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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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herbstliche Abendsonne spielte durch die Zweige, man¬
che Kohlmeise ließ einen Ruf erschallen, wie ihn die
hatten erschallen lassen, welche jezt noch in meinen
heimatlichen Bergwäldchen verweilten, mancher Fuhr¬
mann mancher Wanderer begegnete mir, ich ging mit
ernstem Herzen weiter, und als die Sonne unterge¬
gangen war, hörte ich das Rauschen des Stromes,
der mir nun so wichtig geworden war, und sah sein
goldenes abendliches Glänzen."

"Ich vergesse mich," unterbrach sich hier mein
Gastfreund, "und erzähle euch Dinge, die nicht wich¬
tig sind; aber es gibt Erinnerungen, die, wie unbe¬
deutende Gegenstände sie auch für andere betreffen,
doch für den Eigenthümer im höchsten Alter so kräftig
dastehen, als ob sie die größte Schönheit der Ver¬
gangenheit enthielten."

"Ich bitte euch," entgegnete ich, "fahret so fort,
und entzieht mir nicht die Bilder, die euch aus frühe¬
ren Zeiten übrig sind, sie gehen schöner in das Ge¬
müth, und verbinden leichter, was verbunden werden
soll, als wenn von dem lebendigen Leben ein flacher
Schatten gegeben werden sollte. Auch ist meine Zeit,
wenn anders die eurige nicht strenger zugemessen ist,

herbſtliche Abendſonne ſpielte durch die Zweige, man¬
che Kohlmeiſe ließ einen Ruf erſchallen, wie ihn die
hatten erſchallen laſſen, welche jezt noch in meinen
heimatlichen Bergwäldchen verweilten, mancher Fuhr¬
mann mancher Wanderer begegnete mir, ich ging mit
ernſtem Herzen weiter, und als die Sonne unterge¬
gangen war, hörte ich das Rauſchen des Stromes,
der mir nun ſo wichtig geworden war, und ſah ſein
goldenes abendliches Glänzen.“

„Ich vergeſſe mich,“ unterbrach ſich hier mein
Gaſtfreund, „und erzähle euch Dinge, die nicht wich¬
tig ſind; aber es gibt Erinnerungen, die, wie unbe¬
deutende Gegenſtände ſie auch für andere betreffen,
doch für den Eigenthümer im höchſten Alter ſo kräftig
daſtehen, als ob ſie die größte Schönheit der Ver¬
gangenheit enthielten.“

„Ich bitte euch,“ entgegnete ich, „fahret ſo fort,
und entzieht mir nicht die Bilder, die euch aus frühe¬
ren Zeiten übrig ſind, ſie gehen ſchöner in das Ge¬
müth, und verbinden leichter, was verbunden werden
ſoll, als wenn von dem lebendigen Leben ein flacher
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[235/0249] herbſtliche Abendſonne ſpielte durch die Zweige, man¬ che Kohlmeiſe ließ einen Ruf erſchallen, wie ihn die hatten erſchallen laſſen, welche jezt noch in meinen heimatlichen Bergwäldchen verweilten, mancher Fuhr¬ mann mancher Wanderer begegnete mir, ich ging mit ernſtem Herzen weiter, und als die Sonne unterge¬ gangen war, hörte ich das Rauſchen des Stromes, der mir nun ſo wichtig geworden war, und ſah ſein goldenes abendliches Glänzen.“ „Ich vergeſſe mich,“ unterbrach ſich hier mein Gaſtfreund, „und erzähle euch Dinge, die nicht wich¬ tig ſind; aber es gibt Erinnerungen, die, wie unbe¬ deutende Gegenſtände ſie auch für andere betreffen, doch für den Eigenthümer im höchſten Alter ſo kräftig daſtehen, als ob ſie die größte Schönheit der Ver¬ gangenheit enthielten.“ „Ich bitte euch,“ entgegnete ich, „fahret ſo fort, und entzieht mir nicht die Bilder, die euch aus frühe¬ ren Zeiten übrig ſind, ſie gehen ſchöner in das Ge¬ müth, und verbinden leichter, was verbunden werden ſoll, als wenn von dem lebendigen Leben ein flacher Schatten gegeben werden ſollte. Auch iſt meine Zeit, wenn anders die eurige nicht ſtrenger zugemeſſen iſt,

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/249>, abgerufen am 24.11.2024.