Meine Freiheit gegen die Welt sichere Ich in dem Grade, als Ich Mir die Welt zu eigen mache, d. h. sie für Mich "gewinne und einnehme", sei es durch welche Gewalt es wolle, durch die der Ueberredung, der Bitte, der kategorischen Forderung, ja selbst durch Heuchelei, Betrug u. s. w.; denn die Mittel, welche Ich dazu gebrauche, richten sich nach dem, was Ich bin. Bin Ich schwach, so habe Ich nur schwache Mittel, wie die genannten, die aber dennoch für ein ziemlich Theil Welt gut genug sind. Ohnehin sehen Betrug, Heuchelei, Lüge schlimmer aus als sie sind. Wer hätte nicht die Polizei, das Gesetz betrogen, wer hätte nicht vor dem begegnenden Schergen schnell die Miene ehrsamer Loyalität vorgenommen, um eine etwa begangene Ungesetzlichkeit zu verbergen u. s. w. ? Wer es nicht gethan hat, der hat sich eben Gewalt anthun lassen: er war ein Schwächling aus -- Gewissen. Meine Freiheit weiß ich schon dadurch geschmälert, daß Ich an einem Andern (sei dieß Andere ein Willenloses, wie ein Fels, oder ein Wollendes, wie eine Regierung, ein Einzelner u. s. w.) meinen Willen nicht durchsetzen kann; meine Eigenheit ver¬ leugne Ich, wenn Ich Mich selbst -- Angesichts des Andern -- aufgebe, d. h. nachgebe, abstehe, Mich ergebe, also durch Ergebenheit, Ergebung. Denn ein Anderes ist es, wenn Ich mein bisheriges Verfahren aufgebe, weil es nicht zum Ziele führt, also ablenke von einem falschen Wege, ein Anderes, wenn Ich Mich gefangen gebe. Einen Felsen, der Mir im Wege sieht, umgehe Ich so lange, bis Ich Pulver genug habe, ihn zu sprengen; die Gesetze eines Volkes um¬ gehe Ich, bis Ich Kraft gesammelt habe, sie zu stürzen. Weil Ich den Mond nicht fassen kann, soll er Mir darum "heilig" sein, eine Astarte? Könnte Ich Dich nur fassen, Ich faßte
Meine Freiheit gegen die Welt ſichere Ich in dem Grade, als Ich Mir die Welt zu eigen mache, d. h. ſie für Mich „gewinne und einnehme“, ſei es durch welche Gewalt es wolle, durch die der Ueberredung, der Bitte, der kategoriſchen Forderung, ja ſelbſt durch Heuchelei, Betrug u. ſ. w.; denn die Mittel, welche Ich dazu gebrauche, richten ſich nach dem, was Ich bin. Bin Ich ſchwach, ſo habe Ich nur ſchwache Mittel, wie die genannten, die aber dennoch für ein ziemlich Theil Welt gut genug ſind. Ohnehin ſehen Betrug, Heuchelei, Lüge ſchlimmer aus als ſie ſind. Wer hätte nicht die Polizei, das Geſetz betrogen, wer hätte nicht vor dem begegnenden Schergen ſchnell die Miene ehrſamer Loyalität vorgenommen, um eine etwa begangene Ungeſetzlichkeit zu verbergen u. ſ. w. ? Wer es nicht gethan hat, der hat ſich eben Gewalt anthun laſſen: er war ein Schwächling aus — Gewiſſen. Meine Freiheit weiß ich ſchon dadurch geſchmälert, daß Ich an einem Andern (ſei dieß Andere ein Willenloſes, wie ein Fels, oder ein Wollendes, wie eine Regierung, ein Einzelner u. ſ. w.) meinen Willen nicht durchſetzen kann; meine Eigenheit ver¬ leugne Ich, wenn Ich Mich ſelbſt — Angeſichts des Andern — aufgebe, d. h. nachgebe, abſtehe, Mich ergebe, alſo durch Ergebenheit, Ergebung. Denn ein Anderes iſt es, wenn Ich mein bisheriges Verfahren aufgebe, weil es nicht zum Ziele führt, alſo ablenke von einem falſchen Wege, ein Anderes, wenn Ich Mich gefangen gebe. Einen Felſen, der Mir im Wege ſieht, umgehe Ich ſo lange, bis Ich Pulver genug habe, ihn zu ſprengen; die Geſetze eines Volkes um¬ gehe Ich, bis Ich Kraft geſammelt habe, ſie zu ſtürzen. Weil Ich den Mond nicht faſſen kann, ſoll er Mir darum „heilig“ ſein, eine Aſtarte? Könnte Ich Dich nur faſſen, Ich faßte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0226"n="218"/><p>Meine Freiheit gegen die Welt ſichere Ich in dem Grade,<lb/>
als Ich Mir die Welt zu eigen mache, d. h. ſie für Mich<lb/>„gewinne und einnehme“, ſei es durch welche Gewalt es<lb/>
wolle, durch die der Ueberredung, der Bitte, der kategoriſchen<lb/>
Forderung, ja ſelbſt durch Heuchelei, Betrug u. ſ. w.; denn<lb/>
die Mittel, welche Ich dazu gebrauche, richten ſich nach dem,<lb/>
was Ich bin. Bin Ich ſchwach, ſo habe Ich nur ſchwache<lb/>
Mittel, wie die genannten, die aber dennoch für ein ziemlich<lb/>
Theil Welt gut genug ſind. Ohnehin ſehen Betrug, Heuchelei,<lb/>
Lüge ſchlimmer aus als ſie ſind. Wer hätte nicht die Polizei,<lb/>
das Geſetz betrogen, wer hätte nicht vor dem begegnenden<lb/>
Schergen ſchnell die Miene ehrſamer Loyalität vorgenommen,<lb/>
um eine etwa begangene Ungeſetzlichkeit zu verbergen u. ſ. w. ?<lb/>
Wer es nicht gethan hat, der hat ſich eben Gewalt anthun<lb/>
laſſen: er war ein <hirendition="#g">Schwächling</hi> aus — Gewiſſen. Meine<lb/>
Freiheit weiß ich ſchon dadurch geſchmälert, daß Ich an einem<lb/>
Andern (ſei dieß Andere ein Willenloſes, wie ein Fels, oder<lb/>
ein Wollendes, wie eine Regierung, ein Einzelner u. ſ. w.)<lb/>
meinen Willen nicht durchſetzen kann; meine Eigenheit ver¬<lb/>
leugne Ich, wenn Ich Mich ſelbſt — Angeſichts des Andern<lb/>— aufgebe, d. h. nachgebe, abſtehe, Mich ergebe, alſo durch<lb/><hirendition="#g">Ergebenheit</hi>, <hirendition="#g">Ergebung</hi>. Denn ein Anderes iſt es,<lb/>
wenn Ich mein bisheriges Verfahren aufgebe, weil es nicht<lb/>
zum Ziele führt, alſo ablenke von einem falſchen Wege, ein<lb/>
Anderes, wenn Ich Mich gefangen gebe. Einen Felſen, der<lb/>
Mir im Wege ſieht, umgehe Ich ſo lange, bis Ich Pulver<lb/>
genug habe, ihn zu ſprengen; die Geſetze eines Volkes um¬<lb/>
gehe Ich, bis Ich Kraft geſammelt habe, ſie zu ſtürzen. Weil<lb/>
Ich den Mond nicht faſſen kann, ſoll er Mir darum „heilig“<lb/>ſein, eine Aſtarte? Könnte Ich Dich nur faſſen, Ich faßte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[218/0226]
Meine Freiheit gegen die Welt ſichere Ich in dem Grade,
als Ich Mir die Welt zu eigen mache, d. h. ſie für Mich
„gewinne und einnehme“, ſei es durch welche Gewalt es
wolle, durch die der Ueberredung, der Bitte, der kategoriſchen
Forderung, ja ſelbſt durch Heuchelei, Betrug u. ſ. w.; denn
die Mittel, welche Ich dazu gebrauche, richten ſich nach dem,
was Ich bin. Bin Ich ſchwach, ſo habe Ich nur ſchwache
Mittel, wie die genannten, die aber dennoch für ein ziemlich
Theil Welt gut genug ſind. Ohnehin ſehen Betrug, Heuchelei,
Lüge ſchlimmer aus als ſie ſind. Wer hätte nicht die Polizei,
das Geſetz betrogen, wer hätte nicht vor dem begegnenden
Schergen ſchnell die Miene ehrſamer Loyalität vorgenommen,
um eine etwa begangene Ungeſetzlichkeit zu verbergen u. ſ. w. ?
Wer es nicht gethan hat, der hat ſich eben Gewalt anthun
laſſen: er war ein Schwächling aus — Gewiſſen. Meine
Freiheit weiß ich ſchon dadurch geſchmälert, daß Ich an einem
Andern (ſei dieß Andere ein Willenloſes, wie ein Fels, oder
ein Wollendes, wie eine Regierung, ein Einzelner u. ſ. w.)
meinen Willen nicht durchſetzen kann; meine Eigenheit ver¬
leugne Ich, wenn Ich Mich ſelbſt — Angeſichts des Andern
— aufgebe, d. h. nachgebe, abſtehe, Mich ergebe, alſo durch
Ergebenheit, Ergebung. Denn ein Anderes iſt es,
wenn Ich mein bisheriges Verfahren aufgebe, weil es nicht
zum Ziele führt, alſo ablenke von einem falſchen Wege, ein
Anderes, wenn Ich Mich gefangen gebe. Einen Felſen, der
Mir im Wege ſieht, umgehe Ich ſo lange, bis Ich Pulver
genug habe, ihn zu ſprengen; die Geſetze eines Volkes um¬
gehe Ich, bis Ich Kraft geſammelt habe, ſie zu ſtürzen. Weil
Ich den Mond nicht faſſen kann, ſoll er Mir darum „heilig“
ſein, eine Aſtarte? Könnte Ich Dich nur faſſen, Ich faßte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/226>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.