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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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und sieht dem allgemeinen Taumel mit Mit-
leiden oder Verwunderung zu.

Ueber den Umfang der hiesigen Gastfrey-
heit ist in diesem Buche schon vieles gesagt;
hier ist der Ort, etwas über die Art, wie sie
ausgeübt wird und über die Quelle derselben
hinzuzufügen. Man kann dreist behaupten,
daß diese edle Tugend der Vorzeit in keiner
großen Stadt von Europa in so unbeschränk-
tem Maaße ausgeübt wird, als hier; ein
Zeugniß, welches durch die dankbare Beystim-
mung aller Fremden, die sich hier eine kürzere
oder längere Zeit aufgehalten haben, bewährt
wird. Der Ursprung dieser wohlthätigen
Sitte ist ohne Zweifel national; aber die Pe-
tersburger haben sich von so vielen Gebräu-
chen und Gewohnheiten ihres russischen Va-
terlandes losgesagt, daß man mit Recht ein
stärkeres Motiv, als die Achtung für das Her-
kommen, annehmen muß, um sich die Beybe-
haltung einer so kostspieligen Nationaltugend
zu erklären. Dieses Motiv ist der Hang zur
Geselligkeit, der die Petersburger, fast ohne
Ausnahme, beherrscht; ein Karakterzug, der
ihnen ebenfalls gar sehr zur Ehre gereicht, da

Zweiter Theil. D d

und ſieht dem allgemeinen Taumel mit Mit-
leiden oder Verwunderung zu.

Ueber den Umfang der hieſigen Gaſtfrey-
heit iſt in dieſem Buche ſchon vieles geſagt;
hier iſt der Ort, etwas uͤber die Art, wie ſie
ausgeuͤbt wird und uͤber die Quelle derſelben
hinzuzufuͤgen. Man kann dreiſt behaupten,
daß dieſe edle Tugend der Vorzeit in keiner
großen Stadt von Europa in ſo unbeſchraͤnk-
tem Maaße ausgeuͤbt wird, als hier; ein
Zeugniß, welches durch die dankbare Beyſtim-
mung aller Fremden, die ſich hier eine kuͤrzere
oder laͤngere Zeit aufgehalten haben, bewaͤhrt
wird. Der Urſprung dieſer wohlthaͤtigen
Sitte iſt ohne Zweifel national; aber die Pe-
tersburger haben ſich von ſo vielen Gebraͤu-
chen und Gewohnheiten ihres ruſſiſchen Va-
terlandes losgeſagt, daß man mit Recht ein
ſtaͤrkeres Motiv, als die Achtung fuͤr das Her-
kommen, annehmen muß, um ſich die Beybe-
haltung einer ſo koſtſpieligen Nationaltugend
zu erklaͤren. Dieſes Motiv iſt der Hang zur
Geſelligkeit, der die Petersburger, faſt ohne
Ausnahme, beherrſcht; ein Karakterzug, der
ihnen ebenfalls gar ſehr zur Ehre gereicht, da

Zweiter Theil. D d
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[417/0435] und ſieht dem allgemeinen Taumel mit Mit- leiden oder Verwunderung zu. Ueber den Umfang der hieſigen Gaſtfrey- heit iſt in dieſem Buche ſchon vieles geſagt; hier iſt der Ort, etwas uͤber die Art, wie ſie ausgeuͤbt wird und uͤber die Quelle derſelben hinzuzufuͤgen. Man kann dreiſt behaupten, daß dieſe edle Tugend der Vorzeit in keiner großen Stadt von Europa in ſo unbeſchraͤnk- tem Maaße ausgeuͤbt wird, als hier; ein Zeugniß, welches durch die dankbare Beyſtim- mung aller Fremden, die ſich hier eine kuͤrzere oder laͤngere Zeit aufgehalten haben, bewaͤhrt wird. Der Urſprung dieſer wohlthaͤtigen Sitte iſt ohne Zweifel national; aber die Pe- tersburger haben ſich von ſo vielen Gebraͤu- chen und Gewohnheiten ihres ruſſiſchen Va- terlandes losgeſagt, daß man mit Recht ein ſtaͤrkeres Motiv, als die Achtung fuͤr das Her- kommen, annehmen muß, um ſich die Beybe- haltung einer ſo koſtſpieligen Nationaltugend zu erklaͤren. Dieſes Motiv iſt der Hang zur Geſelligkeit, der die Petersburger, faſt ohne Ausnahme, beherrſcht; ein Karakterzug, der ihnen ebenfalls gar ſehr zur Ehre gereicht, da Zweiter Theil. D d

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/435>, abgerufen am 23.11.2024.