kann sein ganzes Leben hindurch allen Geschäf- ten des bürgerlichen Lebens vorstehen, ein Hauswesen führen, ja selbst öffentliche Aemter bekleiden und in wichtigen Staatsbedienungen dem Lande nützlich werden, ohne eine andere als seine Muttersprache zu sprechen. Diese Ver- fassung ist so einzig, daß sie der eigenthüm- lichste Zug in der Karakteristik von Peters- burg wird.
Die erste auffallende Wirkung hievon ist der Mangel einer stark hervorsprin- genden allgemeinen Denkungsart. Der Russe, als der bey weitem zahlreichste Theil, überwiegt allerdings mit seinem Natio- nalkarakter; aber er ist, unter dieser Vermi- schung mit Ausländern, die er nachahmt und von denen er so oft seine Erziehung und Bil- dung erhält, nicht Russe genug, um seine in- dividuelle Denkungsart hervorstechend zu ma- chen. Die übrigen Nationen, vorzüglich die Deutschen und Franzosen, haben freylich auch einigen Einfluß auf die allgemeine Denk- und Handlungsweise; aber die schwachen Wirkun- gen hievon verlieren sich unter der großen Masse wider einander stoßender Prinzipien und
kann ſein ganzes Leben hindurch allen Geſchaͤf- ten des buͤrgerlichen Lebens vorſtehen, ein Hausweſen fuͤhren, ja ſelbſt oͤffentliche Aemter bekleiden und in wichtigen Staatsbedienungen dem Lande nuͤtzlich werden, ohne eine andere als ſeine Mutterſprache zu ſprechen. Dieſe Ver- faſſung iſt ſo einzig, daß ſie der eigenthuͤm- lichſte Zug in der Karakteriſtik von Peters- burg wird.
Die erſte auffallende Wirkung hievon iſt der Mangel einer ſtark hervorſprin- genden allgemeinen Denkungsart. Der Ruſſe, als der bey weitem zahlreichſte Theil, uͤberwiegt allerdings mit ſeinem Natio- nalkarakter; aber er iſt, unter dieſer Vermi- ſchung mit Auslaͤndern, die er nachahmt und von denen er ſo oft ſeine Erziehung und Bil- dung erhaͤlt, nicht Ruſſe genug, um ſeine in- dividuelle Denkungsart hervorſtechend zu ma- chen. Die uͤbrigen Nationen, vorzuͤglich die Deutſchen und Franzoſen, haben freylich auch einigen Einfluß auf die allgemeine Denk- und Handlungsweiſe; aber die ſchwachen Wirkun- gen hievon verlieren ſich unter der großen Maſſe wider einander ſtoßender Prinzipien und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0500"n="482"/>
kann ſein ganzes Leben hindurch allen Geſchaͤf-<lb/>
ten des buͤrgerlichen Lebens vorſtehen, ein<lb/>
Hausweſen fuͤhren, ja ſelbſt oͤffentliche Aemter<lb/>
bekleiden und in wichtigen Staatsbedienungen<lb/>
dem Lande nuͤtzlich werden, ohne eine andere<lb/>
als ſeine Mutterſprache zu ſprechen. Dieſe Ver-<lb/>
faſſung iſt ſo einzig, daß ſie der eigenthuͤm-<lb/>
lichſte Zug in der Karakteriſtik von Peters-<lb/>
burg wird.</p><lb/><p>Die erſte auffallende Wirkung hievon iſt<lb/>
der <hirendition="#g">Mangel einer ſtark hervorſprin-<lb/>
genden allgemeinen Denkungsart</hi>.<lb/>
Der Ruſſe, als der bey weitem zahlreichſte<lb/>
Theil, uͤberwiegt allerdings mit ſeinem Natio-<lb/>
nalkarakter; aber er iſt, unter dieſer Vermi-<lb/>ſchung mit Auslaͤndern, die er nachahmt und<lb/>
von denen er ſo oft ſeine Erziehung und Bil-<lb/>
dung erhaͤlt, nicht Ruſſe genug, um ſeine in-<lb/>
dividuelle Denkungsart hervorſtechend zu ma-<lb/>
chen. Die uͤbrigen Nationen, vorzuͤglich die<lb/>
Deutſchen und Franzoſen, haben freylich auch<lb/>
einigen Einfluß auf die allgemeine Denk- und<lb/>
Handlungsweiſe; aber die ſchwachen Wirkun-<lb/>
gen hievon verlieren ſich unter der großen<lb/>
Maſſe wider einander ſtoßender Prinzipien und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[482/0500]
kann ſein ganzes Leben hindurch allen Geſchaͤf-
ten des buͤrgerlichen Lebens vorſtehen, ein
Hausweſen fuͤhren, ja ſelbſt oͤffentliche Aemter
bekleiden und in wichtigen Staatsbedienungen
dem Lande nuͤtzlich werden, ohne eine andere
als ſeine Mutterſprache zu ſprechen. Dieſe Ver-
faſſung iſt ſo einzig, daß ſie der eigenthuͤm-
lichſte Zug in der Karakteriſtik von Peters-
burg wird.
Die erſte auffallende Wirkung hievon iſt
der Mangel einer ſtark hervorſprin-
genden allgemeinen Denkungsart.
Der Ruſſe, als der bey weitem zahlreichſte
Theil, uͤberwiegt allerdings mit ſeinem Natio-
nalkarakter; aber er iſt, unter dieſer Vermi-
ſchung mit Auslaͤndern, die er nachahmt und
von denen er ſo oft ſeine Erziehung und Bil-
dung erhaͤlt, nicht Ruſſe genug, um ſeine in-
dividuelle Denkungsart hervorſtechend zu ma-
chen. Die uͤbrigen Nationen, vorzuͤglich die
Deutſchen und Franzoſen, haben freylich auch
einigen Einfluß auf die allgemeine Denk- und
Handlungsweiſe; aber die ſchwachen Wirkun-
gen hievon verlieren ſich unter der großen
Maſſe wider einander ſtoßender Prinzipien und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/500>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.