sich nur um so gesetzlicher zu sein, je rationalistischer man das vorige mangelhafte Gesetz abschaffte, um dem "Geiste des Gesetzes" zu huldigen. In alle dem hatten nur die Objecte eine Umgestaltung erlitten, waren aber in ihrer Uebermacht und Oberhoheit verblieben; kurz, man steckte noch in Gehorsam und Besessenheit, lebte in der Reflexion, und hatte einen Gegenstand, auf welchen man reflectirte, den man respectirte, und vor dem man Ehrfurcht und Furcht empfand. Man hatte nichts anderes gethan, als daß man die Dinge in Vorstel¬ lungen von den Dingen, in Gedanken und Begriffe verwan¬ delte, und die Abhängigkeit um so inniger und unauflöslicher wurde. So hält es z. B. nicht schwer, von den Geboten der Aeltern sich zu emancipiren, oder den Ermahnungen des On¬ kels und der Tante, den Bitten des Bruders und der Schwe¬ ster sich zu entziehen; allein der aufgekündigte Gehorsam fährt einem leicht ins Gewissen, und je weniger man auch den ein¬ zelnen Zumuthungen nachgiebt, weil man sie rationalistisch aus eigener Vernunft für unvernünftig erkennt, desto gewissen¬ hafter hält man die Pietät, die Familienliebe fest, und vergiebt sich um so schwerer eine Versündigung gegen die Vorstel¬ lung, welche man von der Familienliebe und der Pietätspflicht gefaßt hat. Von der Abhängigkeit gegen die existirende Fa¬ milie erlößt, fällt man in die bindendere Abhängigkeit von dem Familienbegriff: man wird vom Familiengeiste beherrscht. Die aus Hans und Grete u. s. w. bestehende Familie, deren Herr¬ schaft machtlos geworden, ist nur verinnerlicht, indem sie als "Familie" überhaupt übrig bleibt, auf welche man eben nur an¬ wendet den alten Spruch: Man muß Gott mehr gehorchen als dem Menschen, dessen Bedeutung hier diese ist: Ich kann zwar Euren unsinnigen Anforderungen Mich nicht fügen, aber als
8 *
ſich nur um ſo geſetzlicher zu ſein, je rationaliſtiſcher man das vorige mangelhafte Geſetz abſchaffte, um dem „Geiſte des Geſetzes“ zu huldigen. In alle dem hatten nur die Objecte eine Umgeſtaltung erlitten, waren aber in ihrer Uebermacht und Oberhoheit verblieben; kurz, man ſteckte noch in Gehorſam und Beſeſſenheit, lebte in der Reflexion, und hatte einen Gegenſtand, auf welchen man reflectirte, den man reſpectirte, und vor dem man Ehrfurcht und Furcht empfand. Man hatte nichts anderes gethan, als daß man die Dinge in Vorſtel¬ lungen von den Dingen, in Gedanken und Begriffe verwan¬ delte, und die Abhängigkeit um ſo inniger und unauflöslicher wurde. So hält es z. B. nicht ſchwer, von den Geboten der Aeltern ſich zu emancipiren, oder den Ermahnungen des On¬ kels und der Tante, den Bitten des Bruders und der Schwe¬ ſter ſich zu entziehen; allein der aufgekündigte Gehorſam fährt einem leicht ins Gewiſſen, und je weniger man auch den ein¬ zelnen Zumuthungen nachgiebt, weil man ſie rationaliſtiſch aus eigener Vernunft für unvernünftig erkennt, deſto gewiſſen¬ hafter hält man die Pietät, die Familienliebe feſt, und vergiebt ſich um ſo ſchwerer eine Verſündigung gegen die Vorſtel¬ lung, welche man von der Familienliebe und der Pietätspflicht gefaßt hat. Von der Abhängigkeit gegen die exiſtirende Fa¬ milie erlößt, fällt man in die bindendere Abhängigkeit von dem Familienbegriff: man wird vom Familiengeiſte beherrſcht. Die aus Hans und Grete u. ſ. w. beſtehende Familie, deren Herr¬ ſchaft machtlos geworden, iſt nur verinnerlicht, indem ſie als „Familie“ überhaupt übrig bleibt, auf welche man eben nur an¬ wendet den alten Spruch: Man muß Gott mehr gehorchen als dem Menſchen, deſſen Bedeutung hier dieſe iſt: Ich kann zwar Euren unſinnigen Anforderungen Mich nicht fügen, aber als
8 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0123"n="115"/>ſich nur um ſo geſetzlicher zu ſein, je rationaliſtiſcher man<lb/>
das vorige mangelhafte Geſetz abſchaffte, um dem „Geiſte des<lb/>
Geſetzes“ zu huldigen. In alle dem hatten nur die Objecte<lb/>
eine Umgeſtaltung erlitten, waren aber in ihrer Uebermacht<lb/>
und Oberhoheit verblieben; kurz, man ſteckte noch in Gehorſam<lb/>
und Beſeſſenheit, lebte in der <hirendition="#g">Reflexion</hi>, und hatte einen<lb/>
Gegenſtand, auf welchen man reflectirte, den man reſpectirte,<lb/>
und vor dem man Ehrfurcht und Furcht empfand. Man hatte<lb/>
nichts anderes gethan, als daß man die <hirendition="#g">Dinge</hi> in <hirendition="#g">Vorſtel¬<lb/>
lungen</hi> von den Dingen, in Gedanken und Begriffe verwan¬<lb/>
delte, und die <hirendition="#g">Abhängigkeit</hi> um ſo inniger und unauflöslicher<lb/>
wurde. So hält es z. B. nicht ſchwer, von den Geboten der<lb/>
Aeltern ſich zu emancipiren, oder den Ermahnungen des On¬<lb/>
kels und der Tante, den Bitten des Bruders und der Schwe¬<lb/>ſter ſich zu entziehen; allein der aufgekündigte Gehorſam fährt<lb/>
einem leicht ins Gewiſſen, und je weniger man auch den ein¬<lb/>
zelnen Zumuthungen nachgiebt, weil man ſie rationaliſtiſch<lb/>
aus eigener Vernunft für unvernünftig erkennt, deſto gewiſſen¬<lb/>
hafter hält man die Pietät, die Familienliebe feſt, und vergiebt<lb/>ſich um ſo ſchwerer eine Verſündigung gegen die <hirendition="#g">Vorſtel¬<lb/>
lung</hi>, welche man von der Familienliebe und der Pietätspflicht<lb/>
gefaßt hat. Von der Abhängigkeit gegen die exiſtirende Fa¬<lb/>
milie erlößt, fällt man in die bindendere Abhängigkeit von dem<lb/>
Familienbegriff: man wird vom Familiengeiſte beherrſcht. Die<lb/>
aus Hans und Grete u. ſ. w. beſtehende Familie, deren Herr¬<lb/>ſchaft machtlos geworden, iſt nur verinnerlicht, indem ſie als<lb/>„Familie“ überhaupt übrig bleibt, auf welche man eben nur an¬<lb/>
wendet den alten Spruch: Man muß Gott mehr gehorchen als<lb/>
dem Menſchen, deſſen Bedeutung hier dieſe iſt: Ich kann zwar<lb/>
Euren unſinnigen Anforderungen Mich nicht fügen, aber als<lb/><fwplace="bottom"type="sig">8 *<lb/></fw></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[115/0123]
ſich nur um ſo geſetzlicher zu ſein, je rationaliſtiſcher man
das vorige mangelhafte Geſetz abſchaffte, um dem „Geiſte des
Geſetzes“ zu huldigen. In alle dem hatten nur die Objecte
eine Umgeſtaltung erlitten, waren aber in ihrer Uebermacht
und Oberhoheit verblieben; kurz, man ſteckte noch in Gehorſam
und Beſeſſenheit, lebte in der Reflexion, und hatte einen
Gegenſtand, auf welchen man reflectirte, den man reſpectirte,
und vor dem man Ehrfurcht und Furcht empfand. Man hatte
nichts anderes gethan, als daß man die Dinge in Vorſtel¬
lungen von den Dingen, in Gedanken und Begriffe verwan¬
delte, und die Abhängigkeit um ſo inniger und unauflöslicher
wurde. So hält es z. B. nicht ſchwer, von den Geboten der
Aeltern ſich zu emancipiren, oder den Ermahnungen des On¬
kels und der Tante, den Bitten des Bruders und der Schwe¬
ſter ſich zu entziehen; allein der aufgekündigte Gehorſam fährt
einem leicht ins Gewiſſen, und je weniger man auch den ein¬
zelnen Zumuthungen nachgiebt, weil man ſie rationaliſtiſch
aus eigener Vernunft für unvernünftig erkennt, deſto gewiſſen¬
hafter hält man die Pietät, die Familienliebe feſt, und vergiebt
ſich um ſo ſchwerer eine Verſündigung gegen die Vorſtel¬
lung, welche man von der Familienliebe und der Pietätspflicht
gefaßt hat. Von der Abhängigkeit gegen die exiſtirende Fa¬
milie erlößt, fällt man in die bindendere Abhängigkeit von dem
Familienbegriff: man wird vom Familiengeiſte beherrſcht. Die
aus Hans und Grete u. ſ. w. beſtehende Familie, deren Herr¬
ſchaft machtlos geworden, iſt nur verinnerlicht, indem ſie als
„Familie“ überhaupt übrig bleibt, auf welche man eben nur an¬
wendet den alten Spruch: Man muß Gott mehr gehorchen als
dem Menſchen, deſſen Bedeutung hier dieſe iſt: Ich kann zwar
Euren unſinnigen Anforderungen Mich nicht fügen, aber als
8 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/123>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.