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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Aber, wirft man verfänglicher Weise ein, so ist doch ihr
Wahnsinn oder ihre Besessenheit wenigstens ihre Sünde. Ihre
Besessenheit ist nichts als das, was sie -- zu Stande bringen
konnten, das Resultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibel¬
gläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen -- ver¬
mochte. Der Eine bringt sich mit seiner Entwicklung in's
Narrenhaus, der Andere bringt sich damit in's Pantheon und
um die -- Walhalla.

Es giebt keinen Sünder und keinen sündigen Egoismus!

Geh' Mir vom Leibe mit Deiner "Menschenliebe"!
Schleiche Dich hinein, Du Menschenfreund, in die "Höhlen
des Lasters", verweile einmal in dem Gewühl der großen
Stadt: wirst Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder
Sünde finden? Wirst Du nicht jammern über die verderbte
Menschheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus?
Wirst Du einen Reichen sehen, ohne ihn unbarmherzig und
"egoistisch" zu finden? Du nennst Dich vielleicht schon Atheist,
aber dem christlichen Gefühle bleibst Du treu, daß ein Kameel
eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher kein "Un¬
mensch" sei. Wie viele siehst Du überhaupt, die Du nicht
unter die "egoistische Masse" würfest? Was hat also deine
Menschenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menschen!
Und woher stammen sie alle? Aus Dir, aus deiner Men¬
schenliebe ! Du hast den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum
fandest Du ihn, darum schobst Du ihn überall unter. Nenne
die Menschen nicht Sünder, so sind sie's nicht: Du allein bist
der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menschen zu lie¬
ben wähnst, Du gerade wirfst sie in den Koth der Sünde,
Du gerade scheidest sie in Lasterhafte und Tugendhafte, in
Menschen und Unmenschen, Du gerade besudelst sie mit dem

Aber, wirft man verfänglicher Weiſe ein, ſo iſt doch ihr
Wahnſinn oder ihre Beſeſſenheit wenigſtens ihre Sünde. Ihre
Beſeſſenheit iſt nichts als das, was ſie — zu Stande bringen
konnten, das Reſultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibel¬
gläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen — ver¬
mochte. Der Eine bringt ſich mit ſeiner Entwicklung in's
Narrenhaus, der Andere bringt ſich damit in's Pantheon und
um die — Walhalla.

Es giebt keinen Sünder und keinen ſündigen Egoismus!

Geh' Mir vom Leibe mit Deiner „Menſchenliebe“!
Schleiche Dich hinein, Du Menſchenfreund, in die „Höhlen
des Laſters“, verweile einmal in dem Gewühl der großen
Stadt: wirſt Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder
Sünde finden? Wirſt Du nicht jammern über die verderbte
Menſchheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus?
Wirſt Du einen Reichen ſehen, ohne ihn unbarmherzig und
„egoiſtiſch“ zu finden? Du nennſt Dich vielleicht ſchon Atheiſt,
aber dem chriſtlichen Gefühle bleibſt Du treu, daß ein Kameel
eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher kein „Un¬
menſch“ ſei. Wie viele ſiehſt Du überhaupt, die Du nicht
unter die „egoiſtiſche Maſſe“ würfeſt? Was hat alſo deine
Menſchenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menſchen!
Und woher ſtammen ſie alle? Aus Dir, aus deiner Men¬
ſchenliebe ! Du haſt den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum
fandeſt Du ihn, darum ſchobſt Du ihn überall unter. Nenne
die Menſchen nicht Sünder, ſo ſind ſie's nicht: Du allein biſt
der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menſchen zu lie¬
ben wähnſt, Du gerade wirfſt ſie in den Koth der Sünde,
Du gerade ſcheideſt ſie in Laſterhafte und Tugendhafte, in
Menſchen und Unmenſchen, Du gerade beſudelſt ſie mit dem

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[482/0490] Aber, wirft man verfänglicher Weiſe ein, ſo iſt doch ihr Wahnſinn oder ihre Beſeſſenheit wenigſtens ihre Sünde. Ihre Beſeſſenheit iſt nichts als das, was ſie — zu Stande bringen konnten, das Reſultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibel¬ gläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen — ver¬ mochte. Der Eine bringt ſich mit ſeiner Entwicklung in's Narrenhaus, der Andere bringt ſich damit in's Pantheon und um die — Walhalla. Es giebt keinen Sünder und keinen ſündigen Egoismus! Geh' Mir vom Leibe mit Deiner „Menſchenliebe“! Schleiche Dich hinein, Du Menſchenfreund, in die „Höhlen des Laſters“, verweile einmal in dem Gewühl der großen Stadt: wirſt Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder Sünde finden? Wirſt Du nicht jammern über die verderbte Menſchheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus? Wirſt Du einen Reichen ſehen, ohne ihn unbarmherzig und „egoiſtiſch“ zu finden? Du nennſt Dich vielleicht ſchon Atheiſt, aber dem chriſtlichen Gefühle bleibſt Du treu, daß ein Kameel eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher kein „Un¬ menſch“ ſei. Wie viele ſiehſt Du überhaupt, die Du nicht unter die „egoiſtiſche Maſſe“ würfeſt? Was hat alſo deine Menſchenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menſchen! Und woher ſtammen ſie alle? Aus Dir, aus deiner Men¬ ſchenliebe ! Du haſt den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum fandeſt Du ihn, darum ſchobſt Du ihn überall unter. Nenne die Menſchen nicht Sünder, ſo ſind ſie's nicht: Du allein biſt der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menſchen zu lie¬ ben wähnſt, Du gerade wirfſt ſie in den Koth der Sünde, Du gerade ſcheideſt ſie in Laſterhafte und Tugendhafte, in Menſchen und Unmenſchen, Du gerade beſudelſt ſie mit dem

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/490>, abgerufen am 23.11.2024.