Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

andere gescheidter sind. In den letzteren sind die Individuen
"freier", weil weniger geschuhriegelt. Frei aber bin Ich in
keinem Staate. Die gerühmte Toleranz der Staaten ist
eben nur ein Toleriren des "Unschädlichen", "Ungefährlichen",
ist nur Erhebung über den Kleinlichkeitssinn, nur eine achtungs¬
weithere, großartigere, stolzere -- Despotie. Ein gewisser Staat
schien eine Zeit lang ziemlich erhaben über die literarischen
Kämpfe sein zu wollen, die mit aller Hitze geführt werden
durften; England ist erhaben über das Volksgewühl und
-- Tabackrauchen. Aber wehe der Literatur, die dem Staate
selbst an den Leib geht, wehe den Volksrottirungen, die den
Staat "gefährden". In jenem gewissen Staate träumt man
von einer "freien Wissenschaft", in England von einem "freien
Volksleben".

Der Staat läßt die Individuen wohl möglichst frei spie¬
len
, nur Ernst dürfen sie nicht machen, dürfen ihn nicht
vergessen. Der Mensch darf nicht unbekümmert mit dem
Menschen verkehren, nicht ohne "höhere Aufsicht und Vermitt¬
lung". Ich darf nicht Alles leisten, was Ich vermag, son¬
dern nur so viel, als der Staat erlaubt, Ich darf nicht meine
Gedanken verwerthen, nicht meine Arbeit, überhaupt nichts
Meiniges.

Der Staat hat immer nur den Zweck, den Einzelnen zu
beschränken, zu bändigen, zu subordiniren, ihn irgend einem
Allgemeinen Unterthan zu machen; er dauert nur so lange,
als der Einzelne nicht Alles in Allem ist, und ist nur die
deutlich ausgeprägte Beschränktheit Meiner, meine Be¬
schränkung, meine Sklaverei. Niemals zielt ein Staat dahin,
die freie Thätigkeit der Einzelnen herbeizuführen, sondern stets
die an den Staatszweck gebundene. Durch den Staat

andere geſcheidter ſind. In den letzteren ſind die Individuen
„freier“, weil weniger geſchuhriegelt. Frei aber bin Ich in
keinem Staate. Die gerühmte Toleranz der Staaten iſt
eben nur ein Toleriren des „Unſchädlichen“, „Ungefährlichen“,
iſt nur Erhebung über den Kleinlichkeitsſinn, nur eine achtungs¬
weithere, großartigere, ſtolzere — Despotie. Ein gewiſſer Staat
ſchien eine Zeit lang ziemlich erhaben über die literariſchen
Kämpfe ſein zu wollen, die mit aller Hitze geführt werden
durften; England iſt erhaben über das Volksgewühl und
— Tabackrauchen. Aber wehe der Literatur, die dem Staate
ſelbſt an den Leib geht, wehe den Volksrottirungen, die den
Staat „gefährden“. In jenem gewiſſen Staate träumt man
von einer „freien Wiſſenſchaft“, in England von einem „freien
Volksleben“.

Der Staat läßt die Individuen wohl möglichſt frei ſpie¬
len
, nur Ernſt dürfen ſie nicht machen, dürfen ihn nicht
vergeſſen. Der Menſch darf nicht unbekümmert mit dem
Menſchen verkehren, nicht ohne „höhere Aufſicht und Vermitt¬
lung“. Ich darf nicht Alles leiſten, was Ich vermag, ſon¬
dern nur ſo viel, als der Staat erlaubt, Ich darf nicht meine
Gedanken verwerthen, nicht meine Arbeit, überhaupt nichts
Meiniges.

Der Staat hat immer nur den Zweck, den Einzelnen zu
beſchränken, zu bändigen, zu ſubordiniren, ihn irgend einem
Allgemeinen Unterthan zu machen; er dauert nur ſo lange,
als der Einzelne nicht Alles in Allem iſt, und iſt nur die
deutlich ausgeprägte Beſchränktheit Meiner, meine Be¬
ſchränkung, meine Sklaverei. Niemals zielt ein Staat dahin,
die freie Thätigkeit der Einzelnen herbeizuführen, ſondern ſtets
die an den Staatszweck gebundene. Durch den Staat

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0306" n="298"/>
andere ge&#x017F;cheidter &#x017F;ind. In den letzteren &#x017F;ind die Individuen<lb/>
&#x201E;freier&#x201C;, weil weniger ge&#x017F;chuhriegelt. Frei aber bin <hi rendition="#g">Ich</hi> in<lb/><hi rendition="#g">keinem</hi> Staate. Die gerühmte Toleranz der Staaten i&#x017F;t<lb/>
eben nur ein Toleriren des &#x201E;Un&#x017F;chädlichen&#x201C;, &#x201E;Ungefährlichen&#x201C;,<lb/>
i&#x017F;t nur Erhebung über den Kleinlichkeits&#x017F;inn, nur eine achtungs¬<lb/>
weithere, großartigere, &#x017F;tolzere &#x2014; Despotie. Ein gewi&#x017F;&#x017F;er Staat<lb/>
&#x017F;chien eine Zeit lang ziemlich erhaben über die <hi rendition="#g">literari&#x017F;chen</hi><lb/>
Kämpfe &#x017F;ein zu wollen, die mit aller Hitze geführt werden<lb/>
durften; England i&#x017F;t erhaben über das <hi rendition="#g">Volksgewühl</hi> und<lb/>
&#x2014; Tabackrauchen. Aber wehe der Literatur, die dem Staate<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t an den Leib geht, wehe den Volksrottirungen, die den<lb/>
Staat &#x201E;gefährden&#x201C;. In jenem gewi&#x017F;&#x017F;en Staate träumt man<lb/>
von einer &#x201E;freien Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft&#x201C;, in England von einem &#x201E;freien<lb/>
Volksleben&#x201C;.</p><lb/>
            <p>Der Staat läßt die Individuen wohl möglich&#x017F;t frei <hi rendition="#g">&#x017F;pie¬<lb/>
len</hi>, nur <hi rendition="#g">Ern&#x017F;t</hi> dürfen &#x017F;ie nicht machen, dürfen ihn nicht<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en. Der Men&#x017F;ch darf nicht <hi rendition="#g">unbekümmert</hi> mit dem<lb/>
Men&#x017F;chen verkehren, nicht ohne &#x201E;höhere Auf&#x017F;icht und Vermitt¬<lb/>
lung&#x201C;. Ich darf nicht Alles lei&#x017F;ten, was Ich vermag, &#x017F;on¬<lb/>
dern nur &#x017F;o viel, als der Staat erlaubt, Ich darf nicht <hi rendition="#g">meine</hi><lb/>
Gedanken verwerthen, nicht <hi rendition="#g">meine</hi> Arbeit, überhaupt nichts<lb/>
Meiniges.</p><lb/>
            <p>Der Staat hat immer nur den Zweck, den Einzelnen zu<lb/>
be&#x017F;chränken, zu bändigen, zu &#x017F;ubordiniren, ihn irgend einem<lb/><hi rendition="#g">Allgemeinen</hi> Unterthan zu machen; er dauert nur &#x017F;o lange,<lb/>
als der Einzelne nicht Alles in Allem i&#x017F;t, und i&#x017F;t nur die<lb/>
deutlich ausgeprägte <hi rendition="#g">Be&#x017F;chränktheit Meiner</hi>, meine Be¬<lb/>
&#x017F;chränkung, meine Sklaverei. Niemals zielt ein Staat dahin,<lb/>
die freie Thätigkeit der Einzelnen herbeizuführen, &#x017F;ondern &#x017F;tets<lb/>
die an den <hi rendition="#g">Staatszweck</hi> gebundene. Durch den Staat<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0306] andere geſcheidter ſind. In den letzteren ſind die Individuen „freier“, weil weniger geſchuhriegelt. Frei aber bin Ich in keinem Staate. Die gerühmte Toleranz der Staaten iſt eben nur ein Toleriren des „Unſchädlichen“, „Ungefährlichen“, iſt nur Erhebung über den Kleinlichkeitsſinn, nur eine achtungs¬ weithere, großartigere, ſtolzere — Despotie. Ein gewiſſer Staat ſchien eine Zeit lang ziemlich erhaben über die literariſchen Kämpfe ſein zu wollen, die mit aller Hitze geführt werden durften; England iſt erhaben über das Volksgewühl und — Tabackrauchen. Aber wehe der Literatur, die dem Staate ſelbſt an den Leib geht, wehe den Volksrottirungen, die den Staat „gefährden“. In jenem gewiſſen Staate träumt man von einer „freien Wiſſenſchaft“, in England von einem „freien Volksleben“. Der Staat läßt die Individuen wohl möglichſt frei ſpie¬ len, nur Ernſt dürfen ſie nicht machen, dürfen ihn nicht vergeſſen. Der Menſch darf nicht unbekümmert mit dem Menſchen verkehren, nicht ohne „höhere Aufſicht und Vermitt¬ lung“. Ich darf nicht Alles leiſten, was Ich vermag, ſon¬ dern nur ſo viel, als der Staat erlaubt, Ich darf nicht meine Gedanken verwerthen, nicht meine Arbeit, überhaupt nichts Meiniges. Der Staat hat immer nur den Zweck, den Einzelnen zu beſchränken, zu bändigen, zu ſubordiniren, ihn irgend einem Allgemeinen Unterthan zu machen; er dauert nur ſo lange, als der Einzelne nicht Alles in Allem iſt, und iſt nur die deutlich ausgeprägte Beſchränktheit Meiner, meine Be¬ ſchränkung, meine Sklaverei. Niemals zielt ein Staat dahin, die freie Thätigkeit der Einzelnen herbeizuführen, ſondern ſtets die an den Staatszweck gebundene. Durch den Staat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/306
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/306>, abgerufen am 24.11.2024.