Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen, daß er handeln müsse, wie Ich's für gut finde? Und dieses Handeln nenne Ich das rechte, gute u. s. w.; das abweichende ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf dasselbe Ziel mit Mir losgehen, d. h. Ich behandele sie nicht als Einzige, die ihr Gesetz in sich selbst tragen und dar¬ nach leben, sondern als Wesen, die irgend einem "vernünfti¬ gen" Gesetze gehorchen sollen. Ich stelle auf, was "der Mensch" sei, und was "wahrhaft menschlich" handeln heiße, und fordere von Jedem, daß ihm dieß Gesetz Norm und Ideal werde, widrigenfalls er sich als "Sünder und Verbrecher" aus¬ weise. Den "Schuldigen" aber trifft die "Strafe des Gesetzes"! Man sieht hier, wie es wieder "der Mensch" ist, der auch den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des Rechts zu Wege bringt. Ein Mensch, in welchem Ich nicht "den Menschen" erkenne, ist "ein Sünder, ein Schuldiger".
Nur gegen ein Heiliges giebt es Verbrecher; Du gegen Mich kannst nie ein Verbrecher sein, sondern nur ein Gegner. Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht hassen, ist schon ein Verbrechen, wie St. Just gegen Danton ausruft: "Bist Du nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die Feinde des Vaterlandes gehaßt hast?" --
Wird, wie in der Revolution, das, was "der Mensch" sei, als "guter Bürger" gefaßt, so giebt es von diesem Begriffe "des Menschen" die bekannten "politischen Vergehen und Verbrechen". In alle dem wird der Einzelne, der einzelne Mensch, als Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Mensch, "der Mensch" honorirt. Je nachdem nun dieß Gespenst benannt wird, wie Christ, Jude, Muselmann, guter Bürger, loyaler Unterthan, Freier, Patriot u. s. w., je nachdem fallen sowohl
Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen, daß er handeln müſſe, wie Ich's für gut finde? Und dieſes Handeln nenne Ich das rechte, gute u. ſ. w.; das abweichende ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf daſſelbe Ziel mit Mir losgehen, d. h. Ich behandele ſie nicht als Einzige, die ihr Geſetz in ſich ſelbſt tragen und dar¬ nach leben, ſondern als Weſen, die irgend einem „vernünfti¬ gen“ Geſetze gehorchen ſollen. Ich ſtelle auf, was „der Menſch“ ſei, und was „wahrhaft menſchlich“ handeln heiße, und fordere von Jedem, daß ihm dieß Geſetz Norm und Ideal werde, widrigenfalls er ſich als „Sünder und Verbrecher“ aus¬ weiſe. Den „Schuldigen“ aber trifft die „Strafe des Geſetzes“! Man ſieht hier, wie es wieder „der Menſch“ iſt, der auch den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des Rechts zu Wege bringt. Ein Menſch, in welchem Ich nicht „den Menſchen“ erkenne, iſt „ein Sünder, ein Schuldiger“.
Nur gegen ein Heiliges giebt es Verbrecher; Du gegen Mich kannſt nie ein Verbrecher ſein, ſondern nur ein Gegner. Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht haſſen, iſt ſchon ein Verbrechen, wie St. Juſt gegen Danton ausruft: „Biſt Du nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die Feinde des Vaterlandes gehaßt haſt?“ —
Wird, wie in der Revolution, das, was „der Menſch“ ſei, als „guter Bürger“ gefaßt, ſo giebt es von dieſem Begriffe „des Menſchen“ die bekannten „politiſchen Vergehen und Verbrechen“. In alle dem wird der Einzelne, der einzelne Menſch, als Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Menſch, „der Menſch“ honorirt. Je nachdem nun dieß Geſpenſt benannt wird, wie Chriſt, Jude, Muſelmann, guter Bürger, loyaler Unterthan, Freier, Patriot u. ſ. w., je nachdem fallen ſowohl
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0276"n="268"/>
Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen,<lb/>
daß er handeln müſſe, wie Ich's für gut finde? Und dieſes<lb/>
Handeln nenne Ich das rechte, gute u. ſ. w.; das abweichende<lb/>
ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf<lb/><hirendition="#g">daſſelbe</hi> Ziel mit Mir losgehen, d. h. Ich behandele ſie<lb/>
nicht als Einzige, die ihr Geſetz in ſich ſelbſt tragen und dar¬<lb/>
nach leben, ſondern als Weſen, die irgend einem „vernünfti¬<lb/>
gen“ Geſetze gehorchen ſollen. Ich ſtelle auf, was „der<lb/>
Menſch“ſei, und was „wahrhaft menſchlich“ handeln heiße,<lb/>
und fordere von Jedem, daß ihm dieß Geſetz Norm und Ideal<lb/>
werde, widrigenfalls er ſich als „Sünder und Verbrecher“ aus¬<lb/>
weiſe. Den „Schuldigen“ aber trifft die „Strafe des Geſetzes“!<lb/>
Man ſieht hier, wie es wieder „der Menſch“ iſt, der auch<lb/>
den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des<lb/>
Rechts zu Wege bringt. Ein Menſch, in welchem Ich nicht<lb/>„den Menſchen“ erkenne, iſt „ein Sünder, ein Schuldiger“.</p><lb/><p>Nur gegen ein Heiliges giebt es Verbrecher; Du gegen<lb/>
Mich kannſt nie ein Verbrecher ſein, ſondern nur ein Gegner.<lb/>
Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht haſſen, iſt ſchon ein<lb/>
Verbrechen, wie St. Juſt gegen Danton ausruft: „Biſt Du<lb/>
nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die<lb/>
Feinde des Vaterlandes gehaßt haſt?“—</p><lb/><p>Wird, wie in der Revolution, das, was „der Menſch“ſei,<lb/>
als „guter Bürger“ gefaßt, ſo giebt es von dieſem Begriffe „des<lb/>
Menſchen“ die bekannten „politiſchen Vergehen und Verbrechen“.<lb/>
In alle dem wird der Einzelne, der einzelne Menſch, als<lb/>
Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Menſch, „der<lb/>
Menſch“ honorirt. Je nachdem nun dieß Geſpenſt benannt<lb/>
wird, wie Chriſt, Jude, Muſelmann, guter Bürger, loyaler<lb/>
Unterthan, Freier, Patriot u. ſ. w., je nachdem fallen ſowohl<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[268/0276]
Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen,
daß er handeln müſſe, wie Ich's für gut finde? Und dieſes
Handeln nenne Ich das rechte, gute u. ſ. w.; das abweichende
ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf
daſſelbe Ziel mit Mir losgehen, d. h. Ich behandele ſie
nicht als Einzige, die ihr Geſetz in ſich ſelbſt tragen und dar¬
nach leben, ſondern als Weſen, die irgend einem „vernünfti¬
gen“ Geſetze gehorchen ſollen. Ich ſtelle auf, was „der
Menſch“ ſei, und was „wahrhaft menſchlich“ handeln heiße,
und fordere von Jedem, daß ihm dieß Geſetz Norm und Ideal
werde, widrigenfalls er ſich als „Sünder und Verbrecher“ aus¬
weiſe. Den „Schuldigen“ aber trifft die „Strafe des Geſetzes“!
Man ſieht hier, wie es wieder „der Menſch“ iſt, der auch
den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des
Rechts zu Wege bringt. Ein Menſch, in welchem Ich nicht
„den Menſchen“ erkenne, iſt „ein Sünder, ein Schuldiger“.
Nur gegen ein Heiliges giebt es Verbrecher; Du gegen
Mich kannſt nie ein Verbrecher ſein, ſondern nur ein Gegner.
Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht haſſen, iſt ſchon ein
Verbrechen, wie St. Juſt gegen Danton ausruft: „Biſt Du
nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die
Feinde des Vaterlandes gehaßt haſt?“ —
Wird, wie in der Revolution, das, was „der Menſch“ ſei,
als „guter Bürger“ gefaßt, ſo giebt es von dieſem Begriffe „des
Menſchen“ die bekannten „politiſchen Vergehen und Verbrechen“.
In alle dem wird der Einzelne, der einzelne Menſch, als
Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Menſch, „der
Menſch“ honorirt. Je nachdem nun dieß Geſpenſt benannt
wird, wie Chriſt, Jude, Muſelmann, guter Bürger, loyaler
Unterthan, Freier, Patriot u. ſ. w., je nachdem fallen ſowohl
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/276>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.