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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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über dem weißen Nachtgewand bis in den Schooß
hinab; der Mond, der draußen die Gartenhecken
überstiegen hatte, schien voll herein und zeigete
mir Alles. Ich stund wie fest gezaubert vor
ihr; so lieblich fremde und doch so ganz mein
eigen schien sie mir; nur meine Augen tranken
sich satt an all' der Schönheit. Erst als ein
Seufzen ihre Brust erhob, sprach ich zu ihr:
"Katharina, liebe Katharina, träumet Ihr denn?"

Da flog ein schmerzlich Lächeln über ihr
Gesicht: "Ich glaub' wol fast, Johannes! --
Das Leben ist so hart; der Traum ist süß!"

Als aber von unten aus dem Garten das
Geheul auf's Neu heraufkam, fuhr sie erschreckt
empor. "Die Hunde, Johannes!" rief sie. "Was
ist das mit den Hunden?"

"Katharina," sagte ich, "wenn ich Euch dienen
soll, so glaub' ich, es muß bald geschehen; denn
es fehlt viel, daß ich noch einmal durch die Thür
in dieses Haus gelangen sollte." Dabei hatte ich
den Brief aus meinem Täschlein hervorgezogen

Storm, Aquis submersus. 6

über dem weißen Nachtgewand bis in den Schooß
hinab; der Mond, der draußen die Gartenhecken
überſtiegen hatte, ſchien voll herein und zeigete
mir Alles. Ich ſtund wie feſt gezaubert vor
ihr; ſo lieblich fremde und doch ſo ganz mein
eigen ſchien ſie mir; nur meine Augen tranken
ſich ſatt an all' der Schönheit. Erſt als ein
Seufzen ihre Bruſt erhob, ſprach ich zu ihr:
„Katharina, liebe Katharina, träumet Ihr denn?“

Da flog ein ſchmerzlich Lächeln über ihr
Geſicht: „Ich glaub' wol faſt, Johannes! —
Das Leben iſt ſo hart; der Traum iſt ſüß!“

Als aber von unten aus dem Garten das
Geheul auf's Neu heraufkam, fuhr ſie erſchreckt
empor. „Die Hunde, Johannes!“ rief ſie. „Was
iſt das mit den Hunden?“

„Katharina,“ ſagte ich, „wenn ich Euch dienen
ſoll, ſo glaub' ich, es muß bald geſchehen; denn
es fehlt viel, daß ich noch einmal durch die Thür
in dieſes Haus gelangen ſollte.“ Dabei hatte ich
den Brief aus meinem Täſchlein hervorgezogen

Storm, Aquis submersus. 6
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[81/0095] über dem weißen Nachtgewand bis in den Schooß hinab; der Mond, der draußen die Gartenhecken überſtiegen hatte, ſchien voll herein und zeigete mir Alles. Ich ſtund wie feſt gezaubert vor ihr; ſo lieblich fremde und doch ſo ganz mein eigen ſchien ſie mir; nur meine Augen tranken ſich ſatt an all' der Schönheit. Erſt als ein Seufzen ihre Bruſt erhob, ſprach ich zu ihr: „Katharina, liebe Katharina, träumet Ihr denn?“ Da flog ein ſchmerzlich Lächeln über ihr Geſicht: „Ich glaub' wol faſt, Johannes! — Das Leben iſt ſo hart; der Traum iſt ſüß!“ Als aber von unten aus dem Garten das Geheul auf's Neu heraufkam, fuhr ſie erſchreckt empor. „Die Hunde, Johannes!“ rief ſie. „Was iſt das mit den Hunden?“ „Katharina,“ ſagte ich, „wenn ich Euch dienen ſoll, ſo glaub' ich, es muß bald geſchehen; denn es fehlt viel, daß ich noch einmal durch die Thür in dieſes Haus gelangen ſollte.“ Dabei hatte ich den Brief aus meinem Täſchlein hervorgezogen Storm, Aquis submersus. 6

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/95>, abgerufen am 27.11.2024.