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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Staatsmann, der die feinsten Abschattungen seines
Gegenstandes durchdrang, der die Gedanken der Völ¬
ker und die Absichten der Menschen und Regierungen,
mit denen er verkehrte, errieth, und es verstand, alle
Dinge seinen Zwecken dienstbar machen zu können,
so daß das anderen wie ein Zauberwerk eines
Geistes erschien, was gleichsam ein Naturgesez war.
In meiner Jugend kannte ich einen Mann, der mit
einem Verstande, über den wir uns vor Bewunderung
kaum zu fassen wußten, in die Tiefen eines Kunst¬
wesens, das er besprechen wollte, einging, und Ge¬
danken zu Tage brachte, von denen wir nicht begrie¬
fen, wie sie in das Herz eines Menschen haben kom¬
men können; während er die Meinungen und Absich¬
ten ganz gewöhnlicher Menschen und gerade solcher,
die tief unter ihm standen, nicht durchschaute, und
den nothwendigen Gang der Staaten nicht sah, weil
ihm das Auge dafür versagt war, oder weil er im
Drange seiner Gegenstände darauf nicht achtete. Ich
könnte noch mehrere Beispiele anführen: den zum
Feldherrn Geborenen im Richtersaale um mein und
dein, oder den, der wissenschaftliche Stoffe fördert,
in der Bildung eines Heeres. So hat Gott es auch
manchen gegeben, daß sie dem Schönen nachgehen

Stifter, Nachsommer. III. 6

Staatsmann, der die feinſten Abſchattungen ſeines
Gegenſtandes durchdrang, der die Gedanken der Völ¬
ker und die Abſichten der Menſchen und Regierungen,
mit denen er verkehrte, errieth, und es verſtand, alle
Dinge ſeinen Zwecken dienſtbar machen zu können,
ſo daß das anderen wie ein Zauberwerk eines
Geiſtes erſchien, was gleichſam ein Naturgeſez war.
In meiner Jugend kannte ich einen Mann, der mit
einem Verſtande, über den wir uns vor Bewunderung
kaum zu faſſen wußten, in die Tiefen eines Kunſt¬
weſens, das er beſprechen wollte, einging, und Ge¬
danken zu Tage brachte, von denen wir nicht begrie¬
fen, wie ſie in das Herz eines Menſchen haben kom¬
men können; während er die Meinungen und Abſich¬
ten ganz gewöhnlicher Menſchen und gerade ſolcher,
die tief unter ihm ſtanden, nicht durchſchaute, und
den nothwendigen Gang der Staaten nicht ſah, weil
ihm das Auge dafür verſagt war, oder weil er im
Drange ſeiner Gegenſtände darauf nicht achtete. Ich
könnte noch mehrere Beiſpiele anführen: den zum
Feldherrn Geborenen im Richterſaale um mein und
dein, oder den, der wiſſenſchaftliche Stoffe fördert,
in der Bildung eines Heeres. So hat Gott es auch
manchen gegeben, daß ſie dem Schönen nachgehen

Stifter, Nachſommer. III. 6
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[81/0095] Staatsmann, der die feinſten Abſchattungen ſeines Gegenſtandes durchdrang, der die Gedanken der Völ¬ ker und die Abſichten der Menſchen und Regierungen, mit denen er verkehrte, errieth, und es verſtand, alle Dinge ſeinen Zwecken dienſtbar machen zu können, ſo daß das anderen wie ein Zauberwerk eines Geiſtes erſchien, was gleichſam ein Naturgeſez war. In meiner Jugend kannte ich einen Mann, der mit einem Verſtande, über den wir uns vor Bewunderung kaum zu faſſen wußten, in die Tiefen eines Kunſt¬ weſens, das er beſprechen wollte, einging, und Ge¬ danken zu Tage brachte, von denen wir nicht begrie¬ fen, wie ſie in das Herz eines Menſchen haben kom¬ men können; während er die Meinungen und Abſich¬ ten ganz gewöhnlicher Menſchen und gerade ſolcher, die tief unter ihm ſtanden, nicht durchſchaute, und den nothwendigen Gang der Staaten nicht ſah, weil ihm das Auge dafür verſagt war, oder weil er im Drange ſeiner Gegenſtände darauf nicht achtete. Ich könnte noch mehrere Beiſpiele anführen: den zum Feldherrn Geborenen im Richterſaale um mein und dein, oder den, der wiſſenſchaftliche Stoffe fördert, in der Bildung eines Heeres. So hat Gott es auch manchen gegeben, daß ſie dem Schönen nachgehen Stifter, Nachſommer. III. 6

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/95>, abgerufen am 24.11.2024.