Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

nütziges Interesse. Vergleicht doch einmal einen Mann mit
einem Jünglinge, ob er Euch nicht härter, ungroßmüthiger,
eigennütziger erscheinen wird. Ist er darum schlechter? Ihr
sagt Nein, er sei nur bestimmter, oder, wie Ihr's auch nennt,
"praktischer" geworden. Hauptsache jedoch ist dieß, daß er
sich mehr zum Mittelpunkte macht, als der Jüngling, der für
Anderes, z. B. Gott, Vaterland und dergl. "schwärmt".

Darum zeigt der Mann eine zweite Selbstfindung. Der
Jüngling fand sich als Geist und verlor sich wieder an den
allgemeinen Geist, den vollkommenen, heiligen Geist, den
Menschen, die Menschheit, kurz alle Ideale; der Mann findet
sich als leibhaftigen Geist.

Knaben hatten nur ungeistige, d. h. gedankenlose und
ideenlose, Jünglinge nur geistige Interessen; der Mann hat
leibhaftige, persönliche, egoistische Interessen.

Wenn das Kind nicht einen Gegenstand hat, mit wel¬
chem es sich beschäftigen kann, so fühlt es Langeweile: denn
mit sich weiß es sich noch nicht zu beschäftigen. Umgekehrt
wirft der Jüngling den Gegenstand auf die Seite, weil ihm
Gedanken aus dem Gegenstande aufgingen: er beschäftigt
sich mit seinen Gedanken, seinen Träumen, beschäftigt sich gei¬
stig oder "sein Geist ist beschäftigt".

Alles nicht Geistige befaßt der junge Mensch unter dem
verächtlichen Namen der "Aeußerlichkeiten". Wenn er gleich¬
wohl an den kleinlichsten Aeußerlichkeiten haftet (z. B. Bur¬
schikosen und andern Formalitäten), so geschieht es, weil und
wenn er in ihnen Geist entdeckt, d. h. wenn sie ihm Sym¬
bole
sind.

Wie Ich Mich hinter den Dingen finde, und zwar als
Geist, so muß Ich Mich später auch hinter den Gedan¬

2 *

nütziges Intereſſe. Vergleicht doch einmal einen Mann mit
einem Jünglinge, ob er Euch nicht härter, ungroßmüthiger,
eigennütziger erſcheinen wird. Iſt er darum ſchlechter? Ihr
ſagt Nein, er ſei nur beſtimmter, oder, wie Ihr's auch nennt,
„praktiſcher“ geworden. Hauptſache jedoch iſt dieß, daß er
ſich mehr zum Mittelpunkte macht, als der Jüngling, der für
Anderes, z. B. Gott, Vaterland und dergl. „ſchwärmt“.

Darum zeigt der Mann eine zweite Selbſtfindung. Der
Jüngling fand ſich als Geiſt und verlor ſich wieder an den
allgemeinen Geiſt, den vollkommenen, heiligen Geiſt, den
Menſchen, die Menſchheit, kurz alle Ideale; der Mann findet
ſich als leibhaftigen Geiſt.

Knaben hatten nur ungeiſtige, d. h. gedankenloſe und
ideenloſe, Jünglinge nur geiſtige Intereſſen; der Mann hat
leibhaftige, perſönliche, egoiſtiſche Intereſſen.

Wenn das Kind nicht einen Gegenſtand hat, mit wel¬
chem es ſich beſchäftigen kann, ſo fühlt es Langeweile: denn
mit ſich weiß es ſich noch nicht zu beſchäftigen. Umgekehrt
wirft der Jüngling den Gegenſtand auf die Seite, weil ihm
Gedanken aus dem Gegenſtande aufgingen: er beſchäftigt
ſich mit ſeinen Gedanken, ſeinen Träumen, beſchäftigt ſich gei¬
ſtig oder „ſein Geiſt iſt beſchäftigt“.

Alles nicht Geiſtige befaßt der junge Menſch unter dem
verächtlichen Namen der „Aeußerlichkeiten“. Wenn er gleich¬
wohl an den kleinlichſten Aeußerlichkeiten haftet (z. B. Bur¬
ſchikoſen und andern Formalitäten), ſo geſchieht es, weil und
wenn er in ihnen Geiſt entdeckt, d. h. wenn ſie ihm Sym¬
bole
ſind.

Wie Ich Mich hinter den Dingen finde, und zwar als
Geiſt, ſo muß Ich Mich ſpäter auch hinter den Gedan¬

2 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0027" n="19"/>
nütziges</hi> Intere&#x017F;&#x017F;e. Vergleicht doch einmal einen Mann mit<lb/>
einem Jünglinge, ob er Euch nicht härter, ungroßmüthiger,<lb/>
eigennütziger er&#x017F;cheinen wird. I&#x017F;t er darum &#x017F;chlechter? Ihr<lb/>
&#x017F;agt Nein, er &#x017F;ei nur be&#x017F;timmter, oder, wie Ihr's auch nennt,<lb/>
&#x201E;prakti&#x017F;cher&#x201C; geworden. Haupt&#x017F;ache jedoch i&#x017F;t dieß, daß er<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ich</hi> mehr zum Mittelpunkte macht, als der Jüngling, der für<lb/>
Anderes, z. B. Gott, Vaterland und dergl. &#x201E;&#x017F;chwärmt&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Darum zeigt der Mann eine <hi rendition="#g">zweite</hi> Selb&#x017F;tfindung. Der<lb/>
Jüngling fand &#x017F;ich als <hi rendition="#g">Gei&#x017F;t</hi> und verlor &#x017F;ich wieder an den<lb/><hi rendition="#g">allgemeinen</hi> Gei&#x017F;t, den vollkommenen, heiligen Gei&#x017F;t, <hi rendition="#g">den</hi><lb/>
Men&#x017F;chen, die Men&#x017F;chheit, kurz alle Ideale; der Mann findet<lb/>
&#x017F;ich als <hi rendition="#g">leibhaftigen</hi> Gei&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Knaben hatten nur <hi rendition="#g">ungei&#x017F;tige</hi>, d. h. gedankenlo&#x017F;e und<lb/>
ideenlo&#x017F;e, Jünglinge nur <hi rendition="#g">gei&#x017F;tige</hi> Intere&#x017F;&#x017F;en; der Mann hat<lb/>
leibhaftige, per&#x017F;önliche, egoi&#x017F;ti&#x017F;che Intere&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Wenn das Kind nicht einen <hi rendition="#g">Gegen&#x017F;tand</hi> hat, mit wel¬<lb/>
chem es &#x017F;ich be&#x017F;chäftigen kann, &#x017F;o fühlt es Langeweile: denn<lb/>
mit <hi rendition="#g">&#x017F;ich</hi> weiß es &#x017F;ich noch nicht zu be&#x017F;chäftigen. Umgekehrt<lb/>
wirft der Jüngling den Gegen&#x017F;tand auf die Seite, weil ihm<lb/><hi rendition="#g">Gedanken</hi> aus dem Gegen&#x017F;tande aufgingen: er be&#x017F;chäftigt<lb/>
&#x017F;ich mit &#x017F;einen Gedanken, &#x017F;einen Träumen, be&#x017F;chäftigt &#x017F;ich gei¬<lb/>
&#x017F;tig oder &#x201E;&#x017F;ein Gei&#x017F;t i&#x017F;t be&#x017F;chäftigt&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Alles nicht Gei&#x017F;tige befaßt der junge Men&#x017F;ch unter dem<lb/>
verächtlichen Namen der &#x201E;Aeußerlichkeiten&#x201C;. Wenn er gleich¬<lb/>
wohl an den kleinlich&#x017F;ten Aeußerlichkeiten haftet (z. B. Bur¬<lb/>
&#x017F;chiko&#x017F;en und andern Formalitäten), &#x017F;o ge&#x017F;chieht es, weil und<lb/>
wenn er in ihnen <hi rendition="#g">Gei&#x017F;t</hi> entdeckt, d. h. wenn &#x017F;ie ihm <hi rendition="#g">Sym¬<lb/>
bole</hi> &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Wie Ich Mich hinter den Dingen finde, und zwar als<lb/>
Gei&#x017F;t, &#x017F;o muß Ich <hi rendition="#g">Mich</hi> &#x017F;päter auch <hi rendition="#g">hinter den Gedan¬</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0027] nütziges Intereſſe. Vergleicht doch einmal einen Mann mit einem Jünglinge, ob er Euch nicht härter, ungroßmüthiger, eigennütziger erſcheinen wird. Iſt er darum ſchlechter? Ihr ſagt Nein, er ſei nur beſtimmter, oder, wie Ihr's auch nennt, „praktiſcher“ geworden. Hauptſache jedoch iſt dieß, daß er ſich mehr zum Mittelpunkte macht, als der Jüngling, der für Anderes, z. B. Gott, Vaterland und dergl. „ſchwärmt“. Darum zeigt der Mann eine zweite Selbſtfindung. Der Jüngling fand ſich als Geiſt und verlor ſich wieder an den allgemeinen Geiſt, den vollkommenen, heiligen Geiſt, den Menſchen, die Menſchheit, kurz alle Ideale; der Mann findet ſich als leibhaftigen Geiſt. Knaben hatten nur ungeiſtige, d. h. gedankenloſe und ideenloſe, Jünglinge nur geiſtige Intereſſen; der Mann hat leibhaftige, perſönliche, egoiſtiſche Intereſſen. Wenn das Kind nicht einen Gegenſtand hat, mit wel¬ chem es ſich beſchäftigen kann, ſo fühlt es Langeweile: denn mit ſich weiß es ſich noch nicht zu beſchäftigen. Umgekehrt wirft der Jüngling den Gegenſtand auf die Seite, weil ihm Gedanken aus dem Gegenſtande aufgingen: er beſchäftigt ſich mit ſeinen Gedanken, ſeinen Träumen, beſchäftigt ſich gei¬ ſtig oder „ſein Geiſt iſt beſchäftigt“. Alles nicht Geiſtige befaßt der junge Menſch unter dem verächtlichen Namen der „Aeußerlichkeiten“. Wenn er gleich¬ wohl an den kleinlichſten Aeußerlichkeiten haftet (z. B. Bur¬ ſchikoſen und andern Formalitäten), ſo geſchieht es, weil und wenn er in ihnen Geiſt entdeckt, d. h. wenn ſie ihm Sym¬ bole ſind. Wie Ich Mich hinter den Dingen finde, und zwar als Geiſt, ſo muß Ich Mich ſpäter auch hinter den Gedan¬ 2 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/27
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/27>, abgerufen am 23.11.2024.