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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Diese Dinge bleiben ihm unauflöslich, unnahbar, "über allem
Zweifel erhaben", und da der Zweifel, der in der Praxis
ein Rütteln wird, des Menschen Eigenstes ist, so bleiben
diese Dinge über ihm selbst "erhaben". Wer nicht davon
loskommen kann, der wird -- glauben; denn daran glau¬
ben heißt daran gebunden sein. Dadurch, daß im Prote¬
stantismus der Glaube ein innerlicherer wurde, ist auch die
Knechtschaft eine innerlichere geworden: man hat jene Hei¬
ligkeiten in sich aufgenommen, sie mit seinem ganzen Tichten
und Trachten verflochten, sie zur "Gewissenssache" ge¬
macht, sich eine "heilige Pflicht" aus ihnen bereitet.
Darum ist dem Protestanten heilig das, wovon sein Gewissen
nicht loskommen kann, und die Gewissenhaftigkeit be¬
zeichnet am deutlichsten seinen Charakter.

Der Protestantismus hat den Menschen recht eigentlich
zu einem "Geheimen-Polizei-Staat" gemacht. Der Spion
und Laurer "Gewissen" überwacht jede Regung des Geistes,
und alles Thun und Denken ist ihm eine "Gewissenssache",
d.h. Polizeisache. In Zerrissenheit Zerissenheit des Menschen in
"Naturtrieb" und "Gewissen" (innerer Pöbel und innere Po¬
lizei) besteht der Protestant. Die Vernunft der Bibel (an
Stelle der katholischen "Vernunft der Kirche") gilt als heilig,
und dieß Gefühl und Bewußtsein, daß das Bibelwort heilig
sei, heißt -- Gewissen. Damit ist denn die Heiligkeit einem
"ins Gewissen geschoben". Befreit man sich nicht vom Ge¬
wissen, dem Bewußtsein des Heiligen, so kann man zwar un¬
gewissenhaft, niemals aber gewissenlos handeln.

Der Katholik findet sich befriedigt, wenn er den Befehl
vollzieht; der Protestant handelt nach "bestem Wissen und Ge¬
wissen". Der Katholik ist ja nur Laie, der Protestant ist

Dieſe Dinge bleiben ihm unauflöslich, unnahbar, „über allem
Zweifel erhaben“, und da der Zweifel, der in der Praxis
ein Rütteln wird, des Menſchen Eigenſtes iſt, ſo bleiben
dieſe Dinge über ihm ſelbſt „erhaben“. Wer nicht davon
loskommen kann, der wird — glauben; denn daran glau¬
ben heißt daran gebunden ſein. Dadurch, daß im Prote¬
ſtantismus der Glaube ein innerlicherer wurde, iſt auch die
Knechtſchaft eine innerlichere geworden: man hat jene Hei¬
ligkeiten in ſich aufgenommen, ſie mit ſeinem ganzen Tichten
und Trachten verflochten, ſie zur „Gewiſſensſache“ ge¬
macht, ſich eine „heilige Pflicht“ aus ihnen bereitet.
Darum iſt dem Proteſtanten heilig das, wovon ſein Gewiſſen
nicht loskommen kann, und die Gewiſſenhaftigkeit be¬
zeichnet am deutlichſten ſeinen Charakter.

Der Proteſtantismus hat den Menſchen recht eigentlich
zu einem „Geheimen-Polizei-Staat“ gemacht. Der Spion
und Laurer „Gewiſſen“ überwacht jede Regung des Geiſtes,
und alles Thun und Denken iſt ihm eine „Gewiſſensſache“,
d.h. Polizeiſache. In Zerriſſenheit Zeriſſenheit des Menſchen in
„Naturtrieb“ und „Gewiſſen“ (innerer Pöbel und innere Po¬
lizei) beſteht der Proteſtant. Die Vernunft der Bibel (an
Stelle der katholiſchen „Vernunft der Kirche“) gilt als heilig,
und dieß Gefühl und Bewußtſein, daß das Bibelwort heilig
ſei, heißt — Gewiſſen. Damit iſt denn die Heiligkeit einem
„ins Gewiſſen geſchoben“. Befreit man ſich nicht vom Ge¬
wiſſen, dem Bewußtſein des Heiligen, ſo kann man zwar un¬
gewiſſenhaft, niemals aber gewiſſenlos handeln.

Der Katholik findet ſich befriedigt, wenn er den Befehl
vollzieht; der Proteſtant handelt nach „beſtem Wiſſen und Ge¬
wiſſen“. Der Katholik iſt ja nur Laie, der Proteſtant iſt

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[117/0125] Dieſe Dinge bleiben ihm unauflöslich, unnahbar, „über allem Zweifel erhaben“, und da der Zweifel, der in der Praxis ein Rütteln wird, des Menſchen Eigenſtes iſt, ſo bleiben dieſe Dinge über ihm ſelbſt „erhaben“. Wer nicht davon loskommen kann, der wird — glauben; denn daran glau¬ ben heißt daran gebunden ſein. Dadurch, daß im Prote¬ ſtantismus der Glaube ein innerlicherer wurde, iſt auch die Knechtſchaft eine innerlichere geworden: man hat jene Hei¬ ligkeiten in ſich aufgenommen, ſie mit ſeinem ganzen Tichten und Trachten verflochten, ſie zur „Gewiſſensſache“ ge¬ macht, ſich eine „heilige Pflicht“ aus ihnen bereitet. Darum iſt dem Proteſtanten heilig das, wovon ſein Gewiſſen nicht loskommen kann, und die Gewiſſenhaftigkeit be¬ zeichnet am deutlichſten ſeinen Charakter. Der Proteſtantismus hat den Menſchen recht eigentlich zu einem „Geheimen-Polizei-Staat“ gemacht. Der Spion und Laurer „Gewiſſen“ überwacht jede Regung des Geiſtes, und alles Thun und Denken iſt ihm eine „Gewiſſensſache“, d.h. Polizeiſache. In Zerriſſenheit Zeriſſenheit des Menſchen in „Naturtrieb“ und „Gewiſſen“ (innerer Pöbel und innere Po¬ lizei) beſteht der Proteſtant. Die Vernunft der Bibel (an Stelle der katholiſchen „Vernunft der Kirche“) gilt als heilig, und dieß Gefühl und Bewußtſein, daß das Bibelwort heilig ſei, heißt — Gewiſſen. Damit iſt denn die Heiligkeit einem „ins Gewiſſen geſchoben“. Befreit man ſich nicht vom Ge¬ wiſſen, dem Bewußtſein des Heiligen, ſo kann man zwar un¬ gewiſſenhaft, niemals aber gewiſſenlos handeln. Der Katholik findet ſich befriedigt, wenn er den Befehl vollzieht; der Proteſtant handelt nach „beſtem Wiſſen und Ge¬ wiſſen“. Der Katholik iſt ja nur Laie, der Proteſtant iſt

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/125>, abgerufen am 27.11.2024.