Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.des Vaters Stirn, der Mutter Liebreiz um die des Vaters Stirn, der Mutter Liebreiz um die <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0064" n="50"/> des Vaters Stirn, der Mutter Liebreiz um die<lb/> Lippen; wo aber war hier der harte Mund¬<lb/> winkel, das kleine Auge des Junker Wulf? —<lb/> Das mußte tiefer aus der Vergangenheit herauf¬<lb/> gekommen ſein! Langſam ging ich die Reih'<lb/> der älteren Bildniſſe entlang, bis über hundert<lb/> Jahre weit hinab. Und ſiehe, da hing im ſchwar¬<lb/> zen, von den Würmern ſchon zerfreſſenen Holz¬<lb/> rahmen ein Bild, vor dem ich ſchon als Knabe,<lb/> als ob's mich hielte, ſtillgeſtanden war. Es<lb/> ſtellete eine Edelfrau von etwa vierzig Jahren<lb/> vor; die kleinen grauen Augen ſahen kalt und<lb/> ſtechend aus dem harten Antlitz, das nur zur<lb/> Hälfte zwiſchen dem weißen Kinntuch und der<lb/> Schleierhaube ſichtbar wurde. Ein leiſer Schauer<lb/> überfuhr mich vor der ſo lang ſchon heimge¬<lb/> gangenen Seele; und ich ſprach zu mir: „Hier,<lb/> dieſe iſt's! Wie räthſelhafte Wege gehet die<lb/> Natur! Ein <hi rendition="#aq">saeculum</hi> und drüber rinnt es heim¬<lb/> lich wie unter einer Decke im Blute der Ge¬<lb/> ſchlechter fort; dann, längſt vergeſſen, taucht es<lb/> plötzlich wieder auf, den Lebenden zum Unheil.<lb/></p> </body> </text> </TEI> [50/0064]
des Vaters Stirn, der Mutter Liebreiz um die
Lippen; wo aber war hier der harte Mund¬
winkel, das kleine Auge des Junker Wulf? —
Das mußte tiefer aus der Vergangenheit herauf¬
gekommen ſein! Langſam ging ich die Reih'
der älteren Bildniſſe entlang, bis über hundert
Jahre weit hinab. Und ſiehe, da hing im ſchwar¬
zen, von den Würmern ſchon zerfreſſenen Holz¬
rahmen ein Bild, vor dem ich ſchon als Knabe,
als ob's mich hielte, ſtillgeſtanden war. Es
ſtellete eine Edelfrau von etwa vierzig Jahren
vor; die kleinen grauen Augen ſahen kalt und
ſtechend aus dem harten Antlitz, das nur zur
Hälfte zwiſchen dem weißen Kinntuch und der
Schleierhaube ſichtbar wurde. Ein leiſer Schauer
überfuhr mich vor der ſo lang ſchon heimge¬
gangenen Seele; und ich ſprach zu mir: „Hier,
dieſe iſt's! Wie räthſelhafte Wege gehet die
Natur! Ein saeculum und drüber rinnt es heim¬
lich wie unter einer Decke im Blute der Ge¬
ſchlechter fort; dann, längſt vergeſſen, taucht es
plötzlich wieder auf, den Lebenden zum Unheil.
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