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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853.

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"Ich sehe keine Bäume mehr," sagte Sanna.

"Vielleicht ist nur der Weg so breit, daß wir sie
wegen des Schneiens nicht sehen können," antwortete
der Knabe.

"Ja, Konrad," sagte das Mädchen.

Nach einer Weile blieb der Knabe stehen, und
sagte: "Ich sehe selber keine Bäume mehr, wir müs¬
sen aus dem Walde gekommen sein, auch geht der
Weg immer bergan. Wir wollen ein wenig stehen
bleiben, und herum sehen, vielleicht erbliken wir
etwas."

Aber sie erblikten nichts. Sie sahen durch einen
trüben Raum in den Himmel. Wie bei dem Hagel
über die weißen oder grünlich gedunsenen Wolken die
finsteren fransenartigen Streifen herabstarren, so war
es hier, und das stumme Schütten dauerte fort. Auf
der Erde sahen sie nur einen runden Flek Weiß und
dann nichts mehr.

"Weißt du Sanna," sagte der Knabe, "wir sind
auf dem dürren Grase, auf welches ich dich oft im
Sommer herauf geführt habe, wo wir saßen, und wo
wir den Rasen betrachteten, der nach einander hinauf
geht, und wo die schönen Kräuterbüschel wachsen.
Wir werden da jezt gleich rechts hinab gehen!"

"Ja Konrad."

„Ich ſehe keine Bäume mehr,“ ſagte Sanna.

„Vielleicht iſt nur der Weg ſo breit, daß wir ſie
wegen des Schneiens nicht ſehen können,“ antwortete
der Knabe.

„Ja, Konrad,“ ſagte das Mädchen.

Nach einer Weile blieb der Knabe ſtehen, und
ſagte: „Ich ſehe ſelber keine Bäume mehr, wir müſ¬
ſen aus dem Walde gekommen ſein, auch geht der
Weg immer bergan. Wir wollen ein wenig ſtehen
bleiben, und herum ſehen, vielleicht erbliken wir
etwas.“

Aber ſie erblikten nichts. Sie ſahen durch einen
trüben Raum in den Himmel. Wie bei dem Hagel
über die weißen oder grünlich gedunſenen Wolken die
finſteren franſenartigen Streifen herabſtarren, ſo war
es hier, und das ſtumme Schütten dauerte fort. Auf
der Erde ſahen ſie nur einen runden Flek Weiß und
dann nichts mehr.

„Weißt du Sanna,“ ſagte der Knabe, „wir ſind
auf dem dürren Graſe, auf welches ich dich oft im
Sommer herauf geführt habe, wo wir ſaßen, und wo
wir den Raſen betrachteten, der nach einander hinauf
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Wir werden da jezt gleich rechts hinab gehen!“

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[50/0061] „Ich ſehe keine Bäume mehr,“ ſagte Sanna. „Vielleicht iſt nur der Weg ſo breit, daß wir ſie wegen des Schneiens nicht ſehen können,“ antwortete der Knabe. „Ja, Konrad,“ ſagte das Mädchen. Nach einer Weile blieb der Knabe ſtehen, und ſagte: „Ich ſehe ſelber keine Bäume mehr, wir müſ¬ ſen aus dem Walde gekommen ſein, auch geht der Weg immer bergan. Wir wollen ein wenig ſtehen bleiben, und herum ſehen, vielleicht erbliken wir etwas.“ Aber ſie erblikten nichts. Sie ſahen durch einen trüben Raum in den Himmel. Wie bei dem Hagel über die weißen oder grünlich gedunſenen Wolken die finſteren franſenartigen Streifen herabſtarren, ſo war es hier, und das ſtumme Schütten dauerte fort. Auf der Erde ſahen ſie nur einen runden Flek Weiß und dann nichts mehr. „Weißt du Sanna,“ ſagte der Knabe, „wir ſind auf dem dürren Graſe, auf welches ich dich oft im Sommer herauf geführt habe, wo wir ſaßen, und wo wir den Raſen betrachteten, der nach einander hinauf geht, und wo die ſchönen Kräuterbüſchel wachſen. Wir werden da jezt gleich rechts hinab gehen!“ „Ja Konrad.“

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/61>, abgerufen am 21.11.2024.