der. Es ist daher ein sehr gebräuchliches Ver- gnügen der höhern Stände in St. Peters- burg, sich auf den Schaluppen bey Wasser- fahrten und selbst bey Tafel von einem Chor geübter Sänger russische Volkslieder vorsingen zu lassen. Im Sommer ist die Newa mit Fahrzeugen bedeckt, von denen dieser Gesang ertönt, der, besonders in schönen Nächten, durch seine sanfte melankolische Weise den ein- samen Spaziergänger in süsse Empfindungen wiegt.
Wenn der russische Pöbel in Gesellschaft froh seyn soll, so darf auch der Tanz nicht fehlen. Ohne diesen und ohne Gesang läßt sich kein Volksgelag denken. Ausdrucksvoller und schöner, als der Nationaltanz, den man gewöhnlich den Taubentanz (Golubez) nennt, ist gewiß kein Volkstanz irgend eines Landes, und schön getanzt wird er nicht nur in den feinern Zirkeln der gebildeten Stände, sondern selbst unter dem Pöbel. Er beschäftigt ge- wöhnlich zwey Personen verschiedenen Ge- schlechts, die sich in einiger Entfernung einander gegenüber stellen. Sein Inhalt ist eine Lie- beserklärung, die durch sehr sprechende Panto-
der. Es iſt daher ein ſehr gebraͤuchliches Ver- gnuͤgen der hoͤhern Staͤnde in St. Peters- burg, ſich auf den Schaluppen bey Waſſer- fahrten und ſelbſt bey Tafel von einem Chor geuͤbter Saͤnger ruſſiſche Volkslieder vorſingen zu laſſen. Im Sommer iſt die Newa mit Fahrzeugen bedeckt, von denen dieſer Geſang ertoͤnt, der, beſonders in ſchoͤnen Naͤchten, durch ſeine ſanfte melankoliſche Weiſe den ein- ſamen Spaziergaͤnger in ſuͤſſe Empfindungen wiegt.
Wenn der ruſſiſche Poͤbel in Geſellſchaft froh ſeyn ſoll, ſo darf auch der Tanz nicht fehlen. Ohne dieſen und ohne Geſang laͤßt ſich kein Volksgelag denken. Ausdrucksvoller und ſchoͤner, als der Nationaltanz, den man gewoͤhnlich den Taubentanz (Golubez) nennt, iſt gewiß kein Volkstanz irgend eines Landes, und ſchoͤn getanzt wird er nicht nur in den feinern Zirkeln der gebildeten Staͤnde, ſondern ſelbſt unter dem Poͤbel. Er beſchaͤftigt ge- woͤhnlich zwey Perſonen verſchiedenen Ge- ſchlechts, die ſich in einiger Entfernung einander gegenuͤber ſtellen. Sein Inhalt iſt eine Lie- beserklaͤrung, die durch ſehr ſprechende Panto-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0286"n="270"/>
der. Es iſt daher ein ſehr gebraͤuchliches Ver-<lb/>
gnuͤgen der hoͤhern Staͤnde in St. Peters-<lb/>
burg, ſich auf den Schaluppen bey Waſſer-<lb/>
fahrten und ſelbſt bey Tafel von einem Chor<lb/>
geuͤbter Saͤnger ruſſiſche Volkslieder vorſingen<lb/>
zu laſſen. Im Sommer iſt die Newa mit<lb/>
Fahrzeugen bedeckt, von denen dieſer Geſang<lb/>
ertoͤnt, der, beſonders in ſchoͤnen Naͤchten,<lb/>
durch ſeine ſanfte melankoliſche Weiſe den ein-<lb/>ſamen Spaziergaͤnger in ſuͤſſe Empfindungen<lb/>
wiegt.</p><lb/><p>Wenn der ruſſiſche Poͤbel in Geſellſchaft<lb/>
froh ſeyn ſoll, ſo darf auch der <hirendition="#g">Tanz</hi> nicht<lb/>
fehlen. Ohne dieſen und ohne Geſang laͤßt<lb/>ſich kein Volksgelag denken. Ausdrucksvoller<lb/>
und ſchoͤner, als der Nationaltanz, den man<lb/>
gewoͤhnlich den Taubentanz (Golubez) nennt,<lb/>
iſt gewiß kein Volkstanz irgend eines Landes,<lb/>
und ſchoͤn getanzt wird er nicht nur in den<lb/>
feinern Zirkeln der gebildeten Staͤnde, ſondern<lb/>ſelbſt unter dem Poͤbel. Er beſchaͤftigt ge-<lb/>
woͤhnlich zwey Perſonen verſchiedenen Ge-<lb/>ſchlechts, die ſich in einiger Entfernung einander<lb/>
gegenuͤber ſtellen. Sein Inhalt iſt eine Lie-<lb/>
beserklaͤrung, die durch ſehr ſprechende Panto-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[270/0286]
der. Es iſt daher ein ſehr gebraͤuchliches Ver-
gnuͤgen der hoͤhern Staͤnde in St. Peters-
burg, ſich auf den Schaluppen bey Waſſer-
fahrten und ſelbſt bey Tafel von einem Chor
geuͤbter Saͤnger ruſſiſche Volkslieder vorſingen
zu laſſen. Im Sommer iſt die Newa mit
Fahrzeugen bedeckt, von denen dieſer Geſang
ertoͤnt, der, beſonders in ſchoͤnen Naͤchten,
durch ſeine ſanfte melankoliſche Weiſe den ein-
ſamen Spaziergaͤnger in ſuͤſſe Empfindungen
wiegt.
Wenn der ruſſiſche Poͤbel in Geſellſchaft
froh ſeyn ſoll, ſo darf auch der Tanz nicht
fehlen. Ohne dieſen und ohne Geſang laͤßt
ſich kein Volksgelag denken. Ausdrucksvoller
und ſchoͤner, als der Nationaltanz, den man
gewoͤhnlich den Taubentanz (Golubez) nennt,
iſt gewiß kein Volkstanz irgend eines Landes,
und ſchoͤn getanzt wird er nicht nur in den
feinern Zirkeln der gebildeten Staͤnde, ſondern
ſelbſt unter dem Poͤbel. Er beſchaͤftigt ge-
woͤhnlich zwey Perſonen verſchiedenen Ge-
ſchlechts, die ſich in einiger Entfernung einander
gegenuͤber ſtellen. Sein Inhalt iſt eine Lie-
beserklaͤrung, die durch ſehr ſprechende Panto-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/286>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.