und der reichen genießenden Klasse auszuglei- chen bemüht sind. In eben dem Maaß, in welchem die Kultur sich über Europa verbrei- tet, gehen die Ländereyen der Grundbesitzer in die coffres-forts des Handelsstandes und der Gewerbleute über. Den geringsten Antheil an dieser Cirkulation hat freylich das Volk, das immer die größte Masse jeder Nation aus- macht; aber Geld würde aufhören Geld zu seyn, sobald Jedermann dessen genug hätte. Wo alle reich wären, da würden alle arm seyn; eine völlige Gleichheit des reellen und repräsentirenden Reichthums, so unmöglich sie auch nur für eine Dauer von vierundzwanzig Stunden ist, müßte, wenn sie statt finden könnte, die menschliche Gesellschaft in den Zu- stand der rohesten Unkultur zurückstoßen.
So unleugbar diese Prämissen sind, so we- nig folgt hieraus, daß eine allzugroße Un- gleichheit des Vermögens vortheilhaft oder auch nur unschädlich wäre. Ohne den Kalkul staats- wirthschaftlicher Kenner zu Rathe zu ziehen, empört sich unser menschliches Gefühl gegen ei- nen Grundsatz, den nur die habsüchtigste Ty- rannei der entarteten und geblendeten Vernunft
und der reichen genießenden Klaſſe auszuglei- chen bemuͤht ſind. In eben dem Maaß, in welchem die Kultur ſich uͤber Europa verbrei- tet, gehen die Laͤndereyen der Grundbeſitzer in die coffres-forts des Handelsſtandes und der Gewerbleute uͤber. Den geringſten Antheil an dieſer Cirkulation hat freylich das Volk, das immer die groͤßte Maſſe jeder Nation aus- macht; aber Geld wuͤrde aufhoͤren Geld zu ſeyn, ſobald Jedermann deſſen genug haͤtte. Wo alle reich waͤren, da wuͤrden alle arm ſeyn; eine voͤllige Gleichheit des reellen und repraͤſentirenden Reichthums, ſo unmoͤglich ſie auch nur fuͤr eine Dauer von vierundzwanzig Stunden iſt, muͤßte, wenn ſie ſtatt finden koͤnnte, die menſchliche Geſellſchaft in den Zu- ſtand der roheſten Unkultur zuruͤckſtoßen.
So unleugbar dieſe Praͤmiſſen ſind, ſo we- nig folgt hieraus, daß eine allzugroße Un- gleichheit des Vermoͤgens vortheilhaft oder auch nur unſchaͤdlich waͤre. Ohne den Kalkul ſtaats- wirthſchaftlicher Kenner zu Rathe zu ziehen, empoͤrt ſich unſer menſchliches Gefuͤhl gegen ei- nen Grundſatz, den nur die habſuͤchtigſte Ty- rannei der entarteten und geblendeten Vernunft
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und der reichen genießenden Klaſſe auszuglei-
chen bemuͤht ſind. In eben dem Maaß, in
welchem die Kultur ſich uͤber Europa verbrei-
tet, gehen die Laͤndereyen der Grundbeſitzer in
die coffres-forts des Handelsſtandes und der
Gewerbleute uͤber. Den geringſten Antheil an
dieſer Cirkulation hat freylich das Volk, das
immer die groͤßte Maſſe jeder Nation aus-
macht; aber Geld wuͤrde aufhoͤren Geld zu
ſeyn, ſobald Jedermann deſſen genug haͤtte.
Wo alle reich waͤren, da wuͤrden alle arm
ſeyn; eine voͤllige Gleichheit des reellen und
repraͤſentirenden Reichthums, ſo unmoͤglich ſie
auch nur fuͤr eine Dauer von vierundzwanzig
Stunden iſt, muͤßte, wenn ſie ſtatt finden
koͤnnte, die menſchliche Geſellſchaft in den Zu-
ſtand der roheſten Unkultur zuruͤckſtoßen.
So unleugbar dieſe Praͤmiſſen ſind, ſo we-
nig folgt hieraus, daß eine allzugroße Un-
gleichheit des Vermoͤgens vortheilhaft oder auch
nur unſchaͤdlich waͤre. Ohne den Kalkul ſtaats-
wirthſchaftlicher Kenner zu Rathe zu ziehen,
empoͤrt ſich unſer menſchliches Gefuͤhl gegen ei-
nen Grundſatz, den nur die habſuͤchtigſte Ty-
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/392>, abgerufen am 23.11.2024.
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