Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

Und Buben und junge Leute blieben auf der Gasse vor ihrem Häuschen stehen und ergötzten sich an dem, was von dem Elend drinnen an ihr Ohr hinaus drang. Nur einer, der alte Nachbar Tischler kam mit gutem Willen; er ging ins Haus und sprach mitunter die Streitenden zur Ruhe, oder er trat, mit einem hübschen, leise schluchzenden Kinde auf den Armen, wieder aus der Thür; "das ist nichts für Dich, Du kleiner Engel", sagte der alte Mann, "komm Du mit mir!" und er ging mit ihr in seine Wohnung, wo eine ebenso alte Frau das Kind ihm zärtlich aus den Armen nahm.

Wenn aber in dem kleinen Hause Jähzorn und Kräfte sich erschöpft hatten, dann - wovon die draußen nichts gewahrten - fielen Mann und Weib sich in die Arme und preßten und küßten sich, als ob sie so sich tödten wollten. "O Hanna, sterben!" rief einmal der wilde Mann; "nun mit Dir sterben!" und aus den rothen Lippen des Weibes stieg ein Seufzer, sie warf ihre trunkenen Augen aus den erregten Mann und zog das Mieder, das er vorhin über ihrer weißen Brust zerrissen hatte, noch weiter von der Schulter. "Ja, John",

Und Buben und junge Leute blieben auf der Gasse vor ihrem Häuschen stehen und ergötzten sich an dem, was von dem Elend drinnen an ihr Ohr hinaus drang. Nur einer, der alte Nachbar Tischler kam mit gutem Willen; er ging ins Haus und sprach mitunter die Streitenden zur Ruhe, oder er trat, mit einem hübschen, leise schluchzenden Kinde auf den Armen, wieder aus der Thür; „das ist nichts für Dich, Du kleiner Engel“, sagte der alte Mann, „komm Du mit mir!“ und er ging mit ihr in seine Wohnung, wo eine ebenso alte Frau das Kind ihm zärtlich aus den Armen nahm.

Wenn aber in dem kleinen Hause Jähzorn und Kräfte sich erschöpft hatten, dann – wovon die draußen nichts gewahrten – fielen Mann und Weib sich in die Arme und preßten und küßten sich, als ob sie so sich tödten wollten. „O Hanna, sterben!“ rief einmal der wilde Mann; „nun mit Dir sterben!“ und aus den rothen Lippen des Weibes stieg ein Seufzer, sie warf ihre trunkenen Augen aus den erregten Mann und zog das Mieder, das er vorhin über ihrer weißen Brust zerrissen hatte, noch weiter von der Schulter. „Ja, John“,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="67"/>
Und Buben und junge Leute blieben auf der Gasse vor ihrem Häuschen stehen und ergötzten sich an dem, was von dem Elend drinnen an ihr Ohr hinaus drang. Nur einer, der alte Nachbar Tischler kam mit gutem Willen; er ging ins Haus und sprach mitunter die Streitenden zur Ruhe, oder er trat, mit einem hübschen, leise schluchzenden Kinde auf den Armen, wieder aus der Thür; &#x201E;das ist nichts für Dich, Du kleiner Engel&#x201C;, sagte der alte Mann, &#x201E;komm Du mit mir!&#x201C; und er ging mit ihr in seine Wohnung, wo eine ebenso alte Frau das Kind ihm zärtlich aus den Armen nahm.</p>
        <p>Wenn aber in dem kleinen Hause Jähzorn und Kräfte sich erschöpft hatten, dann &#x2013; wovon die draußen nichts gewahrten &#x2013; fielen Mann und Weib sich in die Arme und preßten und küßten sich, als ob sie so sich tödten wollten. &#x201E;O Hanna, sterben!&#x201C; rief einmal der wilde Mann; &#x201E;nun mit Dir sterben!&#x201C; und aus den rothen Lippen des Weibes stieg ein Seufzer, sie warf ihre trunkenen Augen aus den erregten Mann und zog das Mieder, das er vorhin über ihrer weißen Brust zerrissen hatte, noch weiter von der Schulter. &#x201E;Ja, John&#x201C;,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0067] Und Buben und junge Leute blieben auf der Gasse vor ihrem Häuschen stehen und ergötzten sich an dem, was von dem Elend drinnen an ihr Ohr hinaus drang. Nur einer, der alte Nachbar Tischler kam mit gutem Willen; er ging ins Haus und sprach mitunter die Streitenden zur Ruhe, oder er trat, mit einem hübschen, leise schluchzenden Kinde auf den Armen, wieder aus der Thür; „das ist nichts für Dich, Du kleiner Engel“, sagte der alte Mann, „komm Du mit mir!“ und er ging mit ihr in seine Wohnung, wo eine ebenso alte Frau das Kind ihm zärtlich aus den Armen nahm. Wenn aber in dem kleinen Hause Jähzorn und Kräfte sich erschöpft hatten, dann – wovon die draußen nichts gewahrten – fielen Mann und Weib sich in die Arme und preßten und küßten sich, als ob sie so sich tödten wollten. „O Hanna, sterben!“ rief einmal der wilde Mann; „nun mit Dir sterben!“ und aus den rothen Lippen des Weibes stieg ein Seufzer, sie warf ihre trunkenen Augen aus den erregten Mann und zog das Mieder, das er vorhin über ihrer weißen Brust zerrissen hatte, noch weiter von der Schulter. „Ja, John“,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-15T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/67
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/67>, abgerufen am 21.11.2024.