Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.Die Kleine drückte angstvoll das Köpfchen an seine Brust. "Nein, nein", sagte er, "so ist's doch nicht! Du kannst schon Deine beiden ganzen Händchen ausstrecken! Der liebe Gott ist doch über ihm; der hat auch versprochen, daß wir die Todten alle wiedersehen sollen; so lange mußt Du warten." "Ja, Vater", sagte das Kind, und der kleine Mund drückte sich auf den seinen, "aber Du mußt bei mir bleiben." "Wie Gott will." - - War bei ihrer Nachhausekunft Alt-Mariken noch wach, oder hatte die Hausthürschelle sie wieder aufgeschreckt, dann schalt sie John, die Nacht sei nicht für Kinder, er trage sie noch in den Tod. Er aber sagte dann wohl halb für sich selber: "Besser früher Tod,
Als spät die Noth." Da kam jener furchtbare Winter in den vierziger Jahren, wo die Vögel todt aus der Luft fielen und die Rehe erfroren im Walde zwischen Die Kleine drückte angstvoll das Köpfchen an seine Brust. „Nein, nein“, sagte er, „so ist’s doch nicht! Du kannst schon Deine beiden ganzen Händchen ausstrecken! Der liebe Gott ist doch über ihm; der hat auch versprochen, daß wir die Todten alle wiedersehen sollen; so lange mußt Du warten.“ „Ja, Vater“, sagte das Kind, und der kleine Mund drückte sich auf den seinen, „aber Du mußt bei mir bleiben.“ „Wie Gott will.“ – – War bei ihrer Nachhausekunft Alt-Mariken noch wach, oder hatte die Hausthürschelle sie wieder aufgeschreckt, dann schalt sie John, die Nacht sei nicht für Kinder, er trage sie noch in den Tod. Er aber sagte dann wohl halb für sich selber: „Besser früher Tod,
Als spät die Noth.“ Da kam jener furchtbare Winter in den vierziger Jahren, wo die Vögel todt aus der Luft fielen und die Rehe erfroren im Walde zwischen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0094" n="94"/> <p>Die Kleine drückte angstvoll das Köpfchen an seine Brust. „Nein, nein“, sagte er, „so ist’s doch nicht! Du kannst schon Deine beiden ganzen Händchen ausstrecken! Der liebe Gott ist doch über ihm; der hat auch versprochen, daß wir die Todten alle wiedersehen sollen; so lange mußt Du warten.“</p> <p>„Ja, Vater“, sagte das Kind, und der kleine Mund drückte sich auf den seinen, „aber Du mußt bei mir bleiben.“</p> <p>„Wie Gott will.“</p> <p>– – War bei ihrer Nachhausekunft Alt-Mariken noch wach, oder hatte die Hausthürschelle sie wieder aufgeschreckt, dann schalt sie John, die Nacht sei nicht für Kinder, er trage sie noch in den Tod.</p> <p>Er aber sagte dann wohl halb für sich selber:</p> <lg type="poem"> <l>„Besser früher Tod,</l><lb/> <l>Als spät die Noth.“</l><lb/> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Da kam jener furchtbare Winter in den vierziger Jahren, wo die Vögel todt aus der Luft fielen und die Rehe erfroren im Walde zwischen </p> </div> </body> </text> </TEI> [94/0094]
Die Kleine drückte angstvoll das Köpfchen an seine Brust. „Nein, nein“, sagte er, „so ist’s doch nicht! Du kannst schon Deine beiden ganzen Händchen ausstrecken! Der liebe Gott ist doch über ihm; der hat auch versprochen, daß wir die Todten alle wiedersehen sollen; so lange mußt Du warten.“
„Ja, Vater“, sagte das Kind, und der kleine Mund drückte sich auf den seinen, „aber Du mußt bei mir bleiben.“
„Wie Gott will.“
– – War bei ihrer Nachhausekunft Alt-Mariken noch wach, oder hatte die Hausthürschelle sie wieder aufgeschreckt, dann schalt sie John, die Nacht sei nicht für Kinder, er trage sie noch in den Tod.
Er aber sagte dann wohl halb für sich selber:
„Besser früher Tod,
Als spät die Noth.“
Da kam jener furchtbare Winter in den vierziger Jahren, wo die Vögel todt aus der Luft fielen und die Rehe erfroren im Walde zwischen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-15T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-15T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-15T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |