Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

waren von dem kurzen Grase schon so glatt gewor¬
den, daß ich kaum einen Schritt mehr zu thun ver¬
mochte, und beim Gehen nach allen Richtungen ausglitt.
Da der Großvater diesen Zustand bemerkt hatte, sagte
er: "Du mußt mit den Füssen nicht so schleifen; auf
diesem Grase muß man den Tritt gleich hinstellen,
daß er gilt, sonst bohnt man die Sohlen glatt, und es
ist kein sicherer Halt möglich. Siehst du, alles muß
man lernen, selbst das Gehen. Aber komme, reiche
mir die Hand, ich werde dich führen, daß du ohne
Mühsal fort kömmst."

Er reichte mir die Hand, ich faßte sie, und ging
nun gestüzt und gesicherter weiter.

Der Großvater zeigte nach einer Weile auf einen
Baum, und sagte: "Das ist die Drillingsföhre."

Ein großer Stamm ging in die Höhe, und trug
drei schlanke Bäume, welche in den Lüften ihre Äste
und Zweige vermischten. Zu seinen Füssen lag eine
Menge herabgefallener Nadeln.

"Ich weiß es nicht," sagte der Großvater, "hatte
das Vöglein die Worte gesungen, oder hat sie Gott
dem Manne in das Herz gegeben: aber die Dril¬
lingsföhre darf nicht umgehauen werden, und
ihrem Stamme und ihren Ästen darf kein Schaden
geschehen."

waren von dem kurzen Graſe ſchon ſo glatt gewor¬
den, daß ich kaum einen Schritt mehr zu thun ver¬
mochte, und beim Gehen nach allen Richtungen ausglitt.
Da der Großvater dieſen Zuſtand bemerkt hatte, ſagte
er: „Du mußt mit den Füſſen nicht ſo ſchleifen; auf
dieſem Graſe muß man den Tritt gleich hinſtellen,
daß er gilt, ſonſt bohnt man die Sohlen glatt, und es
iſt kein ſicherer Halt möglich. Siehſt du, alles muß
man lernen, ſelbſt das Gehen. Aber komme, reiche
mir die Hand, ich werde dich führen, daß du ohne
Mühſal fort kömmſt.“

Er reichte mir die Hand, ich faßte ſie, und ging
nun geſtüzt und geſicherter weiter.

Der Großvater zeigte nach einer Weile auf einen
Baum, und ſagte: „Das iſt die Drillingsföhre.“

Ein großer Stamm ging in die Höhe, und trug
drei ſchlanke Bäume, welche in den Lüften ihre Äſte
und Zweige vermiſchten. Zu ſeinen Füſſen lag eine
Menge herabgefallener Nadeln.

„Ich weiß es nicht,“ ſagte der Großvater, „hatte
das Vöglein die Worte geſungen, oder hat ſie Gott
dem Manne in das Herz gegeben: aber die Dril¬
lingsföhre darf nicht umgehauen werden, und
ihrem Stamme und ihren Äſten darf kein Schaden
geſchehen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0061" n="48"/>
waren von dem kurzen Gra&#x017F;e &#x017F;chon &#x017F;o glatt gewor¬<lb/>
den, daß ich kaum einen Schritt mehr zu thun ver¬<lb/>
mochte, und beim Gehen nach allen Richtungen ausglitt.<lb/>
Da der Großvater die&#x017F;en Zu&#x017F;tand bemerkt hatte, &#x017F;agte<lb/>
er: &#x201E;Du mußt mit den Fü&#x017F;&#x017F;en nicht &#x017F;o &#x017F;chleifen; auf<lb/>
die&#x017F;em Gra&#x017F;e muß man den Tritt gleich hin&#x017F;tellen,<lb/>
daß er gilt, &#x017F;on&#x017F;t bohnt man die Sohlen glatt, und es<lb/>
i&#x017F;t kein &#x017F;icherer Halt möglich. Sieh&#x017F;t du, alles muß<lb/>
man lernen, &#x017F;elb&#x017F;t das Gehen. Aber komme, reiche<lb/>
mir die Hand, ich werde dich führen, daß du ohne<lb/>
Müh&#x017F;al fort kömm&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Er reichte mir die Hand, ich faßte &#x017F;ie, und ging<lb/>
nun ge&#x017F;tüzt und ge&#x017F;icherter weiter.</p><lb/>
          <p>Der Großvater zeigte nach einer Weile auf einen<lb/>
Baum, und &#x017F;agte: &#x201E;Das i&#x017F;t die Drillingsföhre.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ein großer Stamm ging in die Höhe, und trug<lb/>
drei &#x017F;chlanke Bäume, welche in den Lüften ihre Ä&#x017F;te<lb/>
und Zweige vermi&#x017F;chten. Zu &#x017F;einen Fü&#x017F;&#x017F;en lag eine<lb/>
Menge herabgefallener Nadeln.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich weiß es nicht,&#x201C; &#x017F;agte der Großvater, &#x201E;hatte<lb/>
das Vöglein die Worte ge&#x017F;ungen, oder hat &#x017F;ie Gott<lb/>
dem Manne in das Herz gegeben: aber die Dril¬<lb/>
lingsföhre darf nicht umgehauen werden, und<lb/>
ihrem Stamme und ihren Ä&#x017F;ten darf kein Schaden<lb/>
ge&#x017F;chehen.&#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0061] waren von dem kurzen Graſe ſchon ſo glatt gewor¬ den, daß ich kaum einen Schritt mehr zu thun ver¬ mochte, und beim Gehen nach allen Richtungen ausglitt. Da der Großvater dieſen Zuſtand bemerkt hatte, ſagte er: „Du mußt mit den Füſſen nicht ſo ſchleifen; auf dieſem Graſe muß man den Tritt gleich hinſtellen, daß er gilt, ſonſt bohnt man die Sohlen glatt, und es iſt kein ſicherer Halt möglich. Siehſt du, alles muß man lernen, ſelbſt das Gehen. Aber komme, reiche mir die Hand, ich werde dich führen, daß du ohne Mühſal fort kömmſt.“ Er reichte mir die Hand, ich faßte ſie, und ging nun geſtüzt und geſicherter weiter. Der Großvater zeigte nach einer Weile auf einen Baum, und ſagte: „Das iſt die Drillingsföhre.“ Ein großer Stamm ging in die Höhe, und trug drei ſchlanke Bäume, welche in den Lüften ihre Äſte und Zweige vermiſchten. Zu ſeinen Füſſen lag eine Menge herabgefallener Nadeln. „Ich weiß es nicht,“ ſagte der Großvater, „hatte das Vöglein die Worte geſungen, oder hat ſie Gott dem Manne in das Herz gegeben: aber die Dril¬ lingsföhre darf nicht umgehauen werden, und ihrem Stamme und ihren Äſten darf kein Schaden geſchehen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/61
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/61>, abgerufen am 26.11.2024.