und seine Vertraute; alles übrige ist ein ge- meinschaftliches Eigenthum, das dem Haupt- interessenten weniger als seinen Mittheilhabern zu gehören scheint. Nicht etwa die leeren Stunden, die man sonst zwischen Wachen und Schlaf hinbringen müßte; nicht etwa einzelne festliche Tage, an denen die Kargheit sich mit dem Mantel des anständigen Aufwandes schmückt; nicht die Ueberbleibsel eigennütziger Schwelgerey opfert man dem geselligen Ge- nuß: nein, alle von Arbeit und Sorgen be- freyte Augenblicke, jeder frohe Tag und jeder gute Bissen sind der Theilnahme gewidmet.
Die eigentliche Zeit, da der wohlhabende Petersburger am liebsten Besuch erwartet, ist gerade die, welche man in Deutschland zum Beyspiel am sorgfältigsten vermeidet: die Zeit der Mittags- und Abendtafel. Hier ist Jeder- mann leichter an Sorgen und offner ums Herz, freyer von allen Geschäften und aufge- legter zur Unterhaltung. Wer einmal in ei- nem Hause vorgestellt ist, hat auf immer Zu- tritt, wenn er gefällt. Gewöhnlich entscheidet dies schon der erste Besuch; denn wenn beym Abschiednehmen keine weitere Einladung er-
und ſeine Vertraute; alles uͤbrige iſt ein ge- meinſchaftliches Eigenthum, das dem Haupt- intereſſenten weniger als ſeinen Mittheilhabern zu gehoͤren ſcheint. Nicht etwa die leeren Stunden, die man ſonſt zwiſchen Wachen und Schlaf hinbringen muͤßte; nicht etwa einzelne feſtliche Tage, an denen die Kargheit ſich mit dem Mantel des anſtaͤndigen Aufwandes ſchmuͤckt; nicht die Ueberbleibſel eigennuͤtziger Schwelgerey opfert man dem geſelligen Ge- nuß: nein, alle von Arbeit und Sorgen be- freyte Augenblicke, jeder frohe Tag und jeder gute Biſſen ſind der Theilnahme gewidmet.
Die eigentliche Zeit, da der wohlhabende Petersburger am liebſten Beſuch erwartet, iſt gerade die, welche man in Deutſchland zum Beyſpiel am ſorgfaͤltigſten vermeidet: die Zeit der Mittags- und Abendtafel. Hier iſt Jeder- mann leichter an Sorgen und offner ums Herz, freyer von allen Geſchaͤften und aufge- legter zur Unterhaltung. Wer einmal in ei- nem Hauſe vorgeſtellt iſt, hat auf immer Zu- tritt, wenn er gefaͤllt. Gewoͤhnlich entſcheidet dies ſchon der erſte Beſuch; denn wenn beym Abſchiednehmen keine weitere Einladung er-
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und ſeine Vertraute; alles uͤbrige iſt ein ge-
meinſchaftliches Eigenthum, das dem Haupt-
intereſſenten weniger als ſeinen Mittheilhabern
zu gehoͤren ſcheint. Nicht etwa die leeren
Stunden, die man ſonſt zwiſchen Wachen und
Schlaf hinbringen muͤßte; nicht etwa einzelne
feſtliche Tage, an denen die Kargheit ſich mit
dem Mantel des anſtaͤndigen Aufwandes
ſchmuͤckt; nicht die Ueberbleibſel eigennuͤtziger
Schwelgerey opfert man dem geſelligen Ge-
nuß: nein, alle von Arbeit und Sorgen be-
freyte Augenblicke, jeder frohe Tag und jeder
gute Biſſen ſind der Theilnahme gewidmet.
Die eigentliche Zeit, da der wohlhabende
Petersburger am liebſten Beſuch erwartet, iſt
gerade die, welche man in Deutſchland zum
Beyſpiel am ſorgfaͤltigſten vermeidet: die Zeit
der Mittags- und Abendtafel. Hier iſt Jeder-
mann leichter an Sorgen und offner ums
Herz, freyer von allen Geſchaͤften und aufge-
legter zur Unterhaltung. Wer einmal in ei-
nem Hauſe vorgeſtellt iſt, hat auf immer Zu-
tritt, wenn er gefaͤllt. Gewoͤhnlich entſcheidet
dies ſchon der erſte Beſuch; denn wenn beym
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/438>, abgerufen am 23.11.2024.
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