ein drittes Grab gekommen sei, das meiner Schwe¬ ster. Sie hatte sich seit dem Tode der Mutter nicht recht erholt, und eine unversehene Verkühlung raffte sie dahin. Der Schwager schrieb mir, und wie ich sah, in aufrichtigem Kummer, daß er nun ganz ver¬ lassen sei, daß er keine Freude mehr habe, daß er ein¬ sam sein Leben zubringen wolle, daß er wohl von der Verewigten zum Erben eingesezt worden sei, daß er aber gerne mit mir theilen wolle, er habe kein Kind, seine einzige Freude liege im Grabe, er achte nicht mehr viel auf Besizungen, sein Stückchen Brod, wel¬ ches für sein einfaches Leben recht klein sein dürfe, werde er für die Zeit schon finden, die er noch zubrin¬ gen müsse, ehe er zu Kornelien gehen könne. Da der Mann meine Schwester sehr geliebt hatte, da ihre Briefe an mich immer von ihrem Glücke erzählten, gönnte ich ihm das kleine Besizthum, und schrieb ihm zurück, daß ich keine Ansprüche erhebe, und daß er das Hinterlassene ungetheilt genießen möge. Er dankte mir, ich sah aber aus seinem Briefe, daß er über das Geschenk eben keine sonderliche Freude habe."
"Ich zog mich nun noch mehr zurück, und mein Leben war sehr trübe. Ich zeichnete viel, ich bildete zuweilen auch etwas in Thon, und suchte sogar man¬
ein drittes Grab gekommen ſei, das meiner Schwe¬ ſter. Sie hatte ſich ſeit dem Tode der Mutter nicht recht erholt, und eine unverſehene Verkühlung raffte ſie dahin. Der Schwager ſchrieb mir, und wie ich ſah, in aufrichtigem Kummer, daß er nun ganz ver¬ laſſen ſei, daß er keine Freude mehr habe, daß er ein¬ ſam ſein Leben zubringen wolle, daß er wohl von der Verewigten zum Erben eingeſezt worden ſei, daß er aber gerne mit mir theilen wolle, er habe kein Kind, ſeine einzige Freude liege im Grabe, er achte nicht mehr viel auf Beſizungen, ſein Stückchen Brod, wel¬ ches für ſein einfaches Leben recht klein ſein dürfe, werde er für die Zeit ſchon finden, die er noch zubrin¬ gen müſſe, ehe er zu Kornelien gehen könne. Da der Mann meine Schweſter ſehr geliebt hatte, da ihre Briefe an mich immer von ihrem Glücke erzählten, gönnte ich ihm das kleine Beſizthum, und ſchrieb ihm zurück, daß ich keine Anſprüche erhebe, und daß er das Hinterlaſſene ungetheilt genießen möge. Er dankte mir, ich ſah aber aus ſeinem Briefe, daß er über das Geſchenk eben keine ſonderliche Freude habe.“
„Ich zog mich nun noch mehr zurück, und mein Leben war ſehr trübe. Ich zeichnete viel, ich bildete zuweilen auch etwas in Thon, und ſuchte ſogar man¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0266"n="252"/>
ein drittes Grab gekommen ſei, das meiner Schwe¬<lb/>ſter. Sie hatte ſich ſeit dem Tode der Mutter nicht<lb/>
recht erholt, und eine unverſehene Verkühlung raffte<lb/>ſie dahin. Der Schwager ſchrieb mir, und wie ich<lb/>ſah, in aufrichtigem Kummer, daß er nun ganz ver¬<lb/>
laſſen ſei, daß er keine Freude mehr habe, daß er ein¬<lb/>ſam ſein Leben zubringen wolle, daß er wohl von der<lb/>
Verewigten zum Erben eingeſezt worden ſei, daß er<lb/>
aber gerne mit mir theilen wolle, er habe kein Kind,<lb/>ſeine einzige Freude liege im Grabe, er achte nicht<lb/>
mehr viel auf Beſizungen, ſein Stückchen Brod, wel¬<lb/>
ches für ſein einfaches Leben recht klein ſein dürfe,<lb/>
werde er für die Zeit ſchon finden, die er noch zubrin¬<lb/>
gen müſſe, ehe er zu Kornelien gehen könne. Da der<lb/>
Mann meine Schweſter ſehr geliebt hatte, da ihre<lb/>
Briefe an mich immer von ihrem Glücke erzählten,<lb/>
gönnte ich ihm das kleine Beſizthum, und ſchrieb ihm<lb/>
zurück, daß ich keine Anſprüche erhebe, und daß er das<lb/>
Hinterlaſſene ungetheilt genießen möge. Er dankte<lb/>
mir, ich ſah aber aus ſeinem Briefe, daß er über das<lb/>
Geſchenk eben keine ſonderliche Freude habe.“</p><lb/><p>„Ich zog mich nun noch mehr zurück, und mein<lb/>
Leben war ſehr trübe. Ich zeichnete viel, ich bildete<lb/>
zuweilen auch etwas in Thon, und ſuchte ſogar man¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[252/0266]
ein drittes Grab gekommen ſei, das meiner Schwe¬
ſter. Sie hatte ſich ſeit dem Tode der Mutter nicht
recht erholt, und eine unverſehene Verkühlung raffte
ſie dahin. Der Schwager ſchrieb mir, und wie ich
ſah, in aufrichtigem Kummer, daß er nun ganz ver¬
laſſen ſei, daß er keine Freude mehr habe, daß er ein¬
ſam ſein Leben zubringen wolle, daß er wohl von der
Verewigten zum Erben eingeſezt worden ſei, daß er
aber gerne mit mir theilen wolle, er habe kein Kind,
ſeine einzige Freude liege im Grabe, er achte nicht
mehr viel auf Beſizungen, ſein Stückchen Brod, wel¬
ches für ſein einfaches Leben recht klein ſein dürfe,
werde er für die Zeit ſchon finden, die er noch zubrin¬
gen müſſe, ehe er zu Kornelien gehen könne. Da der
Mann meine Schweſter ſehr geliebt hatte, da ihre
Briefe an mich immer von ihrem Glücke erzählten,
gönnte ich ihm das kleine Beſizthum, und ſchrieb ihm
zurück, daß ich keine Anſprüche erhebe, und daß er das
Hinterlaſſene ungetheilt genießen möge. Er dankte
mir, ich ſah aber aus ſeinem Briefe, daß er über das
Geſchenk eben keine ſonderliche Freude habe.“
„Ich zog mich nun noch mehr zurück, und mein
Leben war ſehr trübe. Ich zeichnete viel, ich bildete
zuweilen auch etwas in Thon, und ſuchte ſogar man¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/266>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.