Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

blätter, man höre, was Schlosser sagt*): "Die Gesellschaft
Holbach's bildete ein förmliches Complott gegen die überlieferte
Lehre und das bestehende System, und die Mitglieder derselben
waren eben so fanatisch für ihren Unglauben, als Mönche und
Pfaffen, Jesuiten und Pietisten, Methodisten, Missions- und
Bibelgesellschaften für mechanischen Gottesdienst und Wortglau¬
ben zu sein pflegen."

Man achte darauf, wie ein "Sittlicher" sich benimmt, der
heutiges Tages häufig mit Gott fertig zu sein meint, und das
Christenthum als eine Beliebtheit abwirft. Wenn man ihn
fragt, ob er je daran gezweifelt habe, daß die Vermischung der
Geschwister eine Blutschande sei, daß die Monogamie die Wahr¬
heit der Ehe sei, daß die Pietät eine heilige Pflicht sei u. s. w.,
so wird ein sittlicher Schauder ihn bei der Vorstellung über¬
fallen, daß man seine Schwester auch als Weib berühren dürfe
u. s. w. Und woher dieser Schauder? Weil er an jene
sittlichen Gebote glaubt. Dieser sittliche Glaube wurzelt
tief in seiner Brust. So viel er gegen die frommen Christen
eifert, so sehr ist er dennoch selbst Christ geblieben, nämlich ein
sittlicher Christ. In der Form der Sittlichkeit hält ihn das
Christenthum gefangen, und zwar gefangen unter dem Glau¬
ben. Die Monogamie soll etwas Heiliges sein, und wer
etwa in Doppelehe lebt, der wird als Verbrecher gestraft;
wer Blutschande treibt, leidet als Verbrecher. Hiermit zeigen
sich diejenigen einverstanden, die immer schreien, auf die Reli¬
gion solle im Staate nicht gesehen werden, und der Jude
Staatsbürger gleich dem Christen sein. Ist jene Blutschande
und Monogamie nicht ein Glaubenssatz? Man rühre ihn

*) Achtzehntes Jahrhundert II, 519.

blätter, man höre, was Schloſſer ſagt*): „Die Geſellſchaft
Holbach's bildete ein förmliches Complott gegen die überlieferte
Lehre und das beſtehende Syſtem, und die Mitglieder derſelben
waren eben ſo fanatiſch für ihren Unglauben, als Mönche und
Pfaffen, Jeſuiten und Pietiſten, Methodiſten, Miſſions- und
Bibelgeſellſchaften für mechaniſchen Gottesdienſt und Wortglau¬
ben zu ſein pflegen.“

Man achte darauf, wie ein „Sittlicher“ ſich benimmt, der
heutiges Tages häufig mit Gott fertig zu ſein meint, und das
Chriſtenthum als eine Beliebtheit abwirft. Wenn man ihn
fragt, ob er je daran gezweifelt habe, daß die Vermiſchung der
Geſchwiſter eine Blutſchande ſei, daß die Monogamie die Wahr¬
heit der Ehe ſei, daß die Pietät eine heilige Pflicht ſei u. ſ. w.,
ſo wird ein ſittlicher Schauder ihn bei der Vorſtellung über¬
fallen, daß man ſeine Schweſter auch als Weib berühren dürfe
u. ſ. w. Und woher dieſer Schauder? Weil er an jene
ſittlichen Gebote glaubt. Dieſer ſittliche Glaube wurzelt
tief in ſeiner Bruſt. So viel er gegen die frommen Chriſten
eifert, ſo ſehr iſt er dennoch ſelbſt Chriſt geblieben, nämlich ein
ſittlicher Chriſt. In der Form der Sittlichkeit hält ihn das
Chriſtenthum gefangen, und zwar gefangen unter dem Glau¬
ben. Die Monogamie ſoll etwas Heiliges ſein, und wer
etwa in Doppelehe lebt, der wird als Verbrecher geſtraft;
wer Blutſchande treibt, leidet als Verbrecher. Hiermit zeigen
ſich diejenigen einverſtanden, die immer ſchreien, auf die Reli¬
gion ſolle im Staate nicht geſehen werden, und der Jude
Staatsbürger gleich dem Chriſten ſein. Iſt jene Blutſchande
und Monogamie nicht ein Glaubensſatz? Man rühre ihn

*) Achtzehntes Jahrhundert II, 519.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0068" n="60"/>
blätter, man höre, was Schlo&#x017F;&#x017F;er &#x017F;agt<note place="foot" n="*)"><lb/>
Achtzehntes Jahrhundert II, 519.</note>: &#x201E;Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
Holbach's bildete ein förmliches Complott gegen die überlieferte<lb/>
Lehre und das be&#x017F;tehende Sy&#x017F;tem, und die Mitglieder der&#x017F;elben<lb/>
waren eben &#x017F;o fanati&#x017F;ch für ihren Unglauben, als Mönche und<lb/>
Pfaffen, Je&#x017F;uiten und Pieti&#x017F;ten, Methodi&#x017F;ten, Mi&#x017F;&#x017F;ions- und<lb/>
Bibelge&#x017F;ell&#x017F;chaften für mechani&#x017F;chen Gottesdien&#x017F;t und Wortglau¬<lb/>
ben zu &#x017F;ein pflegen.&#x201C;</p><lb/>
                <p>Man achte darauf, wie ein &#x201E;Sittlicher&#x201C; &#x017F;ich benimmt, der<lb/>
heutiges Tages häufig mit Gott fertig zu &#x017F;ein meint, und das<lb/>
Chri&#x017F;tenthum als eine Beliebtheit abwirft. Wenn man ihn<lb/>
fragt, ob er je daran gezweifelt habe, daß die Vermi&#x017F;chung der<lb/>
Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter eine Blut&#x017F;chande &#x017F;ei, daß die Monogamie die Wahr¬<lb/>
heit der Ehe &#x017F;ei, daß die Pietät eine heilige Pflicht &#x017F;ei u. &#x017F;. w.,<lb/>
&#x017F;o wird ein &#x017F;ittlicher Schauder ihn bei der Vor&#x017F;tellung über¬<lb/>
fallen, daß man &#x017F;eine Schwe&#x017F;ter auch als Weib berühren dürfe<lb/>
u. &#x017F;. w. Und woher die&#x017F;er Schauder? Weil er an jene<lb/>
&#x017F;ittlichen Gebote <hi rendition="#g">glaubt</hi>. Die&#x017F;er &#x017F;ittliche <hi rendition="#g">Glaube</hi> wurzelt<lb/>
tief in &#x017F;einer Bru&#x017F;t. So viel er gegen die <hi rendition="#g">frommen</hi> Chri&#x017F;ten<lb/>
eifert, &#x017F;o &#x017F;ehr i&#x017F;t er dennoch &#x017F;elb&#x017F;t Chri&#x017F;t geblieben, nämlich ein<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ittlicher</hi> Chri&#x017F;t. In der Form der Sittlichkeit hält ihn das<lb/>
Chri&#x017F;tenthum gefangen, und zwar gefangen unter dem <hi rendition="#g">Glau</hi>¬<lb/><hi rendition="#g">ben</hi>. Die Monogamie &#x017F;oll etwas Heiliges &#x017F;ein, und wer<lb/>
etwa in Doppelehe lebt, der wird als <hi rendition="#g">Verbrecher</hi> ge&#x017F;traft;<lb/>
wer Blut&#x017F;chande treibt, leidet als <hi rendition="#g">Verbrecher</hi>. Hiermit zeigen<lb/>
&#x017F;ich diejenigen einver&#x017F;tanden, die immer &#x017F;chreien, auf die Reli¬<lb/>
gion &#x017F;olle im Staate nicht ge&#x017F;ehen werden, und der Jude<lb/>
Staatsbürger gleich dem Chri&#x017F;ten &#x017F;ein. I&#x017F;t jene Blut&#x017F;chande<lb/>
und Monogamie nicht ein <hi rendition="#g">Glaubens&#x017F;atz</hi>? Man rühre ihn<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0068] blätter, man höre, was Schloſſer ſagt *): „Die Geſellſchaft Holbach's bildete ein förmliches Complott gegen die überlieferte Lehre und das beſtehende Syſtem, und die Mitglieder derſelben waren eben ſo fanatiſch für ihren Unglauben, als Mönche und Pfaffen, Jeſuiten und Pietiſten, Methodiſten, Miſſions- und Bibelgeſellſchaften für mechaniſchen Gottesdienſt und Wortglau¬ ben zu ſein pflegen.“ Man achte darauf, wie ein „Sittlicher“ ſich benimmt, der heutiges Tages häufig mit Gott fertig zu ſein meint, und das Chriſtenthum als eine Beliebtheit abwirft. Wenn man ihn fragt, ob er je daran gezweifelt habe, daß die Vermiſchung der Geſchwiſter eine Blutſchande ſei, daß die Monogamie die Wahr¬ heit der Ehe ſei, daß die Pietät eine heilige Pflicht ſei u. ſ. w., ſo wird ein ſittlicher Schauder ihn bei der Vorſtellung über¬ fallen, daß man ſeine Schweſter auch als Weib berühren dürfe u. ſ. w. Und woher dieſer Schauder? Weil er an jene ſittlichen Gebote glaubt. Dieſer ſittliche Glaube wurzelt tief in ſeiner Bruſt. So viel er gegen die frommen Chriſten eifert, ſo ſehr iſt er dennoch ſelbſt Chriſt geblieben, nämlich ein ſittlicher Chriſt. In der Form der Sittlichkeit hält ihn das Chriſtenthum gefangen, und zwar gefangen unter dem Glau¬ ben. Die Monogamie ſoll etwas Heiliges ſein, und wer etwa in Doppelehe lebt, der wird als Verbrecher geſtraft; wer Blutſchande treibt, leidet als Verbrecher. Hiermit zeigen ſich diejenigen einverſtanden, die immer ſchreien, auf die Reli¬ gion ſolle im Staate nicht geſehen werden, und der Jude Staatsbürger gleich dem Chriſten ſein. Iſt jene Blutſchande und Monogamie nicht ein Glaubensſatz? Man rühre ihn *) Achtzehntes Jahrhundert II, 519.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/68
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/68>, abgerufen am 26.11.2024.