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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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schlossen. Eine Weile stund ich unschlüssig; dann
hub ich mit der Faust zu klopfen an. Drinnen
blieb Alles ruhig; als ich aber stärker klopfte,
kam des Küsters alte halbblinde Trienke aus
einem Nachbarhause.

"Wo ist der Küster?" fragte ich.

-- "Der Küster? Mit dem Priester in die
Stadt gefahren."

Ich starrete die Alte an; mir war, als sei
ein Blitz durch mich dahin geschlagen.

"Fehlet Euch etwas, Herr Maler?" fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf und sagte nur: "So
ist wol heute keine Schule, Trienke?"

-- "Bewahre! Die Hexe wird ja verbrannt!"

Ich ließ mir von der Alten das Haus auf¬
schließen, holte mein Malergeräthe und das fast
vollendete Bildniß aus des Küsters Schlafkammer
und richtete, wie gewöhnlich, meine Staffelei in
dem leeren Schulzimmer. Ich pinselte etwas an
der Gewandung; aber ich suchte damit nur mich
selber zu belügen: ich hatte keinen Sinn zum

ſchloſſen. Eine Weile ſtund ich unſchlüſſig; dann
hub ich mit der Fauſt zu klopfen an. Drinnen
blieb Alles ruhig; als ich aber ſtärker klopfte,
kam des Küſters alte halbblinde Trienke aus
einem Nachbarhauſe.

„Wo iſt der Küſter?“ fragte ich.

— „Der Küſter? Mit dem Prieſter in die
Stadt gefahren.“

Ich ſtarrete die Alte an; mir war, als ſei
ein Blitz durch mich dahin geſchlagen.

„Fehlet Euch etwas, Herr Maler?“ fragte ſie.

Ich ſchüttelte den Kopf und ſagte nur: „So
iſt wol heute keine Schule, Trienke?“

— „Bewahre! Die Hexe wird ja verbrannt!“

Ich ließ mir von der Alten das Haus auf¬
ſchließen, holte mein Malergeräthe und das faſt
vollendete Bildniß aus des Küſters Schlafkammer
und richtete, wie gewöhnlich, meine Staffelei in
dem leeren Schulzimmer. Ich pinſelte etwas an
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[135/0149] ſchloſſen. Eine Weile ſtund ich unſchlüſſig; dann hub ich mit der Fauſt zu klopfen an. Drinnen blieb Alles ruhig; als ich aber ſtärker klopfte, kam des Küſters alte halbblinde Trienke aus einem Nachbarhauſe. „Wo iſt der Küſter?“ fragte ich. — „Der Küſter? Mit dem Prieſter in die Stadt gefahren.“ Ich ſtarrete die Alte an; mir war, als ſei ein Blitz durch mich dahin geſchlagen. „Fehlet Euch etwas, Herr Maler?“ fragte ſie. Ich ſchüttelte den Kopf und ſagte nur: „So iſt wol heute keine Schule, Trienke?“ — „Bewahre! Die Hexe wird ja verbrannt!“ Ich ließ mir von der Alten das Haus auf¬ ſchließen, holte mein Malergeräthe und das faſt vollendete Bildniß aus des Küſters Schlafkammer und richtete, wie gewöhnlich, meine Staffelei in dem leeren Schulzimmer. Ich pinſelte etwas an der Gewandung; aber ich ſuchte damit nur mich ſelber zu belügen: ich hatte keinen Sinn zum

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/149>, abgerufen am 24.11.2024.