schickte einige Hefte davon nach Paris an die Akademie der Wissenschaften, um zu erfah- ren was sie enthielten, und die Herren Aka- demiker entledigten sich dieses Auftrags als wahre Franzosen. Ein gewisser Abbe Bignon lieferte dem Kaiser die Uebersetzung in lateini- scher Sprache, wobey er jedoch selbst einige Zweifel über die Treue seiner Dollmetschung äußerte. Späterhin fand sichs, daß kein Wort davon im Originale stand. -- Die Akademie unterhält jetzt einen Mann unter diesen Völ- kerschaften, um die Sprache zu erlernen. Er ist ein Deutscher und heißt Jährig; ich habe ihn, bey seinem letzten Aufenthalt in der Re- sidenz, persönlich kennen gelernt. Er hatte da- mals sechszehn Jahre unter den Mongolen ge- lebt, war mit ihren Sitten so vertraut ge- worden, und hatte diese so lieb gewonnen, daß ihm unsere europäische Bequemlichkeiten sehr zuwider waren. Auch von ihrer Weisheit hatte er so vortheilhafte Begriffe, daß er glaubte, wir Europäer könnten in vielen Din- gen aus jenen Gegenden Aufklärung holen. So gewiß dieser Mann die mongolische Sprache völlig besaß, so unmöglich war es doch, in
G 4
ſchickte einige Hefte davon nach Paris an die Akademie der Wiſſenſchaften, um zu erfah- ren was ſie enthielten, und die Herren Aka- demiker entledigten ſich dieſes Auftrags als wahre Franzoſen. Ein gewiſſer Abbe Bignon lieferte dem Kaiſer die Ueberſetzung in lateini- ſcher Sprache, wobey er jedoch ſelbſt einige Zweifel uͤber die Treue ſeiner Dollmetſchung aͤußerte. Spaͤterhin fand ſichs, daß kein Wort davon im Originale ſtand. — Die Akademie unterhaͤlt jetzt einen Mann unter dieſen Voͤl- kerſchaften, um die Sprache zu erlernen. Er iſt ein Deutſcher und heißt Jaͤhrig; ich habe ihn, bey ſeinem letzten Aufenthalt in der Re- ſidenz, perſoͤnlich kennen gelernt. Er hatte da- mals ſechszehn Jahre unter den Mongolen ge- lebt, war mit ihren Sitten ſo vertraut ge- worden, und hatte dieſe ſo lieb gewonnen, daß ihm unſere europaͤiſche Bequemlichkeiten ſehr zuwider waren. Auch von ihrer Weisheit hatte er ſo vortheilhafte Begriffe, daß er glaubte, wir Europaͤer koͤnnten in vielen Din- gen aus jenen Gegenden Aufklaͤrung holen. So gewiß dieſer Mann die mongoliſche Sprache voͤllig beſaß, ſo unmoͤglich war es doch, in
G 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0119"n="103"/>ſchickte einige Hefte davon nach Paris an die<lb/>
Akademie der Wiſſenſchaften, um zu erfah-<lb/>
ren was ſie enthielten, und die Herren Aka-<lb/>
demiker entledigten ſich dieſes Auftrags als<lb/>
wahre Franzoſen. Ein gewiſſer Abbe <hirendition="#g">Bignon</hi><lb/>
lieferte dem Kaiſer die Ueberſetzung in lateini-<lb/>ſcher Sprache, wobey er jedoch ſelbſt einige<lb/>
Zweifel uͤber die Treue ſeiner Dollmetſchung<lb/>
aͤußerte. Spaͤterhin fand ſichs, daß kein Wort<lb/>
davon im Originale ſtand. — Die Akademie<lb/>
unterhaͤlt jetzt einen Mann unter dieſen Voͤl-<lb/>
kerſchaften, um die Sprache zu erlernen. Er<lb/>
iſt ein Deutſcher und heißt <hirendition="#g">Jaͤhrig</hi>; ich habe<lb/>
ihn, bey ſeinem letzten Aufenthalt in der Re-<lb/>ſidenz, perſoͤnlich kennen gelernt. Er hatte da-<lb/>
mals ſechszehn Jahre unter den Mongolen ge-<lb/>
lebt, war mit ihren Sitten ſo vertraut ge-<lb/>
worden, und hatte dieſe ſo lieb gewonnen,<lb/>
daß ihm unſere europaͤiſche Bequemlichkeiten<lb/>ſehr zuwider waren. Auch von ihrer Weisheit<lb/>
hatte er ſo vortheilhafte Begriffe, daß er<lb/>
glaubte, wir Europaͤer koͤnnten in vielen Din-<lb/>
gen aus jenen Gegenden Aufklaͤrung holen.<lb/>
So gewiß dieſer Mann die mongoliſche Sprache<lb/>
voͤllig beſaß, ſo unmoͤglich war es doch, in<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G 4</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[103/0119]
ſchickte einige Hefte davon nach Paris an die
Akademie der Wiſſenſchaften, um zu erfah-
ren was ſie enthielten, und die Herren Aka-
demiker entledigten ſich dieſes Auftrags als
wahre Franzoſen. Ein gewiſſer Abbe Bignon
lieferte dem Kaiſer die Ueberſetzung in lateini-
ſcher Sprache, wobey er jedoch ſelbſt einige
Zweifel uͤber die Treue ſeiner Dollmetſchung
aͤußerte. Spaͤterhin fand ſichs, daß kein Wort
davon im Originale ſtand. — Die Akademie
unterhaͤlt jetzt einen Mann unter dieſen Voͤl-
kerſchaften, um die Sprache zu erlernen. Er
iſt ein Deutſcher und heißt Jaͤhrig; ich habe
ihn, bey ſeinem letzten Aufenthalt in der Re-
ſidenz, perſoͤnlich kennen gelernt. Er hatte da-
mals ſechszehn Jahre unter den Mongolen ge-
lebt, war mit ihren Sitten ſo vertraut ge-
worden, und hatte dieſe ſo lieb gewonnen,
daß ihm unſere europaͤiſche Bequemlichkeiten
ſehr zuwider waren. Auch von ihrer Weisheit
hatte er ſo vortheilhafte Begriffe, daß er
glaubte, wir Europaͤer koͤnnten in vielen Din-
gen aus jenen Gegenden Aufklaͤrung holen.
So gewiß dieſer Mann die mongoliſche Sprache
voͤllig beſaß, ſo unmoͤglich war es doch, in
G 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/119>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.