Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Stadt gaben mir Luft und Bewegung. Mathilden
sah ich einmal. Sie fuhr mit ihrer Mutter in einem
offenen Wagen in einer der breiten Strassen der Vor¬
städte in einer Gegend, in welcher ich sie nicht ver¬
muthet hatte. Ich blickte hin, erkannte sie, und meinte
umsinken zu müssen. Ob sie mich gesehen hat, weiß ich
nicht. Ich ging dann in meine Amtsstube zu meinem
Schreibtische. In der ersten Zeit wurde ich von meinen
Vorgesezten wenig beachtet. Ich arbeitete mit einem
außerordentlichen Fleiße, er war mir Arznei für eine
Wunde geworden, und ich flüchtete gern zu dieser
Arznei. So lange alle die Verhältnisse, welche in
meinen Amtsgeschäften vorkamen, in meinem Haupte
waren, war nichts anderes darin. Schmerzvoll waren
nur die Zwischenräume. Auch die Wissenschaften
leiteten nicht so sicher ab. Mein Fleiß lenkte endlich
die Aufmerksamkeit auf sich, man beförderte mich.
Anfangs ging es langsamer, dann schneller. Nach
dem Verlaufe von mehreren Jahren war ich in einer
der ehrenvolleren Stellungen des Staatsdienstes,
welche zu dem Verkehre mit dem gebildeteren Theile
der Stadteinwohnerschaft berechtigten, und ich hatte
die gegründete Aussicht, noch weiter zu steigen. In
solchen Verhältnissen werden gewöhnlich die Ehen mit

Stadt gaben mir Luft und Bewegung. Mathilden
ſah ich einmal. Sie fuhr mit ihrer Mutter in einem
offenen Wagen in einer der breiten Straſſen der Vor¬
ſtädte in einer Gegend, in welcher ich ſie nicht ver¬
muthet hatte. Ich blickte hin, erkannte ſie, und meinte
umſinken zu müſſen. Ob ſie mich geſehen hat, weiß ich
nicht. Ich ging dann in meine Amtsſtube zu meinem
Schreibtiſche. In der erſten Zeit wurde ich von meinen
Vorgeſezten wenig beachtet. Ich arbeitete mit einem
außerordentlichen Fleiße, er war mir Arznei für eine
Wunde geworden, und ich flüchtete gern zu dieſer
Arznei. So lange alle die Verhältniſſe, welche in
meinen Amtsgeſchäften vorkamen, in meinem Haupte
waren, war nichts anderes darin. Schmerzvoll waren
nur die Zwiſchenräume. Auch die Wiſſenſchaften
leiteten nicht ſo ſicher ab. Mein Fleiß lenkte endlich
die Aufmerkſamkeit auf ſich, man beförderte mich.
Anfangs ging es langſamer, dann ſchneller. Nach
dem Verlaufe von mehreren Jahren war ich in einer
der ehrenvolleren Stellungen des Staatsdienſtes,
welche zu dem Verkehre mit dem gebildeteren Theile
der Stadteinwohnerſchaft berechtigten, und ich hatte
die gegründete Ausſicht, noch weiter zu ſteigen. In
ſolchen Verhältniſſen werden gewöhnlich die Ehen mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0346" n="332"/>
Stadt gaben mir Luft und Bewegung. Mathilden<lb/>
&#x017F;ah ich einmal. Sie fuhr mit ihrer Mutter in einem<lb/>
offenen Wagen in einer der breiten Stra&#x017F;&#x017F;en der Vor¬<lb/>
&#x017F;tädte in einer Gegend, in welcher ich &#x017F;ie nicht ver¬<lb/>
muthet hatte. Ich blickte hin, erkannte &#x017F;ie, und meinte<lb/>
um&#x017F;inken zu mü&#x017F;&#x017F;en. Ob &#x017F;ie mich ge&#x017F;ehen hat, weiß ich<lb/>
nicht. Ich ging dann in meine Amts&#x017F;tube zu meinem<lb/>
Schreibti&#x017F;che. In der er&#x017F;ten Zeit wurde ich von meinen<lb/>
Vorge&#x017F;ezten wenig beachtet. Ich arbeitete mit einem<lb/>
außerordentlichen Fleiße, er war mir Arznei für eine<lb/>
Wunde geworden, und ich flüchtete gern zu die&#x017F;er<lb/>
Arznei. So lange alle die Verhältni&#x017F;&#x017F;e, welche in<lb/>
meinen Amtsge&#x017F;chäften vorkamen, in meinem Haupte<lb/>
waren, war nichts anderes darin. Schmerzvoll waren<lb/>
nur die Zwi&#x017F;chenräume. Auch die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
leiteten nicht &#x017F;o &#x017F;icher ab. Mein Fleiß lenkte endlich<lb/>
die Aufmerk&#x017F;amkeit auf &#x017F;ich, man beförderte mich.<lb/>
Anfangs ging es lang&#x017F;amer, dann &#x017F;chneller. Nach<lb/>
dem Verlaufe von mehreren Jahren war ich in einer<lb/>
der ehrenvolleren Stellungen des Staatsdien&#x017F;tes,<lb/>
welche zu dem Verkehre mit dem gebildeteren Theile<lb/>
der Stadteinwohner&#x017F;chaft berechtigten, und ich hatte<lb/>
die gegründete Aus&#x017F;icht, noch weiter zu &#x017F;teigen. In<lb/>
&#x017F;olchen Verhältni&#x017F;&#x017F;en werden gewöhnlich die Ehen mit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0346] Stadt gaben mir Luft und Bewegung. Mathilden ſah ich einmal. Sie fuhr mit ihrer Mutter in einem offenen Wagen in einer der breiten Straſſen der Vor¬ ſtädte in einer Gegend, in welcher ich ſie nicht ver¬ muthet hatte. Ich blickte hin, erkannte ſie, und meinte umſinken zu müſſen. Ob ſie mich geſehen hat, weiß ich nicht. Ich ging dann in meine Amtsſtube zu meinem Schreibtiſche. In der erſten Zeit wurde ich von meinen Vorgeſezten wenig beachtet. Ich arbeitete mit einem außerordentlichen Fleiße, er war mir Arznei für eine Wunde geworden, und ich flüchtete gern zu dieſer Arznei. So lange alle die Verhältniſſe, welche in meinen Amtsgeſchäften vorkamen, in meinem Haupte waren, war nichts anderes darin. Schmerzvoll waren nur die Zwiſchenräume. Auch die Wiſſenſchaften leiteten nicht ſo ſicher ab. Mein Fleiß lenkte endlich die Aufmerkſamkeit auf ſich, man beförderte mich. Anfangs ging es langſamer, dann ſchneller. Nach dem Verlaufe von mehreren Jahren war ich in einer der ehrenvolleren Stellungen des Staatsdienſtes, welche zu dem Verkehre mit dem gebildeteren Theile der Stadteinwohnerſchaft berechtigten, und ich hatte die gegründete Ausſicht, noch weiter zu ſteigen. In ſolchen Verhältniſſen werden gewöhnlich die Ehen mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/346
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/346>, abgerufen am 22.11.2024.