Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

wie damals ihrer Mutter; wenn wieder Arbeit kommt, so magst Du zahlen, wenn Du es kannst!"

Da richtete der elende Mann sich auf. "Dank Nachbar; aber gewiß, ich bezahl's Euch, jeden Sechsling, jeden Pfennig; denn ich muß sie selbst begraben. Sonst soll mich Gott verdammen!"

Das Kind erschrak und ließ den Zipfel seines Rockes los, den es bisher gefaßt hielt.

"Soll meine Frau Euch", frug der Tischler, "die Kleine für die nächsten Tage abnehmen? Ihr habt hier Niemand mehr."

"Nein, Niemand mehr"; und aus seinen Augen flog ein Blick wie um Erbarmen flehend zu dem Angesicht des neben ihm stehenden Kindes. "Fragt sie selbst, Nachbar!" sagte er und ließ den Kopf auf seine Brust sinken. Aber er fühlte plötzlich die kleinen Arme zu sich emporstreben, und als er dann sein Kind emporhob, drückte es das Köpfchen fest an seine Wange; wie einen Strom von Lebensmuth fühlte er es an sein Herz zur zurückfluthen. "Nein, Nachbar", sprach er, "seid bedankt! Aber mein Kind will doch nicht von mir; sie weiß, es ist nicht gut, so ganz allein zu sein."

wie damals ihrer Mutter; wenn wieder Arbeit kommt, so magst Du zahlen, wenn Du es kannst!“

Da richtete der elende Mann sich auf. „Dank Nachbar; aber gewiß, ich bezahl’s Euch, jeden Sechsling, jeden Pfennig; denn ich muß sie selbst begraben. Sonst soll mich Gott verdammen!“

Das Kind erschrak und ließ den Zipfel seines Rockes los, den es bisher gefaßt hielt.

„Soll meine Frau Euch“, frug der Tischler, „die Kleine für die nächsten Tage abnehmen? Ihr habt hier Niemand mehr.“

„Nein, Niemand mehr“; und aus seinen Augen flog ein Blick wie um Erbarmen flehend zu dem Angesicht des neben ihm stehenden Kindes. „Fragt sie selbst, Nachbar!“ sagte er und ließ den Kopf auf seine Brust sinken. Aber er fühlte plötzlich die kleinen Arme zu sich emporstreben, und als er dann sein Kind emporhob, drückte es das Köpfchen fest an seine Wange; wie einen Strom von Lebensmuth fühlte er es an sein Herz zur zurückfluthen. „Nein, Nachbar“, sprach er, „seid bedankt! Aber mein Kind will doch nicht von mir; sie weiß, es ist nicht gut, so ganz allein zu sein.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="78"/>
wie damals ihrer Mutter; wenn wieder Arbeit kommt, so magst Du zahlen, wenn Du es kannst!&#x201C;</p>
        <p>Da richtete der elende Mann sich auf. &#x201E;Dank Nachbar; aber gewiß, ich bezahl&#x2019;s Euch, jeden Sechsling, jeden Pfennig; denn ich muß sie selbst begraben. Sonst soll mich Gott verdammen!&#x201C;</p>
        <p>Das Kind erschrak und ließ den Zipfel seines Rockes los, den es bisher gefaßt hielt.</p>
        <p>&#x201E;Soll meine Frau Euch&#x201C;, frug der Tischler, &#x201E;die Kleine für die nächsten Tage abnehmen? Ihr habt hier Niemand mehr.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Nein, Niemand mehr&#x201C;; und aus seinen Augen flog ein Blick wie um Erbarmen flehend zu dem Angesicht des neben ihm stehenden Kindes. &#x201E;Fragt sie selbst, Nachbar!&#x201C; sagte er und ließ den Kopf auf seine Brust sinken. Aber er fühlte plötzlich die kleinen Arme zu sich emporstreben, und als er dann sein Kind emporhob, drückte es das Köpfchen fest an seine Wange; wie einen Strom von Lebensmuth fühlte er es an sein Herz zur zurückfluthen. &#x201E;Nein, Nachbar&#x201C;, sprach er, &#x201E;seid bedankt! Aber mein Kind will doch nicht von mir; sie weiß, es ist nicht gut, so ganz allein zu sein.&#x201C;</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0078] wie damals ihrer Mutter; wenn wieder Arbeit kommt, so magst Du zahlen, wenn Du es kannst!“ Da richtete der elende Mann sich auf. „Dank Nachbar; aber gewiß, ich bezahl’s Euch, jeden Sechsling, jeden Pfennig; denn ich muß sie selbst begraben. Sonst soll mich Gott verdammen!“ Das Kind erschrak und ließ den Zipfel seines Rockes los, den es bisher gefaßt hielt. „Soll meine Frau Euch“, frug der Tischler, „die Kleine für die nächsten Tage abnehmen? Ihr habt hier Niemand mehr.“ „Nein, Niemand mehr“; und aus seinen Augen flog ein Blick wie um Erbarmen flehend zu dem Angesicht des neben ihm stehenden Kindes. „Fragt sie selbst, Nachbar!“ sagte er und ließ den Kopf auf seine Brust sinken. Aber er fühlte plötzlich die kleinen Arme zu sich emporstreben, und als er dann sein Kind emporhob, drückte es das Köpfchen fest an seine Wange; wie einen Strom von Lebensmuth fühlte er es an sein Herz zur zurückfluthen. „Nein, Nachbar“, sprach er, „seid bedankt! Aber mein Kind will doch nicht von mir; sie weiß, es ist nicht gut, so ganz allein zu sein.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-15T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/78
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/78>, abgerufen am 21.11.2024.