sitorische Processe, er fiscalische, kurz dort Sünden, hier Verbrechen, dort Sünder, hier Verbrecher, dort Inquisition und hier -- Inquisition. Wird die Heiligkeit des Staats nicht gleich der kirchlichen fallen? Der Schauer seiner Gesetze, die Ehrfurcht vor seiner Hoheit, die Demuth seiner "Unterthanen", wird dieß bleiben? Wird das "Heiligengesicht" nicht verun¬ ziert werden?
Welch' eine Thorheit, von der Staatsgewalt zu verlangen, daß sie mit dem Einzelnen einen ehrlichen Kampf eingehen und, wie man bei der Preßfreiheit sich ausdrückt, Sonne und Wind gleich theilen solle. Wenn der Staat, dieser Gedanke, eine geltende Macht sein soll, so muß er eben eine höhere Macht gegen den Einzelnen sein. Der Staat ist "heilig" und darf sich den "frechen Angriffen" der Einzelnen nicht aussetzen. Ist der Staat heilig, so muß Censur sein. Die politischen Liberalen geben das erstere zu und bestreiten die Consequenz. Jedenfalls aber räumen sie ihm die Repressivmaaßregeln ein, denn -- sie bleiben dabei, daß Staat mehr sei als der Ein¬ zelne und eine berechtigte Rache ausübe, Strafe genannt.
Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn sie die Sühne für die Verletzung eines Heiligen gewähren soll. Ist Einem etwas heilig, so verdient er allerdings, wo er es anfeindet, Strafe. Ein Mensch, der ein Menschenleben bestehen läßt, weil es ihm heilig ist, und er eine Scheu vor seiner Anta¬ stung trägt, ist eben ein -- religiöser Mensch.
Weitling legt die Verbrechen der "gesellschaftlichen Unord¬ nung" zur Last und lebt der Erwartung, daß unter communi¬ stischen Einrichtungen die Verbrechen unmöglich werden, weil die Versuchungen zu denselben, z. B. das Geld, wegfallen. Da indeß seine organisirte Gesellschaft auch zur heiligen und
ſitoriſche Proceſſe, er fiscaliſche, kurz dort Sünden, hier Verbrechen, dort Sünder, hier Verbrecher, dort Inquiſition und hier — Inquiſition. Wird die Heiligkeit des Staats nicht gleich der kirchlichen fallen? Der Schauer ſeiner Geſetze, die Ehrfurcht vor ſeiner Hoheit, die Demuth ſeiner „Unterthanen“, wird dieß bleiben? Wird das „Heiligengeſicht“ nicht verun¬ ziert werden?
Welch' eine Thorheit, von der Staatsgewalt zu verlangen, daß ſie mit dem Einzelnen einen ehrlichen Kampf eingehen und, wie man bei der Preßfreiheit ſich ausdrückt, Sonne und Wind gleich theilen ſolle. Wenn der Staat, dieſer Gedanke, eine geltende Macht ſein ſoll, ſo muß er eben eine höhere Macht gegen den Einzelnen ſein. Der Staat iſt „heilig“ und darf ſich den „frechen Angriffen“ der Einzelnen nicht ausſetzen. Iſt der Staat heilig, ſo muß Cenſur ſein. Die politiſchen Liberalen geben das erſtere zu und beſtreiten die Conſequenz. Jedenfalls aber räumen ſie ihm die Repreſſivmaaßregeln ein, denn — ſie bleiben dabei, daß Staat mehr ſei als der Ein¬ zelne und eine berechtigte Rache ausübe, Strafe genannt.
Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn ſie die Sühne für die Verletzung eines Heiligen gewähren ſoll. Iſt Einem etwas heilig, ſo verdient er allerdings, wo er es anfeindet, Strafe. Ein Menſch, der ein Menſchenleben beſtehen läßt, weil es ihm heilig iſt, und er eine Scheu vor ſeiner Anta¬ ſtung trägt, iſt eben ein — religiöſer Menſch.
Weitling legt die Verbrechen der „geſellſchaftlichen Unord¬ nung“ zur Laſt und lebt der Erwartung, daß unter communi¬ ſtiſchen Einrichtungen die Verbrechen unmöglich werden, weil die Verſuchungen zu denſelben, z. B. das Geld, wegfallen. Da indeß ſeine organiſirte Geſellſchaft auch zur heiligen und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><hirendition="#g"><pbfacs="#f0324"n="316"/>ſitoriſche</hi> Proceſſe, er <hirendition="#g">fiscaliſche</hi>, kurz dort Sünden, hier<lb/>
Verbrechen, dort Sünder, hier Verbrecher, dort Inquiſition und<lb/>
hier — Inquiſition. Wird die Heiligkeit des Staats nicht<lb/>
gleich der kirchlichen fallen? Der Schauer ſeiner Geſetze, die<lb/>
Ehrfurcht vor ſeiner Hoheit, die Demuth ſeiner „Unterthanen“,<lb/>
wird dieß bleiben? Wird das „Heiligengeſicht“ nicht verun¬<lb/>
ziert werden?</p><lb/><p>Welch' eine Thorheit, von der Staatsgewalt zu verlangen,<lb/>
daß ſie mit dem Einzelnen einen ehrlichen Kampf eingehen<lb/>
und, wie man bei der Preßfreiheit ſich ausdrückt, Sonne und<lb/>
Wind gleich theilen ſolle. Wenn der Staat, dieſer Gedanke,<lb/>
eine geltende Macht ſein ſoll, ſo muß er eben eine höhere<lb/>
Macht gegen den Einzelnen ſein. Der Staat iſt „heilig“ und<lb/>
darf ſich den „frechen Angriffen“ der Einzelnen nicht ausſetzen.<lb/>
Iſt der Staat <hirendition="#g">heilig</hi>, ſo muß Cenſur ſein. Die politiſchen<lb/>
Liberalen geben das erſtere zu und beſtreiten die Conſequenz.<lb/>
Jedenfalls aber räumen ſie ihm die Repreſſivmaaßregeln ein,<lb/>
denn —ſie bleiben dabei, daß Staat <hirendition="#g">mehr</hi>ſei als der Ein¬<lb/>
zelne und eine berechtigte Rache ausübe, Strafe genannt.</p><lb/><p><hirendition="#g">Strafe</hi> hat nur dann einen Sinn, wenn ſie die Sühne<lb/>
für die Verletzung eines <hirendition="#g">Heiligen</hi> gewähren ſoll. Iſt Einem<lb/>
etwas heilig, ſo verdient er allerdings, wo er es anfeindet,<lb/>
Strafe. Ein Menſch, der ein Menſchenleben beſtehen läßt,<lb/><hirendition="#g">weil</hi> es ihm heilig iſt, und er eine <hirendition="#g">Scheu</hi> vor ſeiner Anta¬<lb/>ſtung trägt, iſt eben ein —<hirendition="#g">religiöſer</hi> Menſch.</p><lb/><p>Weitling legt die Verbrechen der „geſellſchaftlichen Unord¬<lb/>
nung“ zur Laſt und lebt der Erwartung, daß unter communi¬<lb/>ſtiſchen Einrichtungen die Verbrechen unmöglich werden, weil<lb/>
die Verſuchungen zu denſelben, z. B. das Geld, wegfallen.<lb/>
Da indeß ſeine organiſirte Geſellſchaft auch zur heiligen und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[316/0324]
ſitoriſche Proceſſe, er fiscaliſche, kurz dort Sünden, hier
Verbrechen, dort Sünder, hier Verbrecher, dort Inquiſition und
hier — Inquiſition. Wird die Heiligkeit des Staats nicht
gleich der kirchlichen fallen? Der Schauer ſeiner Geſetze, die
Ehrfurcht vor ſeiner Hoheit, die Demuth ſeiner „Unterthanen“,
wird dieß bleiben? Wird das „Heiligengeſicht“ nicht verun¬
ziert werden?
Welch' eine Thorheit, von der Staatsgewalt zu verlangen,
daß ſie mit dem Einzelnen einen ehrlichen Kampf eingehen
und, wie man bei der Preßfreiheit ſich ausdrückt, Sonne und
Wind gleich theilen ſolle. Wenn der Staat, dieſer Gedanke,
eine geltende Macht ſein ſoll, ſo muß er eben eine höhere
Macht gegen den Einzelnen ſein. Der Staat iſt „heilig“ und
darf ſich den „frechen Angriffen“ der Einzelnen nicht ausſetzen.
Iſt der Staat heilig, ſo muß Cenſur ſein. Die politiſchen
Liberalen geben das erſtere zu und beſtreiten die Conſequenz.
Jedenfalls aber räumen ſie ihm die Repreſſivmaaßregeln ein,
denn — ſie bleiben dabei, daß Staat mehr ſei als der Ein¬
zelne und eine berechtigte Rache ausübe, Strafe genannt.
Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn ſie die Sühne
für die Verletzung eines Heiligen gewähren ſoll. Iſt Einem
etwas heilig, ſo verdient er allerdings, wo er es anfeindet,
Strafe. Ein Menſch, der ein Menſchenleben beſtehen läßt,
weil es ihm heilig iſt, und er eine Scheu vor ſeiner Anta¬
ſtung trägt, iſt eben ein — religiöſer Menſch.
Weitling legt die Verbrechen der „geſellſchaftlichen Unord¬
nung“ zur Laſt und lebt der Erwartung, daß unter communi¬
ſtiſchen Einrichtungen die Verbrechen unmöglich werden, weil
die Verſuchungen zu denſelben, z. B. das Geld, wegfallen.
Da indeß ſeine organiſirte Geſellſchaft auch zur heiligen und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/324>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.