Leser befremden, der sich aus seiner Statistik an die Gehalte des russischen Civil- und Mi- litairetats, und aus seinen Reisebeschreibern und selbst aus diesem Buch an die Lebensart eines großen Theils desselben erinnert. Um dieses Räthsel zu lösen, muß man wissen, daß in keinem Lande die Nebeneinkünfte und Res- sourcen bürgerlicher Aemter und höherer mili- tairischer Stellen so groß sind, als in Ruß- land. Es gehört freylich Talent dazu, diese Vortheile zu kennen und mit Geschicklichkeit zu benutzen; aber wem seine Unempfänglichkeit diesen Weg zum Glück verschließt, der sucht sich auf andern, mehr oder minder betretnen Pfaden fortzuhelfen. Ueberall sind große Städte seltsamen Unternehmungen und kühnen Abentheuern günstig, und nirgend vielleicht ge- deiht ein lebhafter erfinderischer Geist so gut als hier. Schnelle, außerordentliche Glücks- wechsel sind etwas alltägliches, und Peters- burg wimmelt von Parvenü's, denen bey ihrer Geburt keine Muhme das Horoskop ihres Schicksals gestellt haben mag. -- Noch giebt es eine Klasse von Leuten, welche, entblößt von Glücksgütern und bey eingeschränkten Be-
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Leſer befremden, der ſich aus ſeiner Statiſtik an die Gehalte des ruſſiſchen Civil- und Mi- litairetats, und aus ſeinen Reiſebeſchreibern und ſelbſt aus dieſem Buch an die Lebensart eines großen Theils deſſelben erinnert. Um dieſes Raͤthſel zu loͤſen, muß man wiſſen, daß in keinem Lande die Nebeneinkuͤnfte und Reſ- ſourcen buͤrgerlicher Aemter und hoͤherer mili- tairiſcher Stellen ſo groß ſind, als in Ruß- land. Es gehoͤrt freylich Talent dazu, dieſe Vortheile zu kennen und mit Geſchicklichkeit zu benutzen; aber wem ſeine Unempfaͤnglichkeit dieſen Weg zum Gluͤck verſchließt, der ſucht ſich auf andern, mehr oder minder betretnen Pfaden fortzuhelfen. Ueberall ſind große Staͤdte ſeltſamen Unternehmungen und kuͤhnen Abentheuern guͤnſtig, und nirgend vielleicht ge- deiht ein lebhafter erfinderiſcher Geiſt ſo gut als hier. Schnelle, außerordentliche Gluͤcks- wechſel ſind etwas alltaͤgliches, und Peters- burg wimmelt von Parvenuͤ’s, denen bey ihrer Geburt keine Muhme das Horoskop ihres Schickſals geſtellt haben mag. — Noch giebt es eine Klaſſe von Leuten, welche, entbloͤßt von Gluͤcksguͤtern und bey eingeſchraͤnkten Be-
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Leſer befremden, der ſich aus ſeiner Statiſtik
an die Gehalte des ruſſiſchen Civil- und Mi-
litairetats, und aus ſeinen Reiſebeſchreibern
und ſelbſt aus dieſem Buch an die Lebensart
eines großen Theils deſſelben erinnert. Um
dieſes Raͤthſel zu loͤſen, muß man wiſſen, daß
in keinem Lande die Nebeneinkuͤnfte und Reſ-
ſourcen buͤrgerlicher Aemter und hoͤherer mili-
tairiſcher Stellen ſo groß ſind, als in Ruß-
land. Es gehoͤrt freylich Talent dazu, dieſe
Vortheile zu kennen und mit Geſchicklichkeit
zu benutzen; aber wem ſeine Unempfaͤnglichkeit
dieſen Weg zum Gluͤck verſchließt, der ſucht
ſich auf andern, mehr oder minder betretnen
Pfaden fortzuhelfen. Ueberall ſind große
Staͤdte ſeltſamen Unternehmungen und kuͤhnen
Abentheuern guͤnſtig, und nirgend vielleicht ge-
deiht ein lebhafter erfinderiſcher Geiſt ſo gut
als hier. Schnelle, außerordentliche Gluͤcks-
wechſel ſind etwas alltaͤgliches, und Peters-
burg wimmelt von Parvenuͤ’s, denen bey ihrer
Geburt keine Muhme das Horoskop ihres
Schickſals geſtellt haben mag. — Noch giebt
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/427>, abgerufen am 23.11.2024.
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