die Konvenienz nicht beleidigt. Um billig zu seyn, muß man eingestehen, daß die Peters- burger nicht zu strenge sind, wenn sie diese Forderung machen. Das Spiel ist einmal ihre große Ressource; wer kann es ihnen ver- argen, daß sie den Geschmack einzelner Men- schen der herrschenden Neigung Aller unter- werfen? In Städten und Ländern wo das Spiel nicht so allgemein ist, fällt auch diese Bedingung weg; aber es treten andere dafür an die Stelle. -- Nicht weniger verzeihlich ist es, wenn man eine anständige und reinliche Kleidung zur conditio sine qua non des Ein- tritts in gute Gesellschaften macht. Wirklich ist man in dieser Forderung noch sehr billig. Werth und Form der Kleidungsstücke sind gleichgültiger als man glauben sollte, und was den Punkt der Dezenz betrift, so bedarf der wol keiner Entschuldigung. In Frankreich ver- zieh man es großen Geistern, witzigen Köpfen und singulären Menschen, wenn sie die Regel der Schicklichkeit in ihrem Anzuge verletzten; bey uns sind weder die ersten noch die letzten so gangbare Münze, daß man ihrentwegen nöthig hätte eine Ausnahme zu machen. In
die Konvenienz nicht beleidigt. Um billig zu ſeyn, muß man eingeſtehen, daß die Peters- burger nicht zu ſtrenge ſind, wenn ſie dieſe Forderung machen. Das Spiel iſt einmal ihre große Reſſource; wer kann es ihnen ver- argen, daß ſie den Geſchmack einzelner Men- ſchen der herrſchenden Neigung Aller unter- werfen? In Staͤdten und Laͤndern wo das Spiel nicht ſo allgemein iſt, faͤllt auch dieſe Bedingung weg; aber es treten andere dafuͤr an die Stelle. — Nicht weniger verzeihlich iſt es, wenn man eine anſtaͤndige und reinliche Kleidung zur conditio sine qua non des Ein- tritts in gute Geſellſchaften macht. Wirklich iſt man in dieſer Forderung noch ſehr billig. Werth und Form der Kleidungsſtuͤcke ſind gleichguͤltiger als man glauben ſollte, und was den Punkt der Dezenz betrift, ſo bedarf der wol keiner Entſchuldigung. In Frankreich ver- zieh man es großen Geiſtern, witzigen Koͤpfen und ſingulaͤren Menſchen, wenn ſie die Regel der Schicklichkeit in ihrem Anzuge verletzten; bey uns ſind weder die erſten noch die letzten ſo gangbare Muͤnze, daß man ihrentwegen noͤthig haͤtte eine Ausnahme zu machen. In
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die Konvenienz nicht beleidigt. Um billig zu
ſeyn, muß man eingeſtehen, daß die Peters-
burger nicht zu ſtrenge ſind, wenn ſie dieſe
Forderung machen. Das Spiel iſt einmal
ihre große Reſſource; wer kann es ihnen ver-
argen, daß ſie den Geſchmack einzelner Men-
ſchen der herrſchenden Neigung Aller unter-
werfen? In Staͤdten und Laͤndern wo das
Spiel nicht ſo allgemein iſt, faͤllt auch dieſe
Bedingung weg; aber es treten andere dafuͤr
an die Stelle. — Nicht weniger verzeihlich
iſt es, wenn man eine anſtaͤndige und reinliche
Kleidung zur conditio sine qua non des Ein-
tritts in gute Geſellſchaften macht. Wirklich
iſt man in dieſer Forderung noch ſehr billig.
Werth und Form der Kleidungsſtuͤcke ſind
gleichguͤltiger als man glauben ſollte, und was
den Punkt der Dezenz betrift, ſo bedarf der
wol keiner Entſchuldigung. In Frankreich ver-
zieh man es großen Geiſtern, witzigen Koͤpfen
und ſingulaͤren Menſchen, wenn ſie die Regel
der Schicklichkeit in ihrem Anzuge verletzten;
bey uns ſind weder die erſten noch die letzten
ſo gangbare Muͤnze, daß man ihrentwegen
noͤthig haͤtte eine Ausnahme zu machen. In
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/465>, abgerufen am 23.11.2024.
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