Aber die Liebe ist kein Gebot, sondern, wie jedes meiner Gefühle, mein Eigenthum. Erwerbt, d. h. erkauft mein Eigenthum, dann lasse Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk, ein Vaterland, eine Familie u. s. w., die sich meine Liebe nicht zu erwerben wissen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich stelle den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.
Die eigennützige Liebe steht weit von der uneigennützigen, mystischen oder romantischen ab. Lieben kann man alles Mög¬ liche, nicht bloß Menschen, sondern überhaupt einen "Gegen¬ stand" (den Wein, sein Vaterland u. s. w.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß ein Müssen sie meiner Gewalt entzieht (Vernarrtheit), romantisch dadurch, daß ein Sollen in sie eintritt, d. h. daß der "Gegenstand" Mir heilig wird, oder Ich durch Pflicht, Gewissen, Eid an ihn gebunden werde. Nun ist der Gegenstand nicht mehr für Mich, sondern Ich bin für ihn da.
Nicht als meine Empfindung ist die Liebe eine Besessen¬ heit -- als jene behalte Ich sie vielmehr im Besitz als Eigen¬ thum --, sondern durch die Fremdheit des Gegenstandes. Die religiöse Liebe besteht nämlich in dem Gebote, in dem Gelieb¬ ten einen "Heiligen" zu lieben oder an einem Heiligen zu hangen, für die uneigennützige Liebe giebt es absolut lie¬ benswürdige Gegenstände, für welche mein Herz schlagen soll, z. B. die Mitmenschen, oder den Ehegatten, die Ver¬ wandten u. s. w. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Ge¬ liebten, und bemüht sich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr einen Heiligen (z. B. einen "Menschen") zu machen.
Der Geliebte ist ein Gegenstand, der von Mir geliebt werden soll. Er ist nicht Gegenstand meiner Liebe darum, weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, sondern ist Gegenstand
Aber die Liebe iſt kein Gebot, ſondern, wie jedes meiner Gefühle, mein Eigenthum. Erwerbt, d. h. erkauft mein Eigenthum, dann laſſe Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk, ein Vaterland, eine Familie u. ſ. w., die ſich meine Liebe nicht zu erwerben wiſſen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich ſtelle den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.
Die eigennützige Liebe ſteht weit von der uneigennützigen, myſtiſchen oder romantiſchen ab. Lieben kann man alles Mög¬ liche, nicht bloß Menſchen, ſondern überhaupt einen „Gegen¬ ſtand“ (den Wein, ſein Vaterland u. ſ. w.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß ein Müſſen ſie meiner Gewalt entzieht (Vernarrtheit), romantiſch dadurch, daß ein Sollen in ſie eintritt, d. h. daß der „Gegenſtand“ Mir heilig wird, oder Ich durch Pflicht, Gewiſſen, Eid an ihn gebunden werde. Nun iſt der Gegenſtand nicht mehr für Mich, ſondern Ich bin für ihn da.
Nicht als meine Empfindung iſt die Liebe eine Beſeſſen¬ heit — als jene behalte Ich ſie vielmehr im Beſitz als Eigen¬ thum —, ſondern durch die Fremdheit des Gegenſtandes. Die religiöſe Liebe beſteht nämlich in dem Gebote, in dem Gelieb¬ ten einen „Heiligen“ zu lieben oder an einem Heiligen zu hangen, für die uneigennützige Liebe giebt es abſolut lie¬ benswürdige Gegenſtände, für welche mein Herz ſchlagen ſoll, z. B. die Mitmenſchen, oder den Ehegatten, die Ver¬ wandten u. ſ. w. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Ge¬ liebten, und bemüht ſich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr einen Heiligen (z. B. einen „Menſchen“) zu machen.
Der Geliebte iſt ein Gegenſtand, der von Mir geliebt werden ſoll. Er iſt nicht Gegenſtand meiner Liebe darum, weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, ſondern iſt Gegenſtand
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Aber die Liebe iſt kein Gebot, ſondern, wie jedes meiner
Gefühle, mein Eigenthum. Erwerbt, d. h. erkauft mein
Eigenthum, dann laſſe Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk,
ein Vaterland, eine Familie u. ſ. w., die ſich meine Liebe nicht
zu erwerben wiſſen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich ſtelle
den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.
Die eigennützige Liebe ſteht weit von der uneigennützigen,
myſtiſchen oder romantiſchen ab. Lieben kann man alles Mög¬
liche, nicht bloß Menſchen, ſondern überhaupt einen „Gegen¬
ſtand“ (den Wein, ſein Vaterland u. ſ. w.). Blind und toll
wird die Liebe dadurch, daß ein Müſſen ſie meiner Gewalt
entzieht (Vernarrtheit), romantiſch dadurch, daß ein Sollen
in ſie eintritt, d. h. daß der „Gegenſtand“ Mir heilig wird,
oder Ich durch Pflicht, Gewiſſen, Eid an ihn gebunden werde.
Nun iſt der Gegenſtand nicht mehr für Mich, ſondern Ich bin
für ihn da.
Nicht als meine Empfindung iſt die Liebe eine Beſeſſen¬
heit — als jene behalte Ich ſie vielmehr im Beſitz als Eigen¬
thum —, ſondern durch die Fremdheit des Gegenſtandes. Die
religiöſe Liebe beſteht nämlich in dem Gebote, in dem Gelieb¬
ten einen „Heiligen“ zu lieben oder an einem Heiligen zu
hangen, für die uneigennützige Liebe giebt es abſolut lie¬
benswürdige Gegenſtände, für welche mein Herz ſchlagen
ſoll, z. B. die Mitmenſchen, oder den Ehegatten, die Ver¬
wandten u. ſ. w. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Ge¬
liebten, und bemüht ſich darum auch, aus dem Geliebten immer
mehr einen Heiligen (z. B. einen „Menſchen“) zu machen.
Der Geliebte iſt ein Gegenſtand, der von Mir geliebt
werden ſoll. Er iſt nicht Gegenſtand meiner Liebe darum,
weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, ſondern iſt Gegenſtand
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/397>, abgerufen am 23.11.2024.
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