an ausländische Familiennamen nicht gewöhnt ist, die Anrede zu erleichtern. Wer einen Taufnamen hat, der im Russischen nicht statt findet, verwechselt ihn mit einem Aehnlichklin- genden, z. B. Heinrich mit Andrej, oder be- hält ihn bey, wie dies zuweilen mit den Na- men Karl, Christoph, u. a. geschieht.
Aehnlicher Nationalsitten, die eine gewisse Vertraulichkeit in die Gesellschaft bringen, giebt es mehrere; aber sie verlieren sich in dem Maaße in welchem ausländischer Ton und fremde Gebräuche überhand nehmen. So war es zum Beyspiel ehemals in allen Stän- den und ist noch itzt unter den geringeren üb- lich, sich beym Empfange und Abschiednehmen oder wenn man einander begegnet, zu küssen. Dieser Gebrauch, der in den höhern Klassen nur unter denen statt findet, oder diesen vom männlichen Geschlecht als eine Art von Hul- digung dargebracht wird, verwechselt sich itzt allmählig gegen die allgemeine europäische Sitte. Russische Frauenzimmer und auch viele Aus- länderinnen grüßen auf keine andere Weise als die Mannspersonen, nämlich mit einer bloßen Sonkung des Kopfs, ohne die Kniee zu beugen.
an auslaͤndiſche Familiennamen nicht gewoͤhnt iſt, die Anrede zu erleichtern. Wer einen Taufnamen hat, der im Ruſſiſchen nicht ſtatt findet, verwechſelt ihn mit einem Aehnlichklin- genden, z. B. Heinrich mit Andrej, oder be- haͤlt ihn bey, wie dies zuweilen mit den Na- men Karl, Chriſtoph, u. a. geſchieht.
Aehnlicher Nationalſitten, die eine gewiſſe Vertraulichkeit in die Geſellſchaft bringen, giebt es mehrere; aber ſie verlieren ſich in dem Maaße in welchem auslaͤndiſcher Ton und fremde Gebraͤuche uͤberhand nehmen. So war es zum Beyſpiel ehemals in allen Staͤn- den und iſt noch itzt unter den geringeren uͤb- lich, ſich beym Empfange und Abſchiednehmen oder wenn man einander begegnet, zu kuͤſſen. Dieſer Gebrauch, der in den hoͤhern Klaſſen nur unter denen ſtatt findet, oder dieſen vom maͤnnlichen Geſchlecht als eine Art von Hul- digung dargebracht wird, verwechſelt ſich itzt allmaͤhlig gegen die allgemeine europaͤiſche Sitte. Ruſſiſche Frauenzimmer und auch viele Aus- laͤnderinnen gruͤßen auf keine andere Weiſe als die Mannsperſonen, naͤmlich mit einer bloßen Sonkung des Kopfs, ohne die Kniee zu beugen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0460"n="442"/>
an auslaͤndiſche Familiennamen nicht gewoͤhnt<lb/>
iſt, die Anrede zu erleichtern. Wer einen<lb/>
Taufnamen hat, der im Ruſſiſchen nicht ſtatt<lb/>
findet, verwechſelt ihn mit einem Aehnlichklin-<lb/>
genden, z. B. Heinrich mit Andrej, oder be-<lb/>
haͤlt ihn bey, wie dies zuweilen mit den Na-<lb/>
men Karl, Chriſtoph, u. a. geſchieht.</p><lb/><p>Aehnlicher Nationalſitten, die eine gewiſſe<lb/>
Vertraulichkeit in die Geſellſchaft bringen,<lb/>
giebt es mehrere; aber ſie verlieren ſich in<lb/>
dem Maaße in welchem auslaͤndiſcher Ton<lb/>
und fremde Gebraͤuche uͤberhand nehmen. So<lb/>
war es zum Beyſpiel ehemals in allen Staͤn-<lb/>
den und iſt noch itzt unter den geringeren uͤb-<lb/>
lich, ſich beym Empfange und Abſchiednehmen<lb/>
oder wenn man einander begegnet, zu kuͤſſen.<lb/>
Dieſer Gebrauch, der in den hoͤhern Klaſſen<lb/>
nur unter denen ſtatt findet, oder dieſen vom<lb/>
maͤnnlichen Geſchlecht als eine Art von Hul-<lb/>
digung dargebracht wird, verwechſelt ſich itzt<lb/>
allmaͤhlig gegen die allgemeine europaͤiſche Sitte.<lb/>
Ruſſiſche Frauenzimmer und auch viele Aus-<lb/>
laͤnderinnen gruͤßen auf keine andere Weiſe als<lb/>
die Mannsperſonen, naͤmlich mit einer bloßen<lb/>
Sonkung des Kopfs, ohne die Kniee zu beugen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[442/0460]
an auslaͤndiſche Familiennamen nicht gewoͤhnt
iſt, die Anrede zu erleichtern. Wer einen
Taufnamen hat, der im Ruſſiſchen nicht ſtatt
findet, verwechſelt ihn mit einem Aehnlichklin-
genden, z. B. Heinrich mit Andrej, oder be-
haͤlt ihn bey, wie dies zuweilen mit den Na-
men Karl, Chriſtoph, u. a. geſchieht.
Aehnlicher Nationalſitten, die eine gewiſſe
Vertraulichkeit in die Geſellſchaft bringen,
giebt es mehrere; aber ſie verlieren ſich in
dem Maaße in welchem auslaͤndiſcher Ton
und fremde Gebraͤuche uͤberhand nehmen. So
war es zum Beyſpiel ehemals in allen Staͤn-
den und iſt noch itzt unter den geringeren uͤb-
lich, ſich beym Empfange und Abſchiednehmen
oder wenn man einander begegnet, zu kuͤſſen.
Dieſer Gebrauch, der in den hoͤhern Klaſſen
nur unter denen ſtatt findet, oder dieſen vom
maͤnnlichen Geſchlecht als eine Art von Hul-
digung dargebracht wird, verwechſelt ſich itzt
allmaͤhlig gegen die allgemeine europaͤiſche Sitte.
Ruſſiſche Frauenzimmer und auch viele Aus-
laͤnderinnen gruͤßen auf keine andere Weiſe als
die Mannsperſonen, naͤmlich mit einer bloßen
Sonkung des Kopfs, ohne die Kniee zu beugen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/460>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.