für Dich die Rechtmäßigkeit eingebüßt und das absolute Recht daran wirst Du verlachen.
Außer dem bisher besprochenen Eigenthum im beschränk¬ ten Sinne wird unserem ehrfürchtigen Gemüthe ein anderes Eigenthum vorgehalten, an welchem Wir Uns noch weit we¬ niger "versündigen sollen". Dieß Eigenthum besteht in den geistigen Gütern, in dem "Heiligthume des Innern". Was ein Mensch heilig hält, damit soll kein anderer sein Gespötte treiben, weil, so unwahr es immer sein und so eifrig man den daran Hängenden und Glaubenden "auf liebevolle und be¬ scheidene Art" von einem wahren Heiligen zu überzeugen suchen mag, doch das Heilige selbst allezeit daran zu ehren ist: der Irrende glaubt doch an das Heilige, wenn auch an ein unrichtiges, und so muß sein Glaube an das Heilige wenig¬ stens geachtet werden.
In roheren Zeiten, als die unseren sind, pflegte man ei¬ nen bestimmten Glauben und die Hingebung an ein bestimm¬ tes Heiliges zu verlangen und ging mit den Andersgläubigen nicht auf's sanfteste um; seit jedoch die "Glaubensfreiheit" sich mehr und mehr ausbreitete, zerfloß der "eifrige Gott und alleinige Herr" allgemach in ein ziemlich allgemeines "höchstes Wesen", und es genügte der humanen Toleranz, wenn nur Jeder "ein Heiliges" verehrte.
Auf den menschlichsten Ausdruck gebracht, ist dieß Heilige "der Mensch selbst" und "das Menschliche". Bei dem trüge¬ rischen Scheine, als wäre das Menschliche ganz und gar un¬ ser Eigenes und frei von aller Jenseitigkeit, womit das Gött¬ liche behaftet ist, ja als wäre der Mensch so viel als Ich oder Du, kann sogar der stolze Wahn entstehen, daß von ei¬ nem "Heiligen" nicht länger die Rede sei, und daß Wir Uns
für Dich die Rechtmäßigkeit eingebüßt und das abſolute Recht daran wirſt Du verlachen.
Außer dem bisher beſprochenen Eigenthum im beſchränk¬ ten Sinne wird unſerem ehrfürchtigen Gemüthe ein anderes Eigenthum vorgehalten, an welchem Wir Uns noch weit we¬ niger „verſündigen ſollen“. Dieß Eigenthum beſteht in den geiſtigen Gütern, in dem „Heiligthume des Innern“. Was ein Menſch heilig hält, damit ſoll kein anderer ſein Geſpötte treiben, weil, ſo unwahr es immer ſein und ſo eifrig man den daran Hängenden und Glaubenden „auf liebevolle und be¬ ſcheidene Art“ von einem wahren Heiligen zu überzeugen ſuchen mag, doch das Heilige ſelbſt allezeit daran zu ehren iſt: der Irrende glaubt doch an das Heilige, wenn auch an ein unrichtiges, und ſo muß ſein Glaube an das Heilige wenig¬ ſtens geachtet werden.
In roheren Zeiten, als die unſeren ſind, pflegte man ei¬ nen beſtimmten Glauben und die Hingebung an ein beſtimm¬ tes Heiliges zu verlangen und ging mit den Andersgläubigen nicht auf's ſanfteſte um; ſeit jedoch die „Glaubensfreiheit“ ſich mehr und mehr ausbreitete, zerfloß der „eifrige Gott und alleinige Herr“ allgemach in ein ziemlich allgemeines „höchſtes Weſen“, und es genügte der humanen Toleranz, wenn nur Jeder „ein Heiliges“ verehrte.
Auf den menſchlichſten Ausdruck gebracht, iſt dieß Heilige „der Menſch ſelbſt“ und „das Menſchliche“. Bei dem trüge¬ riſchen Scheine, als wäre das Menſchliche ganz und gar un¬ ſer Eigenes und frei von aller Jenſeitigkeit, womit das Gött¬ liche behaftet iſt, ja als wäre der Menſch ſo viel als Ich oder Du, kann ſogar der ſtolze Wahn entſtehen, daß von ei¬ nem „Heiligen“ nicht länger die Rede ſei, und daß Wir Uns
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für Dich die Rechtmäßigkeit eingebüßt und das abſolute Recht
daran wirſt Du verlachen.
Außer dem bisher beſprochenen Eigenthum im beſchränk¬
ten Sinne wird unſerem ehrfürchtigen Gemüthe ein anderes
Eigenthum vorgehalten, an welchem Wir Uns noch weit we¬
niger „verſündigen ſollen“. Dieß Eigenthum beſteht in den
geiſtigen Gütern, in dem „Heiligthume des Innern“. Was
ein Menſch heilig hält, damit ſoll kein anderer ſein Geſpötte
treiben, weil, ſo unwahr es immer ſein und ſo eifrig man den
daran Hängenden und Glaubenden „auf liebevolle und be¬
ſcheidene Art“ von einem wahren Heiligen zu überzeugen ſuchen
mag, doch das Heilige ſelbſt allezeit daran zu ehren iſt:
der Irrende glaubt doch an das Heilige, wenn auch an ein
unrichtiges, und ſo muß ſein Glaube an das Heilige wenig¬
ſtens geachtet werden.
In roheren Zeiten, als die unſeren ſind, pflegte man ei¬
nen beſtimmten Glauben und die Hingebung an ein beſtimm¬
tes Heiliges zu verlangen und ging mit den Andersgläubigen
nicht auf's ſanfteſte um; ſeit jedoch die „Glaubensfreiheit“
ſich mehr und mehr ausbreitete, zerfloß der „eifrige Gott und
alleinige Herr“ allgemach in ein ziemlich allgemeines „höchſtes
Weſen“, und es genügte der humanen Toleranz, wenn nur
Jeder „ein Heiliges“ verehrte.
Auf den menſchlichſten Ausdruck gebracht, iſt dieß Heilige
„der Menſch ſelbſt“ und „das Menſchliche“. Bei dem trüge¬
riſchen Scheine, als wäre das Menſchliche ganz und gar un¬
ſer Eigenes und frei von aller Jenſeitigkeit, womit das Gött¬
liche behaftet iſt, ja als wäre der Menſch ſo viel als Ich
oder Du, kann ſogar der ſtolze Wahn entſtehen, daß von ei¬
nem „Heiligen“ nicht länger die Rede ſei, und daß Wir Uns
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/378>, abgerufen am 23.11.2024.
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