Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.da war noch Platz für sie und ihn; auf Erden nicht mehr! - plötzlich wandte er den Kopf, da sah er die Fallthür aufgeschlagen, und mit halbem Leibe ragte die Gestalt des Schloßhauptmannes daraus hervor. Aber er stieg nicht weiter; mit entsetzten Augen streckte er die Arme aus und rief in bitterem Flehen: "Rolf! Rolf Lembeck, gieb mir mein Kind! Was gilt Dir noch der todte Leib?" Der aber wandte seine Augen wieder zu dem bleichen Antlitz. "O Dagmar!" rief er; "Süße, Selige! Du bist ja todt! Breit' Deine Flügel nun und nimm mich mit Dir!" Er küßte sie, er schlang die Arme fest um ihren Leib; da war mit einem Satz der greise Mann ihm in dem Rücken; er stürzte vor und griff nach ihm; doch seine Faust fuhr in das Leere. Ihm war, als flög' ein Schatten ihm vorüber; er sah jenseit der Brüstung, wie in der Sternennacht die Sterbekleider seines Kindes wehen; dann nichts mehr; nur von unten auf der Nachhall eines schweren Falles. Der Abendhauch fuhr über die leere Thurmdecke; der Hund stand mit den Vordertatzen auf den Zinnen und sah winselnd in die Tiefe. Da war sein Zorn als wie ein Rauch verflogen; er fiel auf seine Knie und faltete die Hände: "Herrgott, da war noch Platz für sie und ihn; auf Erden nicht mehr! – plötzlich wandte er den Kopf, da sah er die Fallthür aufgeschlagen, und mit halbem Leibe ragte die Gestalt des Schloßhauptmannes daraus hervor. Aber er stieg nicht weiter; mit entsetzten Augen streckte er die Arme aus und rief in bitterem Flehen: „Rolf! Rolf Lembeck, gieb mir mein Kind! Was gilt Dir noch der todte Leib?“ Der aber wandte seine Augen wieder zu dem bleichen Antlitz. „O Dagmar!“ rief er; „Süße, Selige! Du bist ja todt! Breit’ Deine Flügel nun und nimm mich mit Dir!“ Er küßte sie, er schlang die Arme fest um ihren Leib; da war mit einem Satz der greise Mann ihm in dem Rücken; er stürzte vor und griff nach ihm; doch seine Faust fuhr in das Leere. Ihm war, als flög’ ein Schatten ihm vorüber; er sah jenseit der Brüstung, wie in der Sternennacht die Sterbekleider seines Kindes wehen; dann nichts mehr; nur von unten auf der Nachhall eines schweren Falles. Der Abendhauch fuhr über die leere Thurmdecke; der Hund stand mit den Vordertatzen auf den Zinnen und sah winselnd in die Tiefe. Da war sein Zorn als wie ein Rauch verflogen; er fiel auf seine Knie und faltete die Hände: „Herrgott, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0224" n="220"/> da war noch Platz für sie und ihn; auf Erden nicht mehr! – plötzlich wandte er den Kopf, da sah er die Fallthür aufgeschlagen, und mit halbem Leibe ragte die Gestalt des Schloßhauptmannes daraus hervor. Aber er stieg nicht weiter; mit entsetzten Augen streckte er die Arme aus und rief in bitterem Flehen: „Rolf! Rolf Lembeck, gieb mir mein Kind! Was gilt Dir noch der todte Leib?“</p> <p>Der aber wandte seine Augen wieder zu dem bleichen Antlitz. „O Dagmar!“ rief er; „Süße, Selige! Du bist ja todt! Breit’ Deine Flügel nun und nimm mich mit Dir!“ Er küßte sie, er schlang die Arme fest um ihren Leib; da war mit einem Satz der greise Mann ihm in dem Rücken; er stürzte vor und griff nach ihm; doch seine Faust fuhr in das Leere. Ihm war, als flög’ ein Schatten ihm vorüber; er sah jenseit der Brüstung, wie in der Sternennacht die Sterbekleider seines Kindes wehen; dann nichts mehr; nur von unten auf der Nachhall eines schweren Falles. Der Abendhauch fuhr über die leere Thurmdecke; der Hund stand mit den Vordertatzen auf den Zinnen und sah winselnd in die Tiefe.</p> <p>Da war sein Zorn als wie ein Rauch verflogen; er fiel auf seine Knie und faltete die Hände: „Herrgott, </p> </div> </body> </text> </TEI> [220/0224]
da war noch Platz für sie und ihn; auf Erden nicht mehr! – plötzlich wandte er den Kopf, da sah er die Fallthür aufgeschlagen, und mit halbem Leibe ragte die Gestalt des Schloßhauptmannes daraus hervor. Aber er stieg nicht weiter; mit entsetzten Augen streckte er die Arme aus und rief in bitterem Flehen: „Rolf! Rolf Lembeck, gieb mir mein Kind! Was gilt Dir noch der todte Leib?“
Der aber wandte seine Augen wieder zu dem bleichen Antlitz. „O Dagmar!“ rief er; „Süße, Selige! Du bist ja todt! Breit’ Deine Flügel nun und nimm mich mit Dir!“ Er küßte sie, er schlang die Arme fest um ihren Leib; da war mit einem Satz der greise Mann ihm in dem Rücken; er stürzte vor und griff nach ihm; doch seine Faust fuhr in das Leere. Ihm war, als flög’ ein Schatten ihm vorüber; er sah jenseit der Brüstung, wie in der Sternennacht die Sterbekleider seines Kindes wehen; dann nichts mehr; nur von unten auf der Nachhall eines schweren Falles. Der Abendhauch fuhr über die leere Thurmdecke; der Hund stand mit den Vordertatzen auf den Zinnen und sah winselnd in die Tiefe.
Da war sein Zorn als wie ein Rauch verflogen; er fiel auf seine Knie und faltete die Hände: „Herrgott,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus). Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss). Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |