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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Arbeit, die Ich verwerthen will. Da kann Ich aber lange
klagen, meine Arbeit werde Mir nicht nach ihrem Werthe be¬
zahlt: es wird der Bezahlende Mich nicht hören und der Staat
gleichfalls so lange apathisch sich verhalten, bis er glaubt,
Mich "beschwichtigen" zu müssen, damit Ich nicht mit meiner
gefürchteten Gewalt hervorbreche. Bei dieser "Beschwichtigung"
aber wird es sein Bewenden haben, und fällt Mir mehr zu
verlangen ein, so wendet sich der Staat wider Mich mit aller
Kraft seiner Löwentatzen und Adlerklauen: denn er ist der
König der Thiere, ist Löwe und Adler. Lasse Ich Mir nicht
genügen an dem Preise, den er für meine Waare und Arbeit
festsetzt, trachte Ich vielmehr, den Preis meiner Waare selbst
zu bestimmen, d. h. "Mich bezahlt zu machen", so gerathe
Ich zunächst mit den Abnehmern der Waare in einen Conflict.
Löste sich dieser durch ein Uebereinkommen von beiden Seiten,
so würde der Staat nicht leicht Einwendungen machen; denn
wie die Einzelnen mit einander fertig werden, kümmert ihn
wenig, so fern sie ihm dabei nur nicht in den Weg kommen.
Sein Schaden und seine Gefahr beginnt erst da, wo sie nicht
mit einander auskommen, sondern, weil keine Ausgleichung
stattfindet, sich bei den Köpfen fassen. Der Staat kann es
nicht dulden, daß der Mensch zum Menschen in einem direkten
Verhältnisse stehe; er muß dazwischen treten als -- Mittler,
muß -- interveniren. Was Christus war, was die Hei¬
ligen, die Kirche, das ist der Staat geworden, nämlich "Mitt¬
ler". Er reißt den Menschen vom Menschen, um sich als
"Geist" in die Mitte zu stellen. Die Arbeiter, welche höheren
Lohn verlangen, werden als Verbrecher behandelt, sobald sie
ihn erzwingen wollen. Was sollen sie thun? Ohne Zwang
bekommen sie ihn nicht, und im Zwange sieht der Staat eine

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Arbeit, die Ich verwerthen will. Da kann Ich aber lange
klagen, meine Arbeit werde Mir nicht nach ihrem Werthe be¬
zahlt: es wird der Bezahlende Mich nicht hören und der Staat
gleichfalls ſo lange apathiſch ſich verhalten, bis er glaubt,
Mich „beſchwichtigen“ zu müſſen, damit Ich nicht mit meiner
gefürchteten Gewalt hervorbreche. Bei dieſer „Beſchwichtigung“
aber wird es ſein Bewenden haben, und fällt Mir mehr zu
verlangen ein, ſo wendet ſich der Staat wider Mich mit aller
Kraft ſeiner Löwentatzen und Adlerklauen: denn er iſt der
König der Thiere, iſt Löwe und Adler. Laſſe Ich Mir nicht
genügen an dem Preiſe, den er für meine Waare und Arbeit
feſtſetzt, trachte Ich vielmehr, den Preis meiner Waare ſelbſt
zu beſtimmen, d. h. „Mich bezahlt zu machen“, ſo gerathe
Ich zunächſt mit den Abnehmern der Waare in einen Conflict.
Löſte ſich dieſer durch ein Uebereinkommen von beiden Seiten,
ſo würde der Staat nicht leicht Einwendungen machen; denn
wie die Einzelnen mit einander fertig werden, kümmert ihn
wenig, ſo fern ſie ihm dabei nur nicht in den Weg kommen.
Sein Schaden und ſeine Gefahr beginnt erſt da, wo ſie nicht
mit einander auskommen, ſondern, weil keine Ausgleichung
ſtattfindet, ſich bei den Köpfen faſſen. Der Staat kann es
nicht dulden, daß der Menſch zum Menſchen in einem direkten
Verhältniſſe ſtehe; er muß dazwiſchen treten als — Mittler,
muß — interveniren. Was Chriſtus war, was die Hei¬
ligen, die Kirche, das iſt der Staat geworden, nämlich „Mitt¬
ler“. Er reißt den Menſchen vom Menſchen, um ſich als
„Geiſt“ in die Mitte zu ſtellen. Die Arbeiter, welche höheren
Lohn verlangen, werden als Verbrecher behandelt, ſobald ſie
ihn erzwingen wollen. Was ſollen ſie thun? Ohne Zwang
bekommen ſie ihn nicht, und im Zwange ſieht der Staat eine

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[337/0345] Arbeit, die Ich verwerthen will. Da kann Ich aber lange klagen, meine Arbeit werde Mir nicht nach ihrem Werthe be¬ zahlt: es wird der Bezahlende Mich nicht hören und der Staat gleichfalls ſo lange apathiſch ſich verhalten, bis er glaubt, Mich „beſchwichtigen“ zu müſſen, damit Ich nicht mit meiner gefürchteten Gewalt hervorbreche. Bei dieſer „Beſchwichtigung“ aber wird es ſein Bewenden haben, und fällt Mir mehr zu verlangen ein, ſo wendet ſich der Staat wider Mich mit aller Kraft ſeiner Löwentatzen und Adlerklauen: denn er iſt der König der Thiere, iſt Löwe und Adler. Laſſe Ich Mir nicht genügen an dem Preiſe, den er für meine Waare und Arbeit feſtſetzt, trachte Ich vielmehr, den Preis meiner Waare ſelbſt zu beſtimmen, d. h. „Mich bezahlt zu machen“, ſo gerathe Ich zunächſt mit den Abnehmern der Waare in einen Conflict. Löſte ſich dieſer durch ein Uebereinkommen von beiden Seiten, ſo würde der Staat nicht leicht Einwendungen machen; denn wie die Einzelnen mit einander fertig werden, kümmert ihn wenig, ſo fern ſie ihm dabei nur nicht in den Weg kommen. Sein Schaden und ſeine Gefahr beginnt erſt da, wo ſie nicht mit einander auskommen, ſondern, weil keine Ausgleichung ſtattfindet, ſich bei den Köpfen faſſen. Der Staat kann es nicht dulden, daß der Menſch zum Menſchen in einem direkten Verhältniſſe ſtehe; er muß dazwiſchen treten als — Mittler, muß — interveniren. Was Chriſtus war, was die Hei¬ ligen, die Kirche, das iſt der Staat geworden, nämlich „Mitt¬ ler“. Er reißt den Menſchen vom Menſchen, um ſich als „Geiſt“ in die Mitte zu ſtellen. Die Arbeiter, welche höheren Lohn verlangen, werden als Verbrecher behandelt, ſobald ſie ihn erzwingen wollen. Was ſollen ſie thun? Ohne Zwang bekommen ſie ihn nicht, und im Zwange ſieht der Staat eine 22

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/345>, abgerufen am 24.11.2024.