Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

selbstverständlich als Arzt zugegen war. Trotz der geringeren Schußfläche, die er zu bieten hatte, wurde der Maler in der linken Schulter verwundet, und da die übrigens ungefährliche Verletzung eine sorgfältige ärztliche Behandlung nöthig machte, so wurden wir dadurch näher mit einander bekannt und bald befreundet. Noch während seiner Genesung, wo ich darauf denken mußte, seinen ungeduldigen Arbeitstrieb zu zügeln, hatte ich ihn in das Haus meines Onkels eingeführt, mit dessen einziger Tochter Gertrud ich vetterlich und kameradschaftlich aufgewachsen war.

Der Onkel, der es liebte, sich mit jungen Leuten zu umgeben, lernte bald den Menschen wie den Künstler in meinem Freunde schätzen, und es dauerte nicht lange, so saß Gertrud vor seiner Staffelei und ließ ihr blondes Köpfchen von ihm auf die Leinewand bringen. Sie war eine heitere Natur, dazu nur eben über die Kinderschuhe hinaus, und so kamen die Beiden in den wiederholten Sitzungen bald auf einen Neckfuß, der für das Mädchen zwar nur eine harmlose Unterhaltung, für das reizbare Temperament meines Freundes aber, wie ich bald bemerkte, nicht ohne tiefere Folgen war. Ich sagte ihr wohl einmal: Laß unseren Künstler nur nicht zu tief in deine leichtfertigen Augen gucken! Dann lachte sie mich aus, oder sie sagte: Aber du bist äußerst komisch! und begann eins ihrer Schelmenlieder zu trillern, mit denen sie im Hause treppab und auf zu fliegen liebte.

selbstverständlich als Arzt zugegen war. Trotz der geringeren Schußfläche, die er zu bieten hatte, wurde der Maler in der linken Schulter verwundet, und da die übrigens ungefährliche Verletzung eine sorgfältige ärztliche Behandlung nöthig machte, so wurden wir dadurch näher mit einander bekannt und bald befreundet. Noch während seiner Genesung, wo ich darauf denken mußte, seinen ungeduldigen Arbeitstrieb zu zügeln, hatte ich ihn in das Haus meines Onkels eingeführt, mit dessen einziger Tochter Gertrud ich vetterlich und kameradschaftlich aufgewachsen war.

Der Onkel, der es liebte, sich mit jungen Leuten zu umgeben, lernte bald den Menschen wie den Künstler in meinem Freunde schätzen, und es dauerte nicht lange, so saß Gertrud vor seiner Staffelei und ließ ihr blondes Köpfchen von ihm auf die Leinewand bringen. Sie war eine heitere Natur, dazu nur eben über die Kinderschuhe hinaus, und so kamen die Beiden in den wiederholten Sitzungen bald auf einen Neckfuß, der für das Mädchen zwar nur eine harmlose Unterhaltung, für das reizbare Temperament meines Freundes aber, wie ich bald bemerkte, nicht ohne tiefere Folgen war. Ich sagte ihr wohl einmal: Laß unseren Künstler nur nicht zu tief in deine leichtfertigen Augen gucken! Dann lachte sie mich aus, oder sie sagte: Aber du bist äußerst komisch! und begann eins ihrer Schelmenlieder zu trillern, mit denen sie im Hause treppab und auf zu fliegen liebte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014"/>
selbstverständlich als      Arzt zugegen war. Trotz der geringeren Schußfläche, die er zu bieten hatte, wurde der Maler in      der linken Schulter verwundet, und da die übrigens ungefährliche Verletzung eine sorgfältige      ärztliche Behandlung nöthig machte, so wurden wir dadurch näher mit einander bekannt und bald      befreundet. Noch während seiner Genesung, wo ich darauf denken mußte, seinen ungeduldigen      Arbeitstrieb zu zügeln, hatte ich ihn in das Haus meines Onkels eingeführt, mit dessen einziger      Tochter Gertrud ich vetterlich und kameradschaftlich aufgewachsen war.</p><lb/>
        <p>Der Onkel, der es liebte, sich mit jungen Leuten zu umgeben, lernte bald den Menschen wie den      Künstler in meinem Freunde schätzen, und es dauerte nicht lange, so saß Gertrud vor seiner      Staffelei und ließ ihr blondes Köpfchen von ihm auf die Leinewand bringen. Sie war eine heitere      Natur, dazu nur eben über die Kinderschuhe hinaus, und so kamen die Beiden in den wiederholten      Sitzungen bald auf einen Neckfuß, der für das Mädchen zwar nur eine harmlose Unterhaltung, für      das reizbare Temperament meines Freundes aber, wie ich bald bemerkte, nicht ohne tiefere Folgen      war. Ich sagte ihr wohl einmal: Laß unseren Künstler nur nicht zu tief in deine leichtfertigen      Augen gucken! Dann lachte sie mich aus, oder sie sagte: Aber du bist äußerst komisch! und      begann eins ihrer Schelmenlieder zu trillern, mit denen sie im Hause treppab und auf zu fliegen      liebte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] selbstverständlich als Arzt zugegen war. Trotz der geringeren Schußfläche, die er zu bieten hatte, wurde der Maler in der linken Schulter verwundet, und da die übrigens ungefährliche Verletzung eine sorgfältige ärztliche Behandlung nöthig machte, so wurden wir dadurch näher mit einander bekannt und bald befreundet. Noch während seiner Genesung, wo ich darauf denken mußte, seinen ungeduldigen Arbeitstrieb zu zügeln, hatte ich ihn in das Haus meines Onkels eingeführt, mit dessen einziger Tochter Gertrud ich vetterlich und kameradschaftlich aufgewachsen war. Der Onkel, der es liebte, sich mit jungen Leuten zu umgeben, lernte bald den Menschen wie den Künstler in meinem Freunde schätzen, und es dauerte nicht lange, so saß Gertrud vor seiner Staffelei und ließ ihr blondes Köpfchen von ihm auf die Leinewand bringen. Sie war eine heitere Natur, dazu nur eben über die Kinderschuhe hinaus, und so kamen die Beiden in den wiederholten Sitzungen bald auf einen Neckfuß, der für das Mädchen zwar nur eine harmlose Unterhaltung, für das reizbare Temperament meines Freundes aber, wie ich bald bemerkte, nicht ohne tiefere Folgen war. Ich sagte ihr wohl einmal: Laß unseren Künstler nur nicht zu tief in deine leichtfertigen Augen gucken! Dann lachte sie mich aus, oder sie sagte: Aber du bist äußerst komisch! und begann eins ihrer Schelmenlieder zu trillern, mit denen sie im Hause treppab und auf zu fliegen liebte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:17:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:17:45Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/14
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/14>, abgerufen am 21.11.2024.