Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.etwa sechs Jahr alt sein. Wir hatten leidlich zu Mittag gegessen; doch zum Abend wollte es nicht mehr reichen; mich hungerte noch recht, und der Ofen war fast kalt geworden. Da sah mein Vater mich mit seinen schönen dunkeln Augen an, und ich streckte meine Aermchen ihm entgegen; und bald lag ich, in ein altes Tuch gewickelt an der warmen Brust des mächtigen Mannes. Wir gingen durch die dunklen Straßen, immer in eine neue; aber über uns waren alle Sterne angezündet, und meine Augen gingen von dem einen zu dem andern. "Wer wohnt da oben?" frug ich endlich, und mein Vater antwortete: "Der liebe Gott, der wird Dich nicht vergessen!" Ich sah wieder in die Sterne, und alle blinkten so still und freundlich auf mich nieder. "Vater", sagte ich, "bitte ihn doch noch um ein kleines Stückchen Brot für heute Abend!" Ich fühlte einen warmen Tropfen auf mein Angesicht fallen; ich meinte, er käme von dem lieben Gott. - Ich weiß, mich hungerte nachher noch in meinem Bettchen; aber ich schlief doch ruhig ein." Sie schwieg einen Augenblick, während wir langsam aus dem Waldweg weiter schritten. etwa sechs Jahr alt sein. Wir hatten leidlich zu Mittag gegessen; doch zum Abend wollte es nicht mehr reichen; mich hungerte noch recht, und der Ofen war fast kalt geworden. Da sah mein Vater mich mit seinen schönen dunkeln Augen an, und ich streckte meine Aermchen ihm entgegen; und bald lag ich, in ein altes Tuch gewickelt an der warmen Brust des mächtigen Mannes. Wir gingen durch die dunklen Straßen, immer in eine neue; aber über uns waren alle Sterne angezündet, und meine Augen gingen von dem einen zu dem andern. „Wer wohnt da oben?“ frug ich endlich, und mein Vater antwortete: „Der liebe Gott, der wird Dich nicht vergessen!“ Ich sah wieder in die Sterne, und alle blinkten so still und freundlich auf mich nieder. „Vater“, sagte ich, „bitte ihn doch noch um ein kleines Stückchen Brot für heute Abend!“ Ich fühlte einen warmen Tropfen auf mein Angesicht fallen; ich meinte, er käme von dem lieben Gott. – Ich weiß, mich hungerte nachher noch in meinem Bettchen; aber ich schlief doch ruhig ein.“ Sie schwieg einen Augenblick, während wir langsam aus dem Waldweg weiter schritten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0025" n="25"/> etwa sechs Jahr alt sein. Wir hatten leidlich zu Mittag gegessen; doch zum Abend wollte es nicht mehr reichen; mich hungerte noch recht, und der Ofen war fast kalt geworden. Da sah mein Vater mich mit seinen schönen dunkeln Augen an, und ich streckte meine Aermchen ihm entgegen; und bald lag ich, in ein altes Tuch gewickelt an der warmen Brust des mächtigen Mannes. Wir gingen durch die dunklen Straßen, immer in eine neue; aber über uns waren alle Sterne angezündet, und meine Augen gingen von dem einen zu dem andern. „Wer wohnt da oben?“ frug ich endlich, und mein Vater antwortete: „Der liebe Gott, der wird Dich nicht vergessen!“ Ich sah wieder in die Sterne, und alle blinkten so still und freundlich auf mich nieder. „Vater“, sagte ich, „bitte ihn doch noch um ein kleines Stückchen Brot für heute Abend!“ Ich fühlte einen warmen Tropfen auf mein Angesicht fallen; ich meinte, er käme von dem lieben Gott. – Ich weiß, mich hungerte nachher noch in meinem Bettchen; aber ich schlief doch ruhig ein.“</p> <p>Sie schwieg einen Augenblick, während wir langsam aus dem Waldweg weiter schritten.</p> </div> </body> </text> </TEI> [25/0025]
etwa sechs Jahr alt sein. Wir hatten leidlich zu Mittag gegessen; doch zum Abend wollte es nicht mehr reichen; mich hungerte noch recht, und der Ofen war fast kalt geworden. Da sah mein Vater mich mit seinen schönen dunkeln Augen an, und ich streckte meine Aermchen ihm entgegen; und bald lag ich, in ein altes Tuch gewickelt an der warmen Brust des mächtigen Mannes. Wir gingen durch die dunklen Straßen, immer in eine neue; aber über uns waren alle Sterne angezündet, und meine Augen gingen von dem einen zu dem andern. „Wer wohnt da oben?“ frug ich endlich, und mein Vater antwortete: „Der liebe Gott, der wird Dich nicht vergessen!“ Ich sah wieder in die Sterne, und alle blinkten so still und freundlich auf mich nieder. „Vater“, sagte ich, „bitte ihn doch noch um ein kleines Stückchen Brot für heute Abend!“ Ich fühlte einen warmen Tropfen auf mein Angesicht fallen; ich meinte, er käme von dem lieben Gott. – Ich weiß, mich hungerte nachher noch in meinem Bettchen; aber ich schlief doch ruhig ein.“
Sie schwieg einen Augenblick, während wir langsam aus dem Waldweg weiter schritten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-15T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-15T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-15T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |