Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen, schließt der Philanthrop in sein Herz. Allerdings
bekümmert er sich um jeden Einzelnen, aber nur deswegen,
weil er sein geliebtes Ideal überall verwirklicht sehen möchte.

Also von der Sorge um Mich, Dich, Uns ist hier keine
Rede: das wäre persönliches Interesse und gehört in das Ca¬
pitel von der "weltlichen Liebe". Der Philanthropismus ist
eine himmlische, geistige, eine -- pfäffische Liebe. Der
Mensch
muß in Uns hergestellt werden, und gingen Wir ar¬
men Teufel darüber auch zu Grunde. Es ist derselbe pfäffische
Grundsatz, wie jenes berühmte fiat justitia, pereat mundus:
Mensch und Gerechtigkeit sind Ideen, Gespenster, denen zu
Liebe alles geopfert wird: darum sind die pfäffischen Geister die
"aufopfernden".

Wer für den Menschen schwärmt, der läßt, so weit jene
Schwärmerei sich erstreckt, die Personen außer Acht und
schwimmt in einem idealen, heiligen Interesse. Der Mensch
ist ja keine Person, sondern ein Ideal, ein Spuk.

Zu dem Menschen kann nun das Allerverschiedenste ge¬
hören und gerechnet werden. Findet man das Haupterforder¬
niß desselben in der Frömmigkeit, so entsteht das religiöse
Pfaffenthum; sieht man's in der Sittlichkeit, so erhebt das
sittliche Pfaffenthum sein Haupt. Die pfäffischen Geister un¬
serer Tage möchten deshalb aus Allem eine "Religion" ma¬
chen; eine "Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit
u. s. w.", und alle Ideen werden ihnen zu einer "heiligen
Sache", z. B. selbst das Staatsbürgerthum, die Politik, die
Oeffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht u. s. w.

Was heißt nun in diesem Sinne "Uneigennützigkeit"?
Nur ein ideales Interesse haben, vor welchem kein Ansehen der
Person gilt!

Menſchen, ſchließt der Philanthrop in ſein Herz. Allerdings
bekümmert er ſich um jeden Einzelnen, aber nur deswegen,
weil er ſein geliebtes Ideal überall verwirklicht ſehen möchte.

Alſo von der Sorge um Mich, Dich, Uns iſt hier keine
Rede: das wäre perſönliches Intereſſe und gehört in das Ca¬
pitel von der „weltlichen Liebe“. Der Philanthropismus iſt
eine himmliſche, geiſtige, eine — pfäffiſche Liebe. Der
Menſch
muß in Uns hergeſtellt werden, und gingen Wir ar¬
men Teufel darüber auch zu Grunde. Es iſt derſelbe pfäffiſche
Grundſatz, wie jenes berühmte fiat justitia, pereat mundus:
Menſch und Gerechtigkeit ſind Ideen, Geſpenſter, denen zu
Liebe alles geopfert wird: darum ſind die pfäffiſchen Geiſter die
„aufopfernden“.

Wer für den Menſchen ſchwärmt, der läßt, ſo weit jene
Schwärmerei ſich erſtreckt, die Perſonen außer Acht und
ſchwimmt in einem idealen, heiligen Intereſſe. Der Menſch
iſt ja keine Perſon, ſondern ein Ideal, ein Spuk.

Zu dem Menſchen kann nun das Allerverſchiedenſte ge¬
hören und gerechnet werden. Findet man das Haupterforder¬
niß deſſelben in der Frömmigkeit, ſo entſteht das religiöſe
Pfaffenthum; ſieht man's in der Sittlichkeit, ſo erhebt das
ſittliche Pfaffenthum ſein Haupt. Die pfäffiſchen Geiſter un¬
ſerer Tage möchten deshalb aus Allem eine „Religion“ ma¬
chen; eine „Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit
u. ſ. w.“, und alle Ideen werden ihnen zu einer „heiligen
Sache“, z. B. ſelbſt das Staatsbürgerthum, die Politik, die
Oeffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht u. ſ. w.

Was heißt nun in dieſem Sinne „Uneigennützigkeit“?
Nur ein ideales Intereſſe haben, vor welchem kein Anſehen der
Perſon gilt!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0111" n="103"/>
Men&#x017F;chen, &#x017F;chließt der Philanthrop in &#x017F;ein Herz. Allerdings<lb/>
bekümmert er &#x017F;ich um jeden Einzelnen, aber nur deswegen,<lb/>
weil er &#x017F;ein geliebtes Ideal überall verwirklicht &#x017F;ehen möchte.</p><lb/>
              <p>Al&#x017F;o von der Sorge um Mich, Dich, Uns i&#x017F;t hier keine<lb/>
Rede: das wäre per&#x017F;önliches Intere&#x017F;&#x017F;e und gehört in das Ca¬<lb/>
pitel von der &#x201E;weltlichen Liebe&#x201C;. Der Philanthropismus i&#x017F;t<lb/>
eine himmli&#x017F;che, gei&#x017F;tige, eine &#x2014; pfäffi&#x017F;che Liebe. <hi rendition="#g">Der<lb/>
Men&#x017F;ch</hi> muß in Uns herge&#x017F;tellt werden, und gingen Wir ar¬<lb/>
men Teufel darüber auch zu Grunde. Es i&#x017F;t der&#x017F;elbe pfäffi&#x017F;che<lb/>
Grund&#x017F;atz, wie jenes berühmte <hi rendition="#aq">fiat justitia, pereat mundus</hi>:<lb/>
Men&#x017F;ch und Gerechtigkeit &#x017F;ind Ideen, Ge&#x017F;pen&#x017F;ter, denen zu<lb/>
Liebe alles geopfert wird: darum &#x017F;ind die pfäffi&#x017F;chen Gei&#x017F;ter die<lb/>
&#x201E;aufopfernden&#x201C;.</p><lb/>
              <p>Wer für <hi rendition="#g">den</hi> Men&#x017F;chen &#x017F;chwärmt, der läßt, &#x017F;o weit jene<lb/>
Schwärmerei &#x017F;ich er&#x017F;treckt, die Per&#x017F;onen außer Acht und<lb/>
&#x017F;chwimmt in einem idealen, heiligen Intere&#x017F;&#x017F;e. <hi rendition="#g">Der</hi> Men&#x017F;ch<lb/>
i&#x017F;t ja keine Per&#x017F;on, &#x017F;ondern ein Ideal, ein Spuk.</p><lb/>
              <p>Zu <hi rendition="#g">dem</hi> Men&#x017F;chen kann nun das Allerver&#x017F;chieden&#x017F;te ge¬<lb/>
hören und gerechnet werden. Findet man das Haupterforder¬<lb/>
niß de&#x017F;&#x017F;elben in der Frömmigkeit, &#x017F;o ent&#x017F;teht das religiö&#x017F;e<lb/>
Pfaffenthum; &#x017F;ieht man's in der Sittlichkeit, &#x017F;o erhebt das<lb/>
&#x017F;ittliche Pfaffenthum &#x017F;ein Haupt. Die pfäffi&#x017F;chen Gei&#x017F;ter un¬<lb/>
&#x017F;erer Tage möchten deshalb aus Allem eine &#x201E;Religion&#x201C; ma¬<lb/>
chen; eine &#x201E;Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit<lb/>
u. &#x017F;. w.&#x201C;, und alle Ideen werden ihnen zu einer &#x201E;heiligen<lb/>
Sache&#x201C;, z. B. &#x017F;elb&#x017F;t das Staatsbürgerthum, die Politik, die<lb/>
Oeffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht u. &#x017F;. w.</p><lb/>
              <p>Was heißt nun in die&#x017F;em Sinne &#x201E;Uneigennützigkeit&#x201C;?<lb/>
Nur ein ideales Intere&#x017F;&#x017F;e haben, vor welchem kein An&#x017F;ehen der<lb/>
Per&#x017F;on gilt!</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0111] Menſchen, ſchließt der Philanthrop in ſein Herz. Allerdings bekümmert er ſich um jeden Einzelnen, aber nur deswegen, weil er ſein geliebtes Ideal überall verwirklicht ſehen möchte. Alſo von der Sorge um Mich, Dich, Uns iſt hier keine Rede: das wäre perſönliches Intereſſe und gehört in das Ca¬ pitel von der „weltlichen Liebe“. Der Philanthropismus iſt eine himmliſche, geiſtige, eine — pfäffiſche Liebe. Der Menſch muß in Uns hergeſtellt werden, und gingen Wir ar¬ men Teufel darüber auch zu Grunde. Es iſt derſelbe pfäffiſche Grundſatz, wie jenes berühmte fiat justitia, pereat mundus: Menſch und Gerechtigkeit ſind Ideen, Geſpenſter, denen zu Liebe alles geopfert wird: darum ſind die pfäffiſchen Geiſter die „aufopfernden“. Wer für den Menſchen ſchwärmt, der läßt, ſo weit jene Schwärmerei ſich erſtreckt, die Perſonen außer Acht und ſchwimmt in einem idealen, heiligen Intereſſe. Der Menſch iſt ja keine Perſon, ſondern ein Ideal, ein Spuk. Zu dem Menſchen kann nun das Allerverſchiedenſte ge¬ hören und gerechnet werden. Findet man das Haupterforder¬ niß deſſelben in der Frömmigkeit, ſo entſteht das religiöſe Pfaffenthum; ſieht man's in der Sittlichkeit, ſo erhebt das ſittliche Pfaffenthum ſein Haupt. Die pfäffiſchen Geiſter un¬ ſerer Tage möchten deshalb aus Allem eine „Religion“ ma¬ chen; eine „Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit u. ſ. w.“, und alle Ideen werden ihnen zu einer „heiligen Sache“, z. B. ſelbſt das Staatsbürgerthum, die Politik, die Oeffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht u. ſ. w. Was heißt nun in dieſem Sinne „Uneigennützigkeit“? Nur ein ideales Intereſſe haben, vor welchem kein Anſehen der Perſon gilt!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/111
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/111>, abgerufen am 23.11.2024.