Menschen, schließt der Philanthrop in sein Herz. Allerdings bekümmert er sich um jeden Einzelnen, aber nur deswegen, weil er sein geliebtes Ideal überall verwirklicht sehen möchte.
Also von der Sorge um Mich, Dich, Uns ist hier keine Rede: das wäre persönliches Interesse und gehört in das Ca¬ pitel von der "weltlichen Liebe". Der Philanthropismus ist eine himmlische, geistige, eine -- pfäffische Liebe. Der Mensch muß in Uns hergestellt werden, und gingen Wir ar¬ men Teufel darüber auch zu Grunde. Es ist derselbe pfäffische Grundsatz, wie jenes berühmte fiat justitia, pereat mundus: Mensch und Gerechtigkeit sind Ideen, Gespenster, denen zu Liebe alles geopfert wird: darum sind die pfäffischen Geister die "aufopfernden".
Wer für den Menschen schwärmt, der läßt, so weit jene Schwärmerei sich erstreckt, die Personen außer Acht und schwimmt in einem idealen, heiligen Interesse. Der Mensch ist ja keine Person, sondern ein Ideal, ein Spuk.
Zu dem Menschen kann nun das Allerverschiedenste ge¬ hören und gerechnet werden. Findet man das Haupterforder¬ niß desselben in der Frömmigkeit, so entsteht das religiöse Pfaffenthum; sieht man's in der Sittlichkeit, so erhebt das sittliche Pfaffenthum sein Haupt. Die pfäffischen Geister un¬ serer Tage möchten deshalb aus Allem eine "Religion" ma¬ chen; eine "Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit u. s. w.", und alle Ideen werden ihnen zu einer "heiligen Sache", z. B. selbst das Staatsbürgerthum, die Politik, die Oeffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht u. s. w.
Was heißt nun in diesem Sinne "Uneigennützigkeit"? Nur ein ideales Interesse haben, vor welchem kein Ansehen der Person gilt!
Menſchen, ſchließt der Philanthrop in ſein Herz. Allerdings bekümmert er ſich um jeden Einzelnen, aber nur deswegen, weil er ſein geliebtes Ideal überall verwirklicht ſehen möchte.
Alſo von der Sorge um Mich, Dich, Uns iſt hier keine Rede: das wäre perſönliches Intereſſe und gehört in das Ca¬ pitel von der „weltlichen Liebe“. Der Philanthropismus iſt eine himmliſche, geiſtige, eine — pfäffiſche Liebe. Der Menſch muß in Uns hergeſtellt werden, und gingen Wir ar¬ men Teufel darüber auch zu Grunde. Es iſt derſelbe pfäffiſche Grundſatz, wie jenes berühmte fiat justitia, pereat mundus: Menſch und Gerechtigkeit ſind Ideen, Geſpenſter, denen zu Liebe alles geopfert wird: darum ſind die pfäffiſchen Geiſter die „aufopfernden“.
Wer für den Menſchen ſchwärmt, der läßt, ſo weit jene Schwärmerei ſich erſtreckt, die Perſonen außer Acht und ſchwimmt in einem idealen, heiligen Intereſſe. Der Menſch iſt ja keine Perſon, ſondern ein Ideal, ein Spuk.
Zu dem Menſchen kann nun das Allerverſchiedenſte ge¬ hören und gerechnet werden. Findet man das Haupterforder¬ niß deſſelben in der Frömmigkeit, ſo entſteht das religiöſe Pfaffenthum; ſieht man's in der Sittlichkeit, ſo erhebt das ſittliche Pfaffenthum ſein Haupt. Die pfäffiſchen Geiſter un¬ ſerer Tage möchten deshalb aus Allem eine „Religion“ ma¬ chen; eine „Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit u. ſ. w.“, und alle Ideen werden ihnen zu einer „heiligen Sache“, z. B. ſelbſt das Staatsbürgerthum, die Politik, die Oeffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht u. ſ. w.
Was heißt nun in dieſem Sinne „Uneigennützigkeit“? Nur ein ideales Intereſſe haben, vor welchem kein Anſehen der Perſon gilt!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0111"n="103"/>
Menſchen, ſchließt der Philanthrop in ſein Herz. Allerdings<lb/>
bekümmert er ſich um jeden Einzelnen, aber nur deswegen,<lb/>
weil er ſein geliebtes Ideal überall verwirklicht ſehen möchte.</p><lb/><p>Alſo von der Sorge um Mich, Dich, Uns iſt hier keine<lb/>
Rede: das wäre perſönliches Intereſſe und gehört in das Ca¬<lb/>
pitel von der „weltlichen Liebe“. Der Philanthropismus iſt<lb/>
eine himmliſche, geiſtige, eine — pfäffiſche Liebe. <hirendition="#g">Der<lb/>
Menſch</hi> muß in Uns hergeſtellt werden, und gingen Wir ar¬<lb/>
men Teufel darüber auch zu Grunde. Es iſt derſelbe pfäffiſche<lb/>
Grundſatz, wie jenes berühmte <hirendition="#aq">fiat justitia, pereat mundus</hi>:<lb/>
Menſch und Gerechtigkeit ſind Ideen, Geſpenſter, denen zu<lb/>
Liebe alles geopfert wird: darum ſind die pfäffiſchen Geiſter die<lb/>„aufopfernden“.</p><lb/><p>Wer für <hirendition="#g">den</hi> Menſchen ſchwärmt, der läßt, ſo weit jene<lb/>
Schwärmerei ſich erſtreckt, die Perſonen außer Acht und<lb/>ſchwimmt in einem idealen, heiligen Intereſſe. <hirendition="#g">Der</hi> Menſch<lb/>
iſt ja keine Perſon, ſondern ein Ideal, ein Spuk.</p><lb/><p>Zu <hirendition="#g">dem</hi> Menſchen kann nun das Allerverſchiedenſte ge¬<lb/>
hören und gerechnet werden. Findet man das Haupterforder¬<lb/>
niß deſſelben in der Frömmigkeit, ſo entſteht das religiöſe<lb/>
Pfaffenthum; ſieht man's in der Sittlichkeit, ſo erhebt das<lb/>ſittliche Pfaffenthum ſein Haupt. Die pfäffiſchen Geiſter un¬<lb/>ſerer Tage möchten deshalb aus Allem eine „Religion“ ma¬<lb/>
chen; eine „Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit<lb/>
u. ſ. w.“, und alle Ideen werden ihnen zu einer „heiligen<lb/>
Sache“, z. B. ſelbſt das Staatsbürgerthum, die Politik, die<lb/>
Oeffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht u. ſ. w.</p><lb/><p>Was heißt nun in dieſem Sinne „Uneigennützigkeit“?<lb/>
Nur ein ideales Intereſſe haben, vor welchem kein Anſehen der<lb/>
Perſon gilt!</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[103/0111]
Menſchen, ſchließt der Philanthrop in ſein Herz. Allerdings
bekümmert er ſich um jeden Einzelnen, aber nur deswegen,
weil er ſein geliebtes Ideal überall verwirklicht ſehen möchte.
Alſo von der Sorge um Mich, Dich, Uns iſt hier keine
Rede: das wäre perſönliches Intereſſe und gehört in das Ca¬
pitel von der „weltlichen Liebe“. Der Philanthropismus iſt
eine himmliſche, geiſtige, eine — pfäffiſche Liebe. Der
Menſch muß in Uns hergeſtellt werden, und gingen Wir ar¬
men Teufel darüber auch zu Grunde. Es iſt derſelbe pfäffiſche
Grundſatz, wie jenes berühmte fiat justitia, pereat mundus:
Menſch und Gerechtigkeit ſind Ideen, Geſpenſter, denen zu
Liebe alles geopfert wird: darum ſind die pfäffiſchen Geiſter die
„aufopfernden“.
Wer für den Menſchen ſchwärmt, der läßt, ſo weit jene
Schwärmerei ſich erſtreckt, die Perſonen außer Acht und
ſchwimmt in einem idealen, heiligen Intereſſe. Der Menſch
iſt ja keine Perſon, ſondern ein Ideal, ein Spuk.
Zu dem Menſchen kann nun das Allerverſchiedenſte ge¬
hören und gerechnet werden. Findet man das Haupterforder¬
niß deſſelben in der Frömmigkeit, ſo entſteht das religiöſe
Pfaffenthum; ſieht man's in der Sittlichkeit, ſo erhebt das
ſittliche Pfaffenthum ſein Haupt. Die pfäffiſchen Geiſter un¬
ſerer Tage möchten deshalb aus Allem eine „Religion“ ma¬
chen; eine „Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit
u. ſ. w.“, und alle Ideen werden ihnen zu einer „heiligen
Sache“, z. B. ſelbſt das Staatsbürgerthum, die Politik, die
Oeffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht u. ſ. w.
Was heißt nun in dieſem Sinne „Uneigennützigkeit“?
Nur ein ideales Intereſſe haben, vor welchem kein Anſehen der
Perſon gilt!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/111>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.