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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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die Zeichnungen, die ich in Farben von den Eisfeldern
ihren Einränderungen ihrer Einbuchtung ihrer Ab¬
gleitung und ihres oberen Ursprunges gemacht hatte,
und in meiner Mappe mit mir trug, hervor, und
breitete sie vor ihr aus. Sie ließ sich jedes auch das
kleinste an diesen Zeichnungen beschreiben und erklären.
Ich mußte ihr auch versprechen, bei nächster günstiger
Gelegenheit meine Zeichnung von dem Grunde des
Lautersees ihr vorzulegen und auf das Genaueste zu
erörtern. Es sei ihr dies doppelt wünschenswerth,
weil sie jezt selber zu einem See reise, der einer der
merkwürdigsten des südlichen Alpenabhanges sei. Hier¬
auf befragte sie mich um meine anderen Bestrebungen
auf dem Gebiete der bildenden Kunst, worauf ich er¬
wiederte, daß ich heuer außer den Gletscherzeichnungen,
die doch wieder fast nur wissenschaftlicher Natur seien,
nichts hatte machen können, weder in Landschaften
noch in Abbildung menschlicher Köpfe.

"Wenn ihr ein sehr schönes jugendliches Angesicht
abbilden wollt," sagte sie, "so müsset ihr suchen, das
Angesicht der jungen Tarona abbilden zu dürfen.
Ich bin alt, habe viel erfahren, habe sehr viele
Menschen gesehen und betrachtet, aber es ist mir
wenig vorgekommen, das edler, einnehmender und

die Zeichnungen, die ich in Farben von den Eisfeldern
ihren Einränderungen ihrer Einbuchtung ihrer Ab¬
gleitung und ihres oberen Urſprunges gemacht hatte,
und in meiner Mappe mit mir trug, hervor, und
breitete ſie vor ihr aus. Sie ließ ſich jedes auch das
kleinſte an dieſen Zeichnungen beſchreiben und erklären.
Ich mußte ihr auch verſprechen, bei nächſter günſtiger
Gelegenheit meine Zeichnung von dem Grunde des
Lauterſees ihr vorzulegen und auf das Genaueſte zu
erörtern. Es ſei ihr dies doppelt wünſchenswerth,
weil ſie jezt ſelber zu einem See reiſe, der einer der
merkwürdigſten des ſüdlichen Alpenabhanges ſei. Hier¬
auf befragte ſie mich um meine anderen Beſtrebungen
auf dem Gebiete der bildenden Kunſt, worauf ich er¬
wiederte, daß ich heuer außer den Gletſcherzeichnungen,
die doch wieder faſt nur wiſſenſchaftlicher Natur ſeien,
nichts hatte machen können, weder in Landſchaften
noch in Abbildung menſchlicher Köpfe.

„Wenn ihr ein ſehr ſchönes jugendliches Angeſicht
abbilden wollt,“ ſagte ſie, „ſo müſſet ihr ſuchen, das
Angeſicht der jungen Tarona abbilden zu dürfen.
Ich bin alt, habe viel erfahren, habe ſehr viele
Menſchen geſehen und betrachtet, aber es iſt mir
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[58/0072] die Zeichnungen, die ich in Farben von den Eisfeldern ihren Einränderungen ihrer Einbuchtung ihrer Ab¬ gleitung und ihres oberen Urſprunges gemacht hatte, und in meiner Mappe mit mir trug, hervor, und breitete ſie vor ihr aus. Sie ließ ſich jedes auch das kleinſte an dieſen Zeichnungen beſchreiben und erklären. Ich mußte ihr auch verſprechen, bei nächſter günſtiger Gelegenheit meine Zeichnung von dem Grunde des Lauterſees ihr vorzulegen und auf das Genaueſte zu erörtern. Es ſei ihr dies doppelt wünſchenswerth, weil ſie jezt ſelber zu einem See reiſe, der einer der merkwürdigſten des ſüdlichen Alpenabhanges ſei. Hier¬ auf befragte ſie mich um meine anderen Beſtrebungen auf dem Gebiete der bildenden Kunſt, worauf ich er¬ wiederte, daß ich heuer außer den Gletſcherzeichnungen, die doch wieder faſt nur wiſſenſchaftlicher Natur ſeien, nichts hatte machen können, weder in Landſchaften noch in Abbildung menſchlicher Köpfe. „Wenn ihr ein ſehr ſchönes jugendliches Angeſicht abbilden wollt,“ ſagte ſie, „ſo müſſet ihr ſuchen, das Angeſicht der jungen Tarona abbilden zu dürfen. Ich bin alt, habe viel erfahren, habe ſehr viele Menſchen geſehen und betrachtet, aber es iſt mir wenig vorgekommen, das edler, einnehmender und

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/72>, abgerufen am 21.11.2024.