auf ein silberner Handleuchter, den mir Mathildens Mutter gab, zu stehen bestimmt war."
"Der Frühling war endlich mit voller Pracht ge¬ kommen. Im vergangenen Jahre hatte ich ihn in dieser Gegend nicht gesehen, weil ich erst später ange¬ langt war. Überhaupt hatte ich meines längern Stadt¬ lebens willen schon lange nicht einen vollkommenen Frühling in der Tiefe des Landes erblickt. Nur an der Grenze des Landes, das heißt, wo es an die Stadt reicht, hatte ich den einen oder andern Früh¬ lingstag zugebracht, oder irgend einen Sonnenblick erlauscht. Das theilt man aber mit vielen, die aus der Stadt hinaus kommen, und muß es im Gedränge und Staube genießen. In Heinbach war Einsamkeit und Stille, die blaue Luft schien unermeßlich, und die Blüthenfülle wollte die Bäume erdrücken. Jeden Morgen strömte neue Würze durch die geöffneten Fen¬ ster. Man fühlte in Heinbach, wie sehr mich Unge¬ wohnten dieser Reichthum überrasche und freue, und man suchte mir diese Freude auf jede Weise noch fühl¬ barer zu machen und sie zu erhöhen. Jeden Tag wurden die Blumen in meiner Wohnung durch neu aufgeblühte aus den Gewächshäusern ersezt. Wenn in dem freien Grunde sich etwas zeigte, sei es ein Ge¬
auf ein ſilberner Handleuchter, den mir Mathildens Mutter gab, zu ſtehen beſtimmt war.“
„Der Frühling war endlich mit voller Pracht ge¬ kommen. Im vergangenen Jahre hatte ich ihn in dieſer Gegend nicht geſehen, weil ich erſt ſpäter ange¬ langt war. Überhaupt hatte ich meines längern Stadt¬ lebens willen ſchon lange nicht einen vollkommenen Frühling in der Tiefe des Landes erblickt. Nur an der Grenze des Landes, das heißt, wo es an die Stadt reicht, hatte ich den einen oder andern Früh¬ lingstag zugebracht, oder irgend einen Sonnenblick erlauſcht. Das theilt man aber mit vielen, die aus der Stadt hinaus kommen, und muß es im Gedränge und Staube genießen. In Heinbach war Einſamkeit und Stille, die blaue Luft ſchien unermeßlich, und die Blüthenfülle wollte die Bäume erdrücken. Jeden Morgen ſtrömte neue Würze durch die geöffneten Fen¬ ſter. Man fühlte in Heinbach, wie ſehr mich Unge¬ wohnten dieſer Reichthum überraſche und freue, und man ſuchte mir dieſe Freude auf jede Weiſe noch fühl¬ barer zu machen und ſie zu erhöhen. Jeden Tag wurden die Blumen in meiner Wohnung durch neu aufgeblühte aus den Gewächshäuſern erſezt. Wenn in dem freien Grunde ſich etwas zeigte, ſei es ein Ge¬
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auf ein ſilberner Handleuchter, den mir Mathildens
Mutter gab, zu ſtehen beſtimmt war.“
„Der Frühling war endlich mit voller Pracht ge¬
kommen. Im vergangenen Jahre hatte ich ihn in
dieſer Gegend nicht geſehen, weil ich erſt ſpäter ange¬
langt war. Überhaupt hatte ich meines längern Stadt¬
lebens willen ſchon lange nicht einen vollkommenen
Frühling in der Tiefe des Landes erblickt. Nur an
der Grenze des Landes, das heißt, wo es an die
Stadt reicht, hatte ich den einen oder andern Früh¬
lingstag zugebracht, oder irgend einen Sonnenblick
erlauſcht. Das theilt man aber mit vielen, die aus
der Stadt hinaus kommen, und muß es im Gedränge
und Staube genießen. In Heinbach war Einſamkeit
und Stille, die blaue Luft ſchien unermeßlich, und
die Blüthenfülle wollte die Bäume erdrücken. Jeden
Morgen ſtrömte neue Würze durch die geöffneten Fen¬
ſter. Man fühlte in Heinbach, wie ſehr mich Unge¬
wohnten dieſer Reichthum überraſche und freue, und
man ſuchte mir dieſe Freude auf jede Weiſe noch fühl¬
barer zu machen und ſie zu erhöhen. Jeden Tag
wurden die Blumen in meiner Wohnung durch neu
aufgeblühte aus den Gewächshäuſern erſezt. Wenn
in dem freien Grunde ſich etwas zeigte, ſei es ein Ge¬
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/297>, abgerufen am 23.11.2024.
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