sellschaft eine Lokalphysiognomie ausspüren zu wollen.
So wäre denn die Darstellung der physi- schen Existenz dieser Menschengesellschaft geen- digt. Wir gehen jezt zur Schilderung ihrer moralischen Verhältnisse über, unter welchen uns die politischen und religiösen auf dem Wege unserer Untersuchung am nächsten liegen.
Um uns von der bürgerlichen Ver- fassung der Residenz einen richtigen Begriff zu machen, dürfen wir nie vergessen, daß St. Petersburg als eine große gewerbtreibende Stadt und als der Sitz des Hofes aus zwey sehr verschiedenartigen Theilen besteht. Als Stadt betrachtet ist sie der nämlichen Norm unterworfen, die jezt alle Städte dieses Reichs haben; als Residenz ist sie eines theils der Wohnsitz des Monarchen und des Hofes, und andern theils der periodische Aufenthalt der Großen und einer Menge reicher und armer, glücklicher und glücksuchender, beschäftigter und müßiger Menschen, die größtentheils ohne Ver- bindung, ohne bestimmte Thätigkeit, oft selbst
ſellſchaft eine Lokalphyſiognomie ausſpuͤren zu wollen.
So waͤre denn die Darſtellung der phyſi- ſchen Exiſtenz dieſer Menſchengeſellſchaft geen- digt. Wir gehen jezt zur Schilderung ihrer moraliſchen Verhaͤltniſſe uͤber, unter welchen uns die politiſchen und religioͤſen auf dem Wege unſerer Unterſuchung am naͤchſten liegen.
Um uns von der buͤrgerlichen Ver- faſſung der Reſidenz einen richtigen Begriff zu machen, duͤrfen wir nie vergeſſen, daß St. Petersburg als eine große gewerbtreibende Stadt und als der Sitz des Hofes aus zwey ſehr verſchiedenartigen Theilen beſteht. Als Stadt betrachtet iſt ſie der naͤmlichen Norm unterworfen, die jezt alle Staͤdte dieſes Reichs haben; als Reſidenz iſt ſie eines theils der Wohnſitz des Monarchen und des Hofes, und andern theils der periodiſche Aufenthalt der Großen und einer Menge reicher und armer, gluͤcklicher und gluͤckſuchender, beſchaͤftigter und muͤßiger Menſchen, die groͤßtentheils ohne Ver- bindung, ohne beſtimmte Thaͤtigkeit, oft ſelbſt
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ſellſchaft eine Lokalphyſiognomie ausſpuͤren zu
wollen.
So waͤre denn die Darſtellung der phyſi-
ſchen Exiſtenz dieſer Menſchengeſellſchaft geen-
digt. Wir gehen jezt zur Schilderung ihrer
moraliſchen Verhaͤltniſſe uͤber, unter welchen
uns die politiſchen und religioͤſen auf dem Wege
unſerer Unterſuchung am naͤchſten liegen.
Um uns von der buͤrgerlichen Ver-
faſſung der Reſidenz einen richtigen Begriff
zu machen, duͤrfen wir nie vergeſſen, daß St.
Petersburg als eine große gewerbtreibende
Stadt und als der Sitz des Hofes aus zwey
ſehr verſchiedenartigen Theilen beſteht. Als
Stadt betrachtet iſt ſie der naͤmlichen Norm
unterworfen, die jezt alle Staͤdte dieſes Reichs
haben; als Reſidenz iſt ſie eines theils der
Wohnſitz des Monarchen und des Hofes, und
andern theils der periodiſche Aufenthalt der
Großen und einer Menge reicher und armer,
gluͤcklicher und gluͤckſuchender, beſchaͤftigter und
muͤßiger Menſchen, die groͤßtentheils ohne Ver-
bindung, ohne beſtimmte Thaͤtigkeit, oft ſelbſt
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/160>, abgerufen am 13.05.2024.
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