bekanntschaft mit der Landessprache, auf die unzuverläßigen und übertriebenen Berichte äl- terer Reisenden gestützt, und dadurch eine Menge schiefer und lächerlicher Urtheile von neuem in Umlauf gebracht und mit dem Ge- präge einer größern Glaubwürdigkeit versehen. Fast allen ist die so wichtige und entscheidende Bemerkung entgangen, daß der Nationalka- rakter bey weitem in den mehresten Ständen seit Peters des Großen schöpferischer Re- gierung sich in einem Zustande von Gährung befindet, der für den gegenwärtigen Augenblick jedes allgemeine Urtheil unmöglich macht, aber durch seine vielversprechenden Folgen die Auf- merksamkeit des philosophischen Beobachters aufs höchste interessirt. Nirgend ist diese Gäh- rung sichtbarer, als in der Residenz, wo sie durch die große Mischung aller Nationen und die wirksamere Leitung vom Throne herab be- fördert wird. Beyspiele hievon anzuführen und dies weitläuftiger auseinander zu setzen, erlaubt der Plan dieser Schilderung nicht, da wir es hier weniger mit den Russen als mit den Petersburgern zu thun haben, und was
bekanntſchaft mit der Landesſprache, auf die unzuverlaͤßigen und uͤbertriebenen Berichte aͤl- terer Reiſenden geſtuͤtzt, und dadurch eine Menge ſchiefer und laͤcherlicher Urtheile von neuem in Umlauf gebracht und mit dem Ge- praͤge einer groͤßern Glaubwuͤrdigkeit verſehen. Faſt allen iſt die ſo wichtige und entſcheidende Bemerkung entgangen, daß der Nationalka- rakter bey weitem in den mehreſten Staͤnden ſeit Peters des Großen ſchoͤpferiſcher Re- gierung ſich in einem Zuſtande von Gaͤhrung befindet, der fuͤr den gegenwaͤrtigen Augenblick jedes allgemeine Urtheil unmoͤglich macht, aber durch ſeine vielverſprechenden Folgen die Auf- merkſamkeit des philoſophiſchen Beobachters aufs hoͤchſte intereſſirt. Nirgend iſt dieſe Gaͤh- rung ſichtbarer, als in der Reſidenz, wo ſie durch die große Miſchung aller Nationen und die wirkſamere Leitung vom Throne herab be- foͤrdert wird. Beyſpiele hievon anzufuͤhren und dies weitlaͤuftiger auseinander zu ſetzen, erlaubt der Plan dieſer Schilderung nicht, da wir es hier weniger mit den Ruſſen als mit den Petersburgern zu thun haben, und was
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0502"n="484"/>
bekanntſchaft mit der Landesſprache, auf die<lb/>
unzuverlaͤßigen und uͤbertriebenen Berichte aͤl-<lb/>
terer Reiſenden geſtuͤtzt, und dadurch eine<lb/>
Menge ſchiefer und laͤcherlicher Urtheile von<lb/>
neuem in Umlauf gebracht und mit dem Ge-<lb/>
praͤge einer groͤßern Glaubwuͤrdigkeit verſehen.<lb/>
Faſt allen iſt die ſo wichtige und entſcheidende<lb/>
Bemerkung entgangen, daß der Nationalka-<lb/>
rakter bey weitem in den mehreſten Staͤnden<lb/>ſeit <hirendition="#g">Peters des Großen</hi>ſchoͤpferiſcher Re-<lb/>
gierung ſich in einem Zuſtande von Gaͤhrung<lb/>
befindet, der fuͤr den gegenwaͤrtigen Augenblick<lb/>
jedes allgemeine Urtheil unmoͤglich macht, aber<lb/>
durch ſeine vielverſprechenden Folgen die Auf-<lb/>
merkſamkeit des philoſophiſchen Beobachters<lb/>
aufs hoͤchſte intereſſirt. Nirgend iſt dieſe Gaͤh-<lb/>
rung ſichtbarer, als in der Reſidenz, wo ſie<lb/>
durch die große Miſchung aller Nationen und<lb/>
die wirkſamere Leitung vom Throne herab be-<lb/>
foͤrdert wird. Beyſpiele hievon anzufuͤhren<lb/>
und dies weitlaͤuftiger auseinander zu ſetzen,<lb/>
erlaubt der Plan dieſer Schilderung nicht, da<lb/>
wir es hier weniger mit den Ruſſen als mit<lb/>
den Petersburgern zu thun haben, und was<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[484/0502]
bekanntſchaft mit der Landesſprache, auf die
unzuverlaͤßigen und uͤbertriebenen Berichte aͤl-
terer Reiſenden geſtuͤtzt, und dadurch eine
Menge ſchiefer und laͤcherlicher Urtheile von
neuem in Umlauf gebracht und mit dem Ge-
praͤge einer groͤßern Glaubwuͤrdigkeit verſehen.
Faſt allen iſt die ſo wichtige und entſcheidende
Bemerkung entgangen, daß der Nationalka-
rakter bey weitem in den mehreſten Staͤnden
ſeit Peters des Großen ſchoͤpferiſcher Re-
gierung ſich in einem Zuſtande von Gaͤhrung
befindet, der fuͤr den gegenwaͤrtigen Augenblick
jedes allgemeine Urtheil unmoͤglich macht, aber
durch ſeine vielverſprechenden Folgen die Auf-
merkſamkeit des philoſophiſchen Beobachters
aufs hoͤchſte intereſſirt. Nirgend iſt dieſe Gaͤh-
rung ſichtbarer, als in der Reſidenz, wo ſie
durch die große Miſchung aller Nationen und
die wirkſamere Leitung vom Throne herab be-
foͤrdert wird. Beyſpiele hievon anzufuͤhren
und dies weitlaͤuftiger auseinander zu ſetzen,
erlaubt der Plan dieſer Schilderung nicht, da
wir es hier weniger mit den Ruſſen als mit
den Petersburgern zu thun haben, und was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/502>, abgerufen am 19.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.