Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Brunken, rief ich, was machst du hier? Nicht eben viel, erwiderte er, die Kleine da hat mir das Ende meiner Ungeheuergeschichte erzählt; eigentlich freilich hat sie es wohl nur dir erzählen wollen, aber ich habe scharfe Ohren. Dann ergriff er meine Hand. Arnold, sagte er und seine Stimme klang auf einen Augenblick fast weich, es ist ein schwer Exempel; meine Seele und meine Kunst verlangen nach der Schönheit, aber die langfingerige Affenhand des Buckligen darf sie nicht berühren. In solchem Augenblick vermag ein Anderer nicht viel; was wir noch gesprochen, dessen erinnere ich mich nicht mehr; eben so wenig, wie der Rest des Tages verlief. Nur das weiß ich noch, daß bei der Rückfahrt der unglückselige Assessor neben Gertrud auf der Leiterbank und Brunken den Beiden gegenüber zu sitzen kam. Er hatte während einer ganzen Stunde hinlänglich Gelegenheit, sich das Herz voll Gift und Leidenschaft zu trinken; denn auch mir entging es nicht, daß jene Beiden nicht ungern neben einander saßen, wie ich es denn auch gestehen muß, daß sie später durch den Segen der Kirche so fest als möglich mit einander verbunden worden sind. Als wir in der Stadt und vor meines Onkels Hause angekommen waren, sprang Brunken vom Wagen und rannte, ohne Einem von uns "Gute Nacht" geboten zu haben, die Straße hinab; sein kleiner Radmantel Brunken, rief ich, was machst du hier? Nicht eben viel, erwiderte er, die Kleine da hat mir das Ende meiner Ungeheuergeschichte erzählt; eigentlich freilich hat sie es wohl nur dir erzählen wollen, aber ich habe scharfe Ohren. Dann ergriff er meine Hand. Arnold, sagte er und seine Stimme klang auf einen Augenblick fast weich, es ist ein schwer Exempel; meine Seele und meine Kunst verlangen nach der Schönheit, aber die langfingerige Affenhand des Buckligen darf sie nicht berühren. In solchem Augenblick vermag ein Anderer nicht viel; was wir noch gesprochen, dessen erinnere ich mich nicht mehr; eben so wenig, wie der Rest des Tages verlief. Nur das weiß ich noch, daß bei der Rückfahrt der unglückselige Assessor neben Gertrud auf der Leiterbank und Brunken den Beiden gegenüber zu sitzen kam. Er hatte während einer ganzen Stunde hinlänglich Gelegenheit, sich das Herz voll Gift und Leidenschaft zu trinken; denn auch mir entging es nicht, daß jene Beiden nicht ungern neben einander saßen, wie ich es denn auch gestehen muß, daß sie später durch den Segen der Kirche so fest als möglich mit einander verbunden worden sind. Als wir in der Stadt und vor meines Onkels Hause angekommen waren, sprang Brunken vom Wagen und rannte, ohne Einem von uns „Gute Nacht“ geboten zu haben, die Straße hinab; sein kleiner Radmantel <TEI> <text> <body> <div n="2"> <pb facs="#f0027"/> <p>Brunken, rief ich, was machst du hier?</p><lb/> <p>Nicht eben viel, erwiderte er, die Kleine da hat mir das Ende meiner Ungeheuergeschichte erzählt; eigentlich freilich hat sie es wohl nur dir erzählen wollen, aber ich habe scharfe Ohren. Dann ergriff er meine Hand. Arnold, sagte er und seine Stimme klang auf einen Augenblick fast weich, es ist ein schwer Exempel; meine Seele und meine Kunst verlangen nach der Schönheit, aber die langfingerige Affenhand des Buckligen darf sie nicht berühren.</p><lb/> <p>In solchem Augenblick vermag ein Anderer nicht viel; was wir noch gesprochen, dessen erinnere ich mich nicht mehr; eben so wenig, wie der Rest des Tages verlief. Nur das weiß ich noch, daß bei der Rückfahrt der unglückselige Assessor neben Gertrud auf der Leiterbank und Brunken den Beiden gegenüber zu sitzen kam. Er hatte während einer ganzen Stunde hinlänglich Gelegenheit, sich das Herz voll Gift und Leidenschaft zu trinken; denn auch mir entging es nicht, daß jene Beiden nicht ungern neben einander saßen, wie ich es denn auch gestehen muß, daß sie später durch den Segen der Kirche so fest als möglich mit einander verbunden worden sind.</p><lb/> <p>Als wir in der Stadt und vor meines Onkels Hause angekommen waren, sprang Brunken vom Wagen und rannte, ohne Einem von uns „Gute Nacht“ geboten zu haben, die Straße hinab; sein kleiner Radmantel<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
Brunken, rief ich, was machst du hier?
Nicht eben viel, erwiderte er, die Kleine da hat mir das Ende meiner Ungeheuergeschichte erzählt; eigentlich freilich hat sie es wohl nur dir erzählen wollen, aber ich habe scharfe Ohren. Dann ergriff er meine Hand. Arnold, sagte er und seine Stimme klang auf einen Augenblick fast weich, es ist ein schwer Exempel; meine Seele und meine Kunst verlangen nach der Schönheit, aber die langfingerige Affenhand des Buckligen darf sie nicht berühren.
In solchem Augenblick vermag ein Anderer nicht viel; was wir noch gesprochen, dessen erinnere ich mich nicht mehr; eben so wenig, wie der Rest des Tages verlief. Nur das weiß ich noch, daß bei der Rückfahrt der unglückselige Assessor neben Gertrud auf der Leiterbank und Brunken den Beiden gegenüber zu sitzen kam. Er hatte während einer ganzen Stunde hinlänglich Gelegenheit, sich das Herz voll Gift und Leidenschaft zu trinken; denn auch mir entging es nicht, daß jene Beiden nicht ungern neben einander saßen, wie ich es denn auch gestehen muß, daß sie später durch den Segen der Kirche so fest als möglich mit einander verbunden worden sind.
Als wir in der Stadt und vor meines Onkels Hause angekommen waren, sprang Brunken vom Wagen und rannte, ohne Einem von uns „Gute Nacht“ geboten zu haben, die Straße hinab; sein kleiner Radmantel
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/27>, abgerufen am 16.07.2024. |