Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

An dem Eingange der neuen Zeit steht der "Gott¬
mensch". Wird sich an ihrem Ausgange nur der Gott am
Gottmenschen verflüchtigen, und kann der Gottmensch wirklich
sterben, wenn nur der Gott an ihm stirbt? Man hat an diese
Frage nicht gedacht und fertig zu sein gemeint, als man
das Werk der Aufklärung, die Ueberwindung des Gottes, in
unsern Tagen zu einem siegreichen Ende führte; man hat nicht
gemerkt, daß der Mensch den Gott getödtet hat, um nun --
"alleiniger Gott in der Höhe" zu werden. Das Jenseits
außer Uns
ist allerdings weggefegt, und das große Unter¬
nehmen der Aufklärer vollbracht; allein das Jenseits in
Uns
ist ein neuer Himmel geworden und ruft Uns zu erneu¬
tem Himmelsstürmen auf: der Gott hat Platz machen müssen,
aber nicht Uns, sondern -- dem Menschen. Wie mögt Ihr
glauben, daß der Gottmensch gestorben sei, ehe an ihm außer
dem Gott auch der Mensch gestorben ist?


An dem Eingange der neuen Zeit ſteht der „Gott¬
menſch“. Wird ſich an ihrem Ausgange nur der Gott am
Gottmenſchen verflüchtigen, und kann der Gottmenſch wirklich
ſterben, wenn nur der Gott an ihm ſtirbt? Man hat an dieſe
Frage nicht gedacht und fertig zu ſein gemeint, als man
das Werk der Aufklärung, die Ueberwindung des Gottes, in
unſern Tagen zu einem ſiegreichen Ende führte; man hat nicht
gemerkt, daß der Menſch den Gott getödtet hat, um nun —
„alleiniger Gott in der Höhe“ zu werden. Das Jenſeits
außer Uns
iſt allerdings weggefegt, und das große Unter¬
nehmen der Aufklärer vollbracht; allein das Jenſeits in
Uns
iſt ein neuer Himmel geworden und ruft Uns zu erneu¬
tem Himmelsſtürmen auf: der Gott hat Platz machen müſſen,
aber nicht Uns, ſondern — dem Menſchen. Wie mögt Ihr
glauben, daß der Gottmenſch geſtorben ſei, ehe an ihm außer
dem Gott auch der Menſch geſtorben iſt?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0211" n="[203]"/>
        <p><hi rendition="#in">A</hi>n dem Eingange der neuen Zeit &#x017F;teht der &#x201E;Gott¬<lb/>
men&#x017F;ch&#x201C;. Wird &#x017F;ich an ihrem Ausgange nur der Gott am<lb/>
Gottmen&#x017F;chen verflüchtigen, und kann der Gottmen&#x017F;ch wirklich<lb/>
&#x017F;terben, wenn nur der Gott an ihm &#x017F;tirbt? Man hat an die&#x017F;e<lb/>
Frage nicht gedacht und fertig zu &#x017F;ein gemeint, als man<lb/>
das Werk der Aufklärung, die Ueberwindung des Gottes, in<lb/>
un&#x017F;ern Tagen zu einem &#x017F;iegreichen Ende führte; man hat nicht<lb/>
gemerkt, daß der Men&#x017F;ch den Gott getödtet hat, um nun &#x2014;<lb/>
&#x201E;alleiniger Gott in der Höhe&#x201C; zu werden. Das <hi rendition="#g">Jen&#x017F;eits<lb/>
außer Uns</hi> i&#x017F;t allerdings weggefegt, und das große Unter¬<lb/>
nehmen der Aufklärer vollbracht; allein das <hi rendition="#g">Jen&#x017F;eits in<lb/>
Uns</hi> i&#x017F;t ein neuer Himmel geworden und ruft Uns zu erneu¬<lb/>
tem Himmels&#x017F;türmen auf: der Gott hat Platz machen mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
aber nicht Uns, &#x017F;ondern &#x2014; dem Men&#x017F;chen. Wie mögt Ihr<lb/>
glauben, daß der Gottmen&#x017F;ch ge&#x017F;torben &#x017F;ei, ehe an ihm außer<lb/>
dem Gott auch der Men&#x017F;ch ge&#x017F;torben i&#x017F;t?</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[203]/0211] An dem Eingange der neuen Zeit ſteht der „Gott¬ menſch“. Wird ſich an ihrem Ausgange nur der Gott am Gottmenſchen verflüchtigen, und kann der Gottmenſch wirklich ſterben, wenn nur der Gott an ihm ſtirbt? Man hat an dieſe Frage nicht gedacht und fertig zu ſein gemeint, als man das Werk der Aufklärung, die Ueberwindung des Gottes, in unſern Tagen zu einem ſiegreichen Ende führte; man hat nicht gemerkt, daß der Menſch den Gott getödtet hat, um nun — „alleiniger Gott in der Höhe“ zu werden. Das Jenſeits außer Uns iſt allerdings weggefegt, und das große Unter¬ nehmen der Aufklärer vollbracht; allein das Jenſeits in Uns iſt ein neuer Himmel geworden und ruft Uns zu erneu¬ tem Himmelsſtürmen auf: der Gott hat Platz machen müſſen, aber nicht Uns, ſondern — dem Menſchen. Wie mögt Ihr glauben, daß der Gottmenſch geſtorben ſei, ehe an ihm außer dem Gott auch der Menſch geſtorben iſt?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/211
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. [203]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/211>, abgerufen am 23.11.2024.