sehr lange und fast bis in das Greisenalter hinein behauptet hat. Der Mann Namens Dall war vor¬ züglich im Trauerspiele berühmt, obwohl er auch in andern Fächern namentlich im Schauspiele mit unge¬ wöhnlichem Erfolge auftrat. Es haben sich noch Er¬ zählungen von einzelnen Augenbliken erhalten, in denen er die Zuschauer bis zum Äußersten hinriß, zur äußersten Begeisterung oder zum äußersten Schauer, so daß sie nicht mehr im Theater sondern in der Wirklichkeit zu sein meinten, und mit Bangen den weiteren Verlauf der Dinge erwarteten. Besonders soll seine Darstellung hoher Personen von einer solchen Würde und Majestät gewesen sein, daß seither nichts mehr dem Ähnliches auf der Bühne zum Vor¬ scheine gekommen sei. Ein sehr gründlicher Kenner solcher Dinge sagte einst, daß Dall seine Rollen nicht durch künstliches Nachsinnen oder durch Vorberei¬ tungen und Einübungen sich zurecht gelegt, sondern daß er sich in dieselben, wenn sie seinem Wesen zusag¬ ten, hineingelebt habe, daß er sich dann auf seine Persönlichkeit verließ, die ihm im rechten Augenblike eingab, was er zu thun habe, und daß er auf diese Weise nicht die Rollen spielte, sondern das in ihnen Geschilderte wirklich war. Daraus erklärt sich, daß, wenn er sich der Lage grenzenlos hingab, er im
ſehr lange und faſt bis in das Greiſenalter hinein behauptet hat. Der Mann Namens Dall war vor¬ züglich im Trauerſpiele berühmt, obwohl er auch in andern Fächern namentlich im Schauſpiele mit unge¬ wöhnlichem Erfolge auftrat. Es haben ſich noch Er¬ zählungen von einzelnen Augenbliken erhalten, in denen er die Zuſchauer bis zum Äußerſten hinriß, zur äußerſten Begeiſterung oder zum äußerſten Schauer, ſo daß ſie nicht mehr im Theater ſondern in der Wirklichkeit zu ſein meinten, und mit Bangen den weiteren Verlauf der Dinge erwarteten. Beſonders ſoll ſeine Darſtellung hoher Perſonen von einer ſolchen Würde und Majeſtät geweſen ſein, daß ſeither nichts mehr dem Ähnliches auf der Bühne zum Vor¬ ſcheine gekommen ſei. Ein ſehr gründlicher Kenner ſolcher Dinge ſagte einſt, daß Dall ſeine Rollen nicht durch künſtliches Nachſinnen oder durch Vorberei¬ tungen und Einübungen ſich zurecht gelegt, ſondern daß er ſich in dieſelben, wenn ſie ſeinem Weſen zuſag¬ ten, hineingelebt habe, daß er ſich dann auf ſeine Perſönlichkeit verließ, die ihm im rechten Augenblike eingab, was er zu thun habe, und daß er auf dieſe Weiſe nicht die Rollen ſpielte, ſondern das in ihnen Geſchilderte wirklich war. Daraus erklärt ſich, daß, wenn er ſich der Lage grenzenlos hingab, er im
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0218"n="205"/>ſehr lange und faſt bis in das Greiſenalter hinein<lb/>
behauptet hat. Der Mann Namens Dall war vor¬<lb/>
züglich im Trauerſpiele berühmt, obwohl er auch in<lb/>
andern Fächern namentlich im Schauſpiele mit unge¬<lb/>
wöhnlichem Erfolge auftrat. Es haben ſich noch Er¬<lb/>
zählungen von einzelnen Augenbliken erhalten, in<lb/>
denen er die Zuſchauer bis zum Äußerſten hinriß, zur<lb/>
äußerſten Begeiſterung oder zum äußerſten Schauer,<lb/>ſo daß ſie nicht mehr im Theater ſondern in der<lb/>
Wirklichkeit zu ſein meinten, und mit Bangen den<lb/>
weiteren Verlauf der Dinge erwarteten. Beſonders<lb/>ſoll ſeine Darſtellung hoher Perſonen von einer<lb/>ſolchen Würde und Majeſtät geweſen ſein, daß ſeither<lb/>
nichts mehr dem Ähnliches auf der Bühne zum Vor¬<lb/>ſcheine gekommen ſei. Ein ſehr gründlicher Kenner<lb/>ſolcher Dinge ſagte einſt, daß Dall ſeine Rollen nicht<lb/>
durch künſtliches Nachſinnen oder durch Vorberei¬<lb/>
tungen und Einübungen ſich zurecht gelegt, ſondern<lb/>
daß er ſich in dieſelben, wenn ſie ſeinem Weſen zuſag¬<lb/>
ten, hineingelebt habe, daß er ſich dann auf ſeine<lb/>
Perſönlichkeit verließ, die ihm im rechten Augenblike<lb/>
eingab, was er zu thun habe, und daß er auf dieſe<lb/>
Weiſe nicht die Rollen ſpielte, ſondern das in ihnen<lb/>
Geſchilderte wirklich war. Daraus erklärt ſich, daß,<lb/>
wenn er ſich der Lage grenzenlos hingab, er im<lb/></p></div></body></text></TEI>
[205/0218]
ſehr lange und faſt bis in das Greiſenalter hinein
behauptet hat. Der Mann Namens Dall war vor¬
züglich im Trauerſpiele berühmt, obwohl er auch in
andern Fächern namentlich im Schauſpiele mit unge¬
wöhnlichem Erfolge auftrat. Es haben ſich noch Er¬
zählungen von einzelnen Augenbliken erhalten, in
denen er die Zuſchauer bis zum Äußerſten hinriß, zur
äußerſten Begeiſterung oder zum äußerſten Schauer,
ſo daß ſie nicht mehr im Theater ſondern in der
Wirklichkeit zu ſein meinten, und mit Bangen den
weiteren Verlauf der Dinge erwarteten. Beſonders
ſoll ſeine Darſtellung hoher Perſonen von einer
ſolchen Würde und Majeſtät geweſen ſein, daß ſeither
nichts mehr dem Ähnliches auf der Bühne zum Vor¬
ſcheine gekommen ſei. Ein ſehr gründlicher Kenner
ſolcher Dinge ſagte einſt, daß Dall ſeine Rollen nicht
durch künſtliches Nachſinnen oder durch Vorberei¬
tungen und Einübungen ſich zurecht gelegt, ſondern
daß er ſich in dieſelben, wenn ſie ſeinem Weſen zuſag¬
ten, hineingelebt habe, daß er ſich dann auf ſeine
Perſönlichkeit verließ, die ihm im rechten Augenblike
eingab, was er zu thun habe, und daß er auf dieſe
Weiſe nicht die Rollen ſpielte, ſondern das in ihnen
Geſchilderte wirklich war. Daraus erklärt ſich, daß,
wenn er ſich der Lage grenzenlos hingab, er im
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/218>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.