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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Wer einen Gedanken nicht los werden kann, der ist soweit
nur Mensch, ist ein Knecht der Sprache, dieser Menschen¬
satzung, dieses Schatzes von menschlichen Gedanken. Die
Sprache oder "das Wort" tyrannisirt Uns am ärgsten, weil
sie ein ganzes Heer von fixen Ideen gegen uns aufführt.
Beobachte Dich einmal jetzt eben bei deinem Nachdenken, und
Du wirst finden, wie Du nur dadurch weiter kommst, daß
Du jeden Augenblick gedanken- und sprachlos wirst. Du bist
nicht etwa bloß im Schlafe, sondern selbst im tiefsten Nach¬
denken gedanken- und sprachlos, ja dann gerade am meisten.
Und nur durch diese Gedankenlosigkeit, diese verkannte "Gedan¬
kenfreiheit" oder Freiheit vom Gedanken bist Du dein eigen.
Erst von ihr aus gelangst Du dazu, die Sprache als dein
Eigenthum zu verbrauchen.

Ist das Denken nicht mein Denken, so ist es bloß ein
fortgesponnener Gedanke, ist Sklavenarbeit oder Arbeit eines
"Dieners am Worte". Für mein Denken ist nämlich der An¬
fang nicht ein Gedanke, sondern Ich, und darum bin Ich auch
sein Ziel, wie denn sein ganzer Verlauf nur ein Verlauf mei¬
nes Selbstgenusses ist; für das absolute oder freie Denken ist
hingegen das Denken selbst der Anfang, und es quält sich da¬
mit, diesen Anfang als die äußerste "Abstraction" (z. B. als
Sein) aufzustellen. Ebendiese Abstraction oder dieser Gedanke
wird dann weiter ausgesponnen.

Das absolute Denken ist die Sache des menschlichen Gei¬
stes, und dieser ist ein heiliger Geist. Daher ist dieß Denken
Sache der Pfaffen, die "Sinn dafür haben", Sinn für die
"höchsten Interessen der Menschheit", für "den Geist".

Dem Gläubigen sind die Wahrheiten eine ausgemachte
Sache, eine Thatsache; dem frei Denkenden eine Sache, die erst

Wer einen Gedanken nicht los werden kann, der iſt ſoweit
nur Menſch, iſt ein Knecht der Sprache, dieſer Menſchen¬
ſatzung, dieſes Schatzes von menſchlichen Gedanken. Die
Sprache oder „das Wort“ tyranniſirt Uns am ärgſten, weil
ſie ein ganzes Heer von fixen Ideen gegen uns aufführt.
Beobachte Dich einmal jetzt eben bei deinem Nachdenken, und
Du wirſt finden, wie Du nur dadurch weiter kommſt, daß
Du jeden Augenblick gedanken- und ſprachlos wirſt. Du biſt
nicht etwa bloß im Schlafe, ſondern ſelbſt im tiefſten Nach¬
denken gedanken- und ſprachlos, ja dann gerade am meiſten.
Und nur durch dieſe Gedankenloſigkeit, dieſe verkannte „Gedan¬
kenfreiheit“ oder Freiheit vom Gedanken biſt Du dein eigen.
Erſt von ihr aus gelangſt Du dazu, die Sprache als dein
Eigenthum zu verbrauchen.

Iſt das Denken nicht mein Denken, ſo iſt es bloß ein
fortgeſponnener Gedanke, iſt Sklavenarbeit oder Arbeit eines
„Dieners am Worte“. Für mein Denken iſt nämlich der An¬
fang nicht ein Gedanke, ſondern Ich, und darum bin Ich auch
ſein Ziel, wie denn ſein ganzer Verlauf nur ein Verlauf mei¬
nes Selbſtgenuſſes iſt; für das abſolute oder freie Denken iſt
hingegen das Denken ſelbſt der Anfang, und es quält ſich da¬
mit, dieſen Anfang als die äußerſte „Abſtraction“ (z. B. als
Sein) aufzuſtellen. Ebendieſe Abſtraction oder dieſer Gedanke
wird dann weiter ausgeſponnen.

Das abſolute Denken iſt die Sache des menſchlichen Gei¬
ſtes, und dieſer iſt ein heiliger Geiſt. Daher iſt dieß Denken
Sache der Pfaffen, die „Sinn dafür haben“, Sinn für die
„höchſten Intereſſen der Menſchheit“, für „den Geiſt“.

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Sache, eine Thatſache; dem frei Denkenden eine Sache, die erſt

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[463/0471] Wer einen Gedanken nicht los werden kann, der iſt ſoweit nur Menſch, iſt ein Knecht der Sprache, dieſer Menſchen¬ ſatzung, dieſes Schatzes von menſchlichen Gedanken. Die Sprache oder „das Wort“ tyranniſirt Uns am ärgſten, weil ſie ein ganzes Heer von fixen Ideen gegen uns aufführt. Beobachte Dich einmal jetzt eben bei deinem Nachdenken, und Du wirſt finden, wie Du nur dadurch weiter kommſt, daß Du jeden Augenblick gedanken- und ſprachlos wirſt. Du biſt nicht etwa bloß im Schlafe, ſondern ſelbſt im tiefſten Nach¬ denken gedanken- und ſprachlos, ja dann gerade am meiſten. Und nur durch dieſe Gedankenloſigkeit, dieſe verkannte „Gedan¬ kenfreiheit“ oder Freiheit vom Gedanken biſt Du dein eigen. Erſt von ihr aus gelangſt Du dazu, die Sprache als dein Eigenthum zu verbrauchen. Iſt das Denken nicht mein Denken, ſo iſt es bloß ein fortgeſponnener Gedanke, iſt Sklavenarbeit oder Arbeit eines „Dieners am Worte“. Für mein Denken iſt nämlich der An¬ fang nicht ein Gedanke, ſondern Ich, und darum bin Ich auch ſein Ziel, wie denn ſein ganzer Verlauf nur ein Verlauf mei¬ nes Selbſtgenuſſes iſt; für das abſolute oder freie Denken iſt hingegen das Denken ſelbſt der Anfang, und es quält ſich da¬ mit, dieſen Anfang als die äußerſte „Abſtraction“ (z. B. als Sein) aufzuſtellen. Ebendieſe Abſtraction oder dieſer Gedanke wird dann weiter ausgeſponnen. Das abſolute Denken iſt die Sache des menſchlichen Gei¬ ſtes, und dieſer iſt ein heiliger Geiſt. Daher iſt dieß Denken Sache der Pfaffen, die „Sinn dafür haben“, Sinn für die „höchſten Intereſſen der Menſchheit“, für „den Geiſt“. Dem Gläubigen ſind die Wahrheiten eine ausgemachte Sache, eine Thatſache; dem frei Denkenden eine Sache, die erſt

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/471>, abgerufen am 23.11.2024.