt, weil man nicht nach ſogenanntem Broderwerbe aus¬ zugehen braucht, dort ſollte man ſich ſeiner Kräfte ſehr klar bewußt werden, ehe man ihnen den Wir¬ kungskreis zutheilt. Aber muß man nicht in der Ju¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/240>, abgerufen am 21.11.2024.